Interview Die Tafel gibt Lebensmittel an tausend Familien

Mönchengladbach · Monika Bartsch, Vorsitzende der Mönchengladbacher Tafel, spricht über die Unterstützung von Flüchtlingsfamilien, die Suche nach einem neuen Standort und die Eigenschaften von ehrenamtlichen Helfern.

Frau Bartsch, im letzten Jahr ist die Zahl der Tafel-Kunden durch die ankommenden Flüchtlinge in kurzer Zeit stark gewachsen. Herrscht bei Ihnen das Chaos?

Bartsch Mittlerweile nicht mehr, wir haben die Lage gut im Griff. Aber zu Beginn war es tatsächlich eine Herausforderung. Zweihundert bis zweihundertzwanzig Flüchtlingsfamilien kamen zu den achthundert Familien, die wir mit Lebensmitteln unterstützen, hinzu. Das mussten wir organisatorisch erst einmal stemmen. Wir haben einen weiteren Ausgabetag nur für Asylsuchende eingerichtet, nämlich den Montag. An diesem Tag hatten wir vorher keine Lebensmittel bei Supermärkten abgeholt. Jetzt fahren wir vormittags zwei zusätzliche Touren und geben die Lebensmittel direkt am Nachmittag aus. Die Supermärkte sind ganz dankbar, dass wir jetzt die Sachen abholen können, die sie am Samstag aussortiert haben. Sie müssen weniger wegwerfen, und wir können die Lebensmittel am Nachmittag an die Flüchtlingsfamilien ausgeben. Ihre Zahl ist auf etwa 170 zurückgegangen, weil viele in die Westbalkanstaaten zurückgekehrt sind oder vom Jobcenter betreut werden. Organisatorisch klappt jetzt alles prima, auch weil inzwischen ein Flüchtling mitarbeitet, der dolmetschen kann.

Brauchen Sie mehr Mitarbeiter, um die zusätzliche Arbeit zu bewältigen?

Bartsch Nein, wir haben rund hundert ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die regelmäßig mitarbeiten. Das funktioniert gut. Wir arbeiten in Teams: zwei bis drei Leute pro Wagen, zwanzig pro Team beim Sortieren, ebenso bei der Ausgabe der Lebensmittel. Überall brauchen wir auch immer starke Männer, die Kisten transportieren und stapeln. Es gibt eine gewisse Fluktuation, aber wir können die Arbeit gut bewältigen. Inzwischen helfen auch einige Flüchtlinge mit. Auch andere unserer Kunden stoßen manchmal zu unserem Helferteam und machen mit. Andere Tafeln sind nicht so gut aufgestellt, was die Ehrenamtler angeht. Sie haben versucht, mit bezahlten Kräften zu arbeiten und sind inzwischen insolvent.

Sie müssen den Standort am Fleener Weg aufgeben und umziehen. Wissen Sie schon, wohin die Tafel geht?

Bartsch Wir wissen seit zwei Jahren, dass wir umziehen müssen und haben uns nach Alternativen umgesehen. Einige Dinge müssen dabei beachtet werden: Der Standort muss gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein, die Räumlichkeiten müssen groß genug sein und dürfen nicht in einer reiner Wohngegend liegen. Vor allem aber dürfen die Kosten nicht zu hoch sein, wir sind ja rein spendenfinanziert. Wir haben uns inzwischen Etliches angeschaut und die EWMG hat mitgeholfen. Sachstand: Die Verhandlungen über die Anmietung eines Viertels der Fläche des TIN im Nordpark sind fortgeschritten. Die Fläche ist völlig frei, in gutem Zustand und das Herrichten würde sich lohnen. Die Anlieferung könnte von hinten erfolgen, es gibt genug Parkplätze und drei in der Nähe liegende Bushaltestellen. Es gäbe nur bei einem Heimspiel der Borussia an einem Mittwoch Probleme. Aber das ist ja früh genug bekannt, so dass man sich darauf einstellen kann.

Welche Investitionen wären nötig? Können Sie die stemmen?

Bartsch Die EWMG hat einen tollen Plan erarbeiten lassen. Es müssen natürlich Zwischenwände eingezogen werden. Wir brauchen Lager- und Ausgaberäume, Büros, Toiletten, eine Küche, einen Sozialraum. Finanziell sollten wir das geregelt bekommen. Wir haben Rückstellungen gebildet, aber ich spreche auch mit Firmen, die vielleicht Arbeiten für uns übernehmen können. Wichtig ist für uns, dass die Miete so gering wie möglich ist, hohe laufende Kosten sind schwerer zu bewältigen als einmalige Umbaukosten. Wir sprechen auch Stiftungen an, um so einen Teil der Umzugskosten zu decken. Ich denke, dass wir das alles geregelt bekommen.

