Redaktionsgespräch Prof. Dr. Hans-Hennig Von Grünberg Freiheit der Hochschulen wird eingeschränkt

Mönchengladbach · Der Präsident der Hochschule Niederrhein erklärt im Interview, warum der Entwurf für das Hochschulzukunftsgesetz für so große Empörung sorgt und warum die Wirtschaft so wichtig für die Hochschule ist. Und er sagt, warum der Masterplan die Stadt zum Mekka der textilen Ausbildung macht.

 Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, geboren in Eckernförde, ist seit März 2010 Präsident der Hochschule Niederrhein.

Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, geboren in Eckernförde, ist seit März 2010 Präsident der Hochschule Niederrhein.

Foto: Detlef Ilgner

Wenn man in den Entwurf für das Hochschulzukunftsgesetz schaut, könnte man den Eindruck bekommen, dass man die Hochschulen vor der Wirtschaft schützen muss. Ist das so?

von Grünberg Wenn man die Forderung nach Offenlegung der Auftraggeber von Drittmittelforschung im Auge hat, dann vielleicht. Aber an dem Punkt scheinen sich gerade die Wogen zu glätten. Ansonsten verändert der Entwurf zwar unser Hochschulwesen, aber er wird in dem Zusammenspiel von Hochschulen, Wirtschaft und Wissenschaft, glaube ich, weniger bewirken.

Warum sind die Hochschulen so empört über den Entwurf?

Von Grünberg Es sind viele kleinere Veränderungen im Gesetzestext, die gut sind. Aber man merkt ganz klar, dass die Ministerialbürokratie wieder zurück ins Spiel will. Bisher haben sie nur die Rechtsaufsicht über die Hochschulen, aber jetzt wollen sie wieder stärker in unserem Tagesgeschäft mitmachen. An manchen Stellen ist das in Ordnung, aber es ist und bleibt eine teilweise Verlagerung der Steuerungsmöglichkeiten und Kontrollfunktionen zurück ans Ministerium.

Was hätte das für Folgen?

Von Grünberg Ganz konkret ginge es darum, dass uns Rahmen oder Ideen vorgegeben werden, welche Studiengänge die einzelnen Hochschulen einrichten sollen. Und genau an der Stelle wird das Wesentliche unserer Freiheit berührt, nämlich, dass wir unsere Studiengänge selbst entwerfen können, sie dem freien Spiel der Kräfte aussetzen können — um dann eben eigenständig zu entscheiden, ob wir sie weiterentwickeln, wenn sie gut laufen oder einstampfen, wenn sie nicht gut laufen. Die Idee von zentralen Vorgaben aus einem Landeshochschulentwicklungsplan tangiert unseren Lebensnerv — deswegen die zum Teil heftigen Reaktionen.

Was ja auch wieder mit dem Zusammenspiel mit der Wirtschaft zu tun hat...

Von Grünberg Genau. Wenn zum Beispiel vor Ort in der Wirtschaft Energieeffizienz ein Thema ist, dann können wir einen Master-Studiengang Energieeffizienz anbieten. Wenn ein Landeshochschulentwicklungsplan aber vorgeben würde, dass ein solcher Studiengangstyp nur dort und dort angeboten werden darf, dann würde das nicht gehen. Die Frage ist also letzten Endes: Plant man im Lande zentral oder dezentral? Und tut man beides, dann ist die Frage: Wessen Planung gilt? Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns in diesem Prozesspositionieren und überlegen, wie so ein Landeshochschulentwicklungsplan ganz konkret funktionieren kann. Es muss unbedingt ein Prozess sein, der von unten nach oben aufgebaut wird. Diese Top-Down-Struktur des Referentenentwurfs erscheint mir kein gangbarer Weg.

Zuletzt wurde den Hochschulen viel Autonomie gegeben — im Vergleich zu den Jahrzehnten davor. Ist das nun eine Art Paradigmenwechsel?

