Mönchengladbach Entdeckungsreise auf dem Friedhof

Mönchengladbach · Bei einer Führung über den evangelischen Friedhof am Wasserturm erfuhren acht Konfirmanden, wie unterschiedlich Gräber sein können. Außerdem lernten sie, warum sich das Sterben auch mit einem Schmetterling vergleichen lässt.

 Ulrike Gresse, Trauerbegleiterin und Religionspädagogin, führte die Konfirmanden über den Friedhof.

Ulrike Gresse, Trauerbegleiterin und Religionspädagogin, führte die Konfirmanden über den Friedhof.

Foto: Detlef Ilgner

Der Himmel ist grau, der Boden matschig, die Füße sind kalt. Sanfter Regen fällt. "Echtes Friedhof-Wetter eben", sagt Ulrike Gresse, Trauerbegleiterin und Religionspädagogin, und lacht über das Prasseln der Tropfen hinweg. Um sie herum haben sich auf dem evangelischen Friedhof am Wasserturm acht Konfirmanden der Christuskirchengemeinde versammelt. Ein Spaziergang über den Friedhof? Nicht eben das, was junge Menschen um die zwölf Jahre sonst so um 10 Uhr am Samstag machen.

Doch dass man hier mehr finden kann als Trostlosigkeit, davon ist Gresse überzeugt. Heute möchte sie den Konfirmanden darum mit Pfarrer Wolfgang Hess und Gemeindepädagogin Mabel Agbor-Pearson zeigen, was sich zwischen Bäumen, Grabsteinen und Kränzen so entdecken lässt. Und dabei beweisen, dass ein Friedhof trotz aller Trauer manchmal auch zu einem Ort des lauten Lachens werden kann.

Die Führung beginnt bei einer alten Schieferplatte an der Wand der Friedhofshalle, die ursprünglich vom alten evangelischen Friedhof auf dem Fliescherberg stammt und das Grab der 1690 verstorbenen Johanna Herminghausen - der Ehefrau des ersten Gladbacher Pfarrers an der dortigen Kirche - deckte. Ein Totenkopf, wie er auch auf dem Pullover von Konfirmand Justin abgebildet ist, blickt düster von ihr herab, "Sterben ist mein Gewinn" liest man wenige Zentimeter darunter. Der Tod als Gewinn? Ist das nicht komisch? Und ein Totenkopf nicht auch ein finsteres Zeichen für ein Grab, das doch Trost spenden soll? Mit den Rosen, die Gresse aus einem geflochtenen Korb hervorholt und an die Gruppe verteilt, können die Jugendlichen als Symbol der Liebe schon mehr anfangen. Mit ihnen machen sich die Konfirmanden auf den Weg über den Hof. "Schön, dass man hier draußen die Jahreszeiten erkennen kann", sagt Gresse mit Blick auf die goldbraunen Blätter. "Man kann sehen, wie sich etwas verändert: Etwas stirbt, und trotzdem weiß man, dass im nächsten Frühjahr wieder Neues entsteht". Diese Hoffnung und Zuversicht strahlen auch die kleinen Figuren auf dem Grab aus, um das sich die Gruppe nun stellt. Hier wirkt alles schon viel freundlicher. Björn erzählt ruhig, was es auf dem Grab seines Großvaters zu entdecken gibt: gefaltete Hände, rote Kerzen, einen Engel mit freundlichem Gesicht - Symbole, die sich auch auf vielen weiteren Gräbern finden lassen. Langweilig wird der Friedhof dadurch aber keinesfalls: Kein Ort gleicht dem anderen. Mal ist nur ein einziger Name zu lesen, mal eine Aneinanderreihung neun verschiedener Personen, die sich ein Familiengrab teilen. Riesige Grabsteine gibt es, ein Grabfeld mit einigen Pfarrern, die in Alt-Gladbach arbeiteten, imposante Engelsfiguren, Gräber wie Tempel, Himmelsgemälde, leid- und friedvolle Figuren. Aber auch verlassene Grabflächen sieht man hin und wieder.

"Schade, dass sich hier keiner mehr kümmert", sagt Ben. Gresse antwortet ihm: "Da viele Jüngere heute wegziehen, kann keiner mehr zur Pflege vorbeikommen. Nach 25 Jahren läuft das Grab aus, und die Fläche wird für eine andere Person frei". Anders ist das bei dem monumentalen Grab von Marianne Bölling, das an ein Haus oder eine Kirche erinnert. Obwohl Bölling 1846 beigesetzt wurde, ist das Grab noch da. "Warum ist das so?", fragt der zwölfjährige Sebastian. "Sie war die erste Frau, die auf dem Friedhof beigesetzt wurde. Das Grab ist also historisch so wichtig, dass es weiter restauriert wird", klärt Hess ihn auf.

Anschließend geht es nochmals zur Friedhofshalle. Gresse hat einen kleinen, himmelblauen Sarg dabei, der von Björn, Sebastian, Ben und ihr wie bei einer echten Feier an vier Griffen hineingetragen wird. Traurig wirkt der Sarg indes nicht: Herzen, Handabdrücke, Häuser, Blumen und ein Regenbogen schmücken ihn. Jeder der acht Konfirmanden kann sich einen Gegenstand herausnehmen, über den Gresse aufklärt. Eine Schmuckurne, ein Trauerkranz und eine laminierte Todesanzeige werden ohne Scheu gegriffen: "Kinder und Jugendliche sind oft noch unbefangen, was den Tod angeht. Häufig sind es die Erwachsenen, die sich im Umgang mit dem Thema schwertun", sagt sie. Was da helfe, seien konkrete Gegenstände, die das Thema wortwörtlich begreifbar machen. So hält Gresse zum Abschluss für jeden noch einen kleinen Holzschmetterling bereit: "Mit dem Tod ist es wie mit der Raupe, die sich irgendwann in ihren Kokon einwickelt. Von außen sieht es so aus, als komme nun nichts mehr. Doch irgendwann entwickelt sich die Raupe zum Schmetterling und fliegt davon." Und auch draußen gibt es einen Lichtblick: Die Regenwolken haben sich langsam vom Friedhof verzogen.

(mcv)
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