Wann wäre es so weit?

Bartsch Vermutlich in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres.

Wie sieht es finanziell aus? Ist das Spendenaufkommen stabil?

Bartsch Wir haben Großspender für bestimmte Projekte wie den Umzug oder auch neue Transporter. Ansonsten machen kleinere Spenden anlässlich runder Geburtstage oder Ähnlichem viel aus. Wir bekommen außerdem Bußgelder, und im letzten Jahr gab es sogar eine Erbschaft.

Wie entwickeln sich die Zahlen Ihrer Kunden? Gibt es außer dem Zuwachs durch Flüchtlinge noch andere Veränderungen?

Bartsch Prinzipiell ist Ruhe eingekehrt im vergangenen Jahr. Wir haben gemerkt, dass die Ansiedlung von großen Logistikbetrieben Jobs geschaffen hat und auch Langzeitarbeitslose untergekommen sind. Jetzt geben wir Lebensmittel an tausend Familien aus. Ein Drittel davon sind Alleinerziehende mit Kindern, ein Drittel Familien, ein Drittel Rentner. Altersarmut ist spürbar. Mir persönlich tut das immer am meisten weh.

Welche Probleme haben Ihre Kunden?

Bartsch Das ist meist vielschichtig. Es geht nicht nur um Arbeitslosigkeit, sondern es kommen meistens noch eine Menge anderer Probleme hinzu. Es gibt etliche, die kommen mit ihrem Betreuer.

Ihre Kunden sind multikulturell. Bemerken Sie den Unterschied der Esskulturen?

Bartsch Ja, natürlich. Die Russlanddeutschen etwa verwenden Kohl in allen Variationen. Türkische Familien brauchen große Mengen an Salat. Spargel kennen wenige und Rosenkohl liegt wie Blei. Beim Fleisch müssen wir natürlich zwischen Schwein und Rind und Huhn unterscheiden. Wir haben jetzt Schilder, die ein ehrenamtlicher Mitarbeiter gemalt hat, der wunderbar zeichnen kann. Auch wir lernen übrigens gern dazu. Wenn jemand Topinambur mitnimmt, fragen wir schon mal, was man damit machen kann.

Arbeiten Sie mit sozialen Einrichtungen oder Tafeln zusammen?

Bartsch Selbstverständlich. Wir beliefern zum Beispiel regelmäßig das Arbeitslosenzentrum. Große Gebinde stellen wir immer schon für den dortigen Mittagstisch zur Seite. Die Köchin im Arbeitslosenzentrum ist toll und macht aus allem etwas. Auch mit den Tafeln in der Umgebung tauschen wir uns aus, zum Beispiel bei Großspenden bestimmter Produkte. Die Grevenbroicher Tafel hat Kontakt zu einem Fleischproduzenten in Norddeutschland und holt dort Lieferungen ab. Wir beteiligen uns an den Fahrtkosten und bekommen einen Teil der Produkte.

Die Gladbacher Tafel hat hundert ehrenamtliche Helfer. Gibt es bestimmte Fähigkeiten, die man braucht, um bei Ihnen mitzuarbeiten?

Bartsch: Wer an der Ausgabe arbeitet, muss freundlich im Umgang sein, aber auch mal klar Nein sagen können. Niemand sollte barsch die Lebensmittel in die Kiste werfen, aber man muss auch deutlich sagen, wenn etwas nicht geht und auch ertragen können, wenn die Kunden mal motzen. Der Umgang ist nicht immer einfach. Wer das nicht kann oder will, hilft beim Sortieren oder macht die Runde bei den Supermärkten. Wir haben auch zwei Sponsorenbetreuer, die den Kontakt zu den Supermärkten halten, nach Problemen fragen und mit den Mitarbeitern an der Rampe sprechen. Deshalb ist der Kontakt so wichtig.

Gibt es Dankbarkeit von Seiten Ihrer Kunden?

Bartsch Es ist eine menschliche Eigenart, dass man sich an Gutes schnell gewöhnt, aber die Dankbarkeit ist wirklich groß.

G. PETERS, A. RIETDORF UND R. