Mönchengladbach Kläranlage: Viel mehr als nur Gestank

Mönchengladbach · Von Faultürmen und Schaumlachen: RP-Mitarbeiterin Anke Schönlau hat den Mikrokosmos Kläranlage unter die Lupe genommen.

 Auch nach drei Jahren im Ruhestand führt Karl-Günter Borg noch gerne Besucher über das Areal.

Auch nach drei Jahren im Ruhestand führt Karl-Günter Borg noch gerne Besucher über das Areal.

Foto: Isabella Raupold

Wenn Sie morgens um 7 Uhr in Bonnenbroich vor dem Spiegel stehen und sich die Zähne putzen, weiß Karl-Günter Borg darüber Bescheid. Er weiß es auch, wenn Sie das in Hardt, Korschenbroich oder sogar Willich tun. Auch über Ihre Fernsehgewohnheiten kann er etwas sagen: "Bei großen Fußballspielen sieht man das ganz gut. 45 Minuten passiert wenig, dann laufen in der Halbzeit alle zur Toilette, danach wieder 45 Minuten nichts."

Die Rede ist von der Kurve, die anzeigt, wie viel Wasser gerade in die Kläranlage in Neuwerk läuft. 25 Anlagen betreibt der Niersverband im gesamten Niersgebiet, die Anlage in Neuwerk ist die älteste und größte. Bauingenieur Borg hat hier viele Jahre gearbeitet, nach drei Jahren im Ruhestand führt er trotzdem gerne Besucher über das Areal. Um die eine Frage direkt zu beantworten: Ja, es riecht. Manchmal gar nicht, manchmal heftig. Auch nach langen Arbeitsjahren. "Ich rieche das schon noch. Aber den Geruch beim Bauern finde ich ehrlich gesagt schlimmer", sagt Borg lachend.

Also los zur ersten Station, dem Rechen. Hier bleibt alles hängen, was fest und größer als sechs Millimeter ist. Das sind Unmengen an Toilettenpapier, Müll, der eigentlich nicht ins Abwasser gehört, oder auch mal eine tote Ratte. Zu Klumpen gepresst wandert das Ganze in die Müllverbrennungsanlage.

Mönchengladbach hat größtenteils Mischwasserkanäle, das heißt, Regen- und Abwasser fließen durch den gleichen Kanal. Doch selbst an trockenen Tagen sind es noch bis zu 150 000 Kubikmeter Wasser aus Gladbach, Viersen, Süchteln-Vorst, Anrath, Willich, Jüchen und Teilen von Korschenbroich und Heinsberg, die durch den Rechen fließen. Das grobe Zeug ist nun raus, doch wie wird diese Brühe wieder so klar, dass man sie wieder in die Niers leiten kann?

Durch das Vorklärbecken läuft das Wasser nur gemächlich; so können sich kleinere Partikel, etwa Sand, am Boden absetzen und abgepumpt werden. Den besten Blick auf diese großen Becken hat man vom Dach der Faultürme. In diesen 45 Meter hohen Behältnissen, drei Stück sind es in Neuwerk, wird der Schlamm aus den Vorklärbecken gespeichert. Bakterien zersetzen die Masse, es entstehen Gase wie Methan. Das Methan wird dann in hauseigenen Blockheizkraftwerken in Strom umgewandelt. Bis zu 70 Prozent ihres eigenen Strombedarfs deckt die Kläranlage so. "Das Ziel ist jedoch völlige Energieautarkie", sagt Margit Heinz vom Niersverband. Derzeit werden, in Kooperation mit der NEW, Kleinwindanlagen getestet, um es zu erreichen.

Auf die Vorklärung folgt die biologisch-chemische Reinigung. Wieder große Becken, diesmal weniger Gestank, dafür ein neuer unschöner Anblick: Auf dem Wasser schwimmen braune Schaumlachen. Dieser Schaum besteht aus Kleinstlebewesen, die das Wasser reinigen. Prozesse, wie sie auch in der Natur ablaufen, nur nicht in dieser Konzentration. An manchen Stellen wird Sauerstoff zugeführt, den die Bakterien für ihre Arbeit benötigen. Ganz ohne Chemie geht es jedoch nicht. Zum Abbau von Phosphaten, wie sie etwa in Waschmitteln enthalten sind, wird eine Eisensulfatlösung ins Wasser gegeben. Nur ein Becken bildet die Ausnahme, wo stattdessen ein grüner Pflanzenteppich auf dem Wasser schwimmt. "Hier hat wohl mal jemand einen Teil seiner Aquarienpflanzen mit in den Ausguss geschüttet", erklärt Borg. "Die fühlen sich in dem nährstoffreichen Wasser genauso wohl wie die Bakterien."

Jetzt ist der Weg vom Abfluss bis zur Niers fast geschafft: In den Nachklärbecken sinken die letzten Stoffe im Wasser zu Boden, in kleinen Rinnsalen läuft das gesäuberte Wasser aus dem Becken, bereit, in den Nierssee geleitet zu werden. Doch es ist noch kein Trinkwasser. Dazu benötigt es speziellere Reinigungsprozesse. Der Schlamm, der aus allen Klärprozessen übrig bleibt, wird entwässert, gepresst und landet in einem großen Betonbecken. Hier wartet er auf die Fahrt zur Müllverbrennungsanlage. "Früher wurde das auch zurück auf die Felder gegeben, heute macht man das aber nicht mehr", erklärt Borg. Das liege etwa an Medikamenten aus der Landwirtschaft, die nicht komplett entfernt werden können. Methoden, um den Schlamm noch besser zu klären, sind in Arbeit.

Gut zwei Stunden dauert die Führung - ein Blick hinter die Tore der Kläranlage lohnt sich. Denken Sie mal dran, wenn Sie morgens zähneputzend vor dem Spiegel stehen.

(ansc)
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