Von Grünberg Wir sind tatsächlich ein wenig verblüfft. Warum macht Wissenschaftsministerin Svenja Schulze das eigentlich? 37 Hochschulen im Lande kann niemand führen wollen — das will sie ja auch gar nicht. Was genau ist dann ihr Motiv? Das Hochschulwesen in NRW hat sich in den vergangenen Jahren fantastisch entwickelt. Wir sind mit großen Zahlen von Studienanfängern und dem doppelten Abiturjahrgang zurechtgekommen, wir haben uns in der Forschung toll entwickelt. Die Hochschullandschaft blüht und gedeiht. Warum bloß diese Veränderung? Es gab keine Fehlentwicklung, auf die man nun hätte reagieren müssen. Wir sind alle gut mit unserem Geld umgegangen — insbesondere die Hochschule Niederrhein. Aber offensichtlich ist das Ministerium nicht zufrieden mit den Erträgen dieser Autonomie für das Land.

Was haben Sie aus Ihrer Autonomie gemacht?

Von Grünberg Wir haben große Entscheidungen getroffen. Wir haben den Erweiterungsbau in Krefeld auf den Weg gebracht, die Drittmitteleinwerbung erheblich gesteigert, den Fachbereich Gesundheitswesen gegründet, das duale Studium vorangetrieben und mit der Wirtschaft eng zusammengearbeitet, zum Beispiel mit der NEW das "Blauhaus" geplant. Und wir haben uns 40 zusätzliche Professuren geleistet — all das waren Entscheidungen einer autonomen Hochschule.

Haben Sie Sorge, dass die Hochschulen — ähnlich wie die Schulen — zum Spielball für Parteipolitik werden?

Von Grünberg Ja, da kann durchaus was dran sein. Nehmen wir zum Beispiel die Zivilklausel, also die Verpflichtung der Hochschulen und Unis, einen Beitrag "zu einer nachhaltigen und friedlichen Welt" zu leisten. Klingt gefällig, aber so etwas gehört nicht ins Gesetz. Wissenschaftliche Erkenntnissuche sollte frei von jedweder, auch wohlmeinender staatlicher Einflussnahme sein. Ein Gesetz sollte schon aus Stilgründen nicht vorgeben, wozu die Wissenschaft Beiträge zu leisten hat und wozu nicht. So funktioniert nun einmal der Wissenschaftsoptimismus der Moderne: Überlasse die Forschung ihrer eigenen Logik und Du hast einen Garanten für den zivilisatorischen Fortschritt.

Wie wichtig ist die Wirtschaft für die Hochschule?

Von Grünberg Für die Fachhochschulen ist die Wirtschaft einer der wichtigsten Partner. Die Hochschule will ja nicht in erster Linie akademisches Wissen produzieren, sondern akademisches Wissen lehren und dann zeigen, wie man es praktisch nutzt. Der Übertrag von Wissen in die Gesellschaft, in die Wirtschaft — darin besteht unser Bildungsauftrag. Wir müssen uns fragen, welche Akademiker die Wirtschaft benötigt. Welche Fähigkeiten und Qualifikationen brauchen unsere Absolventen aus Sicht der Unternehmen? Die Partnerschaft mit der Wirtschaft ist daher für uns essenziell.

Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Unternehmen und der Hochschule? Wir haben ja eine Region, die vor allem von mittelständischen Firmen geprägt ist. Wie kann man da den Austausch herstellen?

Von Grünberg Die Schnittstelle ist der Hochschulrat, der sich aus der Welt da draußen und der Hochschule zusammensetzt. Ein Scharnier, das gut funktioniert. Da stoßen aber auch zwei Welten aufeinander. Das ist der Punkt, wo die Welt draußen uns fragt, ist das relevant, ist das wichtig, was ihr da tut? Da geht es immer hoch her. Wir haben außerdem das Deutschlandstipendium, bei dem es darum geht, die Wirtschaft frühzeitig an unsere Studierenden zu binden. Wir haben Kooperationen mit Unternehmen im Bereich Forschung und Transfer und das Angebot an die Studierenden, ihre Abschlussarbeit in einer Firma zu schreiben.

