Mensch Gladbach Ein Plädoyer für mehr Lebenswirklichkeit

Mönchengladbach · Nehmen wir uns die Freude am Unkonventionellen, wenn wir alles nur noch an Richtlinien ausrichten? Es wirkt immer häufiger so, weil das Starre zunehmend Leitmotiv des Handelns wird. Und müssen wir Pöbeleien ertragen? Eigentlich nicht.

Stellen Sie sich mal vor, Sie stehen in Ihrem Garten und schauen in die Ferne. Der Blick ist aber gestört, weil ein Baum, ein Blumentopf oder die Hollywood-Schaukel im Wege stehen. Und Sie entscheiden: Muss alles weg! Ich brauche freie Sichtachsen! Gut, ich gebe zu: Das ist stark überzeichnet, wenn ich den freien Blick über die Gartenanlage mit der Forderung von Stadtplanern vergleiche, die allenthalben fordern: Die Sichtachse muss frei sein! Das war vor einigen Jahren so, als die Kreativen eines Berliner Büros den Rheydter Marktplatz planten. "Die Sichtachse," raunten die bundesweit anerkannten Gestalter, und unsere Politiker wiederholten ehrfurchtsvoll: "Ja, ja, die Sichtachse. Die müssen wir erhalten. Unbedingt!"

Damit sie mich nicht missverstehen: Der Rheydter Marktplatz ist schön geworden. Aber Opfer der freien Sichtachse wurden einige stattliche Bäume, das Stadtkassenportal und der alte Brunnen. Und irgendwann reichte es den Bürgern, die den ganzen Planungsprozess begleitet haben, und sie forderten den Wiederaufbau des Portals. Das geschieht, wenn auch an einem anderen Standort im Theaterpark. Wenn aber jetzt eben diese engagierten Bürger schöne Blumenkübel für nicht störend halten, wird wieder der Sermon von freien Sichtachsen zum Grundsatz allen Handelns.

Denn was sich in den zu starren Regeln einer Gestaltungssatzung widerspiegelt, ist das, was die Sichtachsen-Philosophie am Ende ausmacht: Der ganze Architekten-Sprech wird zum Maßstab, und wir verinnerlichen eine Gestaltung so, wie man sie auf Zeichnungen sieht: immer elegant, immer sauber, immer schick, immer hell. Und die Menschenfiguren, die darauf abgebildet sind, wirken wie Playmobil für Architektur-Gebildete.

Leider ist die Wirklichkeit nie so. Oder anders: Zum Glück ist die Realität nicht so. Denn auch das vermeintlich Hässliche, das Unkonventionelle, das Überraschende kann schön sein. Meist entspricht es auch der Lebenswirklichkeit. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Das ist kein Plädoyer für billigen Kram, für Plastikblumentöpfe und Fünf-Euro-Stapelstühle. Und um dem Grotesken noch einen Hut aufzusetzen, gilt auf dem Rheydter Marktplatz diese kuriose Sonderregelung, dass Blumentöpfe aufgestellt werden dürfen, wenn die MGMG etwas veranstaltet. Da gilt die Gestaltungsrichtlinie nicht, obwohl die MGMG eine Stadttochter ist. Deshalb: Macht die Richtlinie lebensnaher!

Zu anderen Plätzen, zum Bismarckplatz und zum Tellmann-Platz. Was sich da täglich abspielt, ist eine Zumutung. Trinkerszenen hat es immer gegeben. Auch Obdachlose. Und es ist wichtig, dass sich diese Gesellschaft um die sozialen Ausgegrenzten, um die Armen kümmert. In dieser Woche habe ich erlebt, wie eine alte Frau rund um St. Marien in Rheydt die Zigarettenstummel aufhob, weil oberhalb des Filters ein Rest Tabak war. Wir können täglich erleben, wie Menschen die Papierkörbe nach Essbarem und Pfandflaschen absuchen. Zum Glück haben wir hier in der Stadt viele Menschen, die sich kümmern. Die Tafel zum Beispiel. Oder das Arbeitslosenzentrum. Oder das Diakonische Werk mit dem Café Pflaster.

Was mich ärgert: Auf Bismarckplatz und Tellmannplatz, in Parks, Hauseingängen und vor Supermärkten finden sich immer mehr Menschen zusammen, die pöbeln, beschimpfen, drohen. Muss man das akzeptieren? Nein! Vielleicht hilft es, wenn es auf den Plätzen ein Alkoholverbot gibt. Testen wir es.

(RP)
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