Da funktioniert also dieses Prinzip wirklich, die Hochschule für die Region zu sein.

Von Grünberg Ja, es funktioniert sehr gut. Wir verstehen ja viel mehr von unseren Unternehmen und Studierenden in Krefeld und Mönchengladbach als irgendjemand in Düsseldorf. Wir wissen am besten, was in der Region funktioniert und mit welchen Partnern man das verwirklicht.

Wie hat die Hochschule den doppelten Abiturjahrgang verkraftet?

Von Grünberg Wir haben so ziemlich genau die erwartete Zahl von Studienanfängern gehabt. Eine Punktlandung sozusagen. Aber es ist noch nicht vorbei. Wir rechnen noch mit einer zweiten Welle, nachdem sich viele Abiturienten vielleicht ein Jahr Auszeit genommen haben. Wir werden durch die zweite Welle zum nächsten Wintersemester etwa 14 500 Studenten haben — eigentlich ist die Hochschule auf 10 000 Studenten ausgelegt. Aber bei uns wird niemand auf dem Boden sitzen müssen. Das kann ich versprechen.

Gibt es Ideen für neue Studiengänge?

Von Grünberg Wir sind gerade dabei, unseren neuen Studiengang E-Health zu bewerben. Diese Mischung aus Gesundheitsinformatik und Management ist bundesweit interessant. Außerdem bin ich sehr stolz auf den Studiengang Angewandte Therapiewissenschaften — ein duales Studium mit einer Ausbildung an einer Physiotherapieschule in Kombination mit dem Studiengang Healthcare-Management. Dann kommt der Master "Energiewirtschaftsingenieurwesen". Außerdem sollten wir in Zukunft noch stärker die Lebensmittelwissenschaften ausbauen. Da gibt es auch hier vor Ort eine interessante mittelständische Infrastruktur.

Die Hochschule bekommt im Masterplan eine wichtige Rolle zugeschrieben — als neue Mitte, als Klammer zwischen Rheydt und Mönchengladbach. Das nimmt langsam Gestalt an. Da ist viel Bewegung drin, oder?

Von Grünberg Der Einsatz von Rolf Königs für die Textilakademie hat wirklich eine Menge gebracht. Tolle Entwicklung. Mit der Textilakademie und unserem Know-how in Sachen textiler Forschung und Lehre wird Mönchengladbach dann zum Mekka der textilen Ausbildung. Die Hochschule wird sich aber auch darüber hinaus weiterentwickeln und das heißt dann automatisch: Wir brauchen weitere Entwicklungsflächen, was den Masterplanern ja auch ein Anliegen war.

Das Polizeipräsidium ist keine Option für Sie?

Von Grünberg Wenn wir uns verändern wollen, können wir nur in Richtung Polizeipräsidium wachsen. Über die Weiterverwendung der Flächen des Präsidiums muss man sorgfältig nachdenken — ein Science-Campus wäre eine gute Möglichkeit. Dort könnten sich kleine Unternehmen, innovative Firmen oder Gründer ansiedeln. Das würde dann ja auch dem Masterplan entsprechen.

Es haben sich zahlreiche Studenten — vor allem auch aus dem Ausland — gemeldet, die ihre Kaution vom Studentenwohnheim nicht zurückbekam. Auch Sie haben sich eingeschaltet.

Von Grünberg Ich habe in Abstimmung mit dem ASTA einen Brief geschrieben — und mir wurde gesagt, dass bis Ende Februar alles zurückgezahlt ist. Aber in erster Linie vertritt der ASTA die Studenten — und das machen die auch wirklich sehr gut.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN RALF JÜNGERMANN, INGE SCHNETTLER UND ELFI VOMBERG.

(RP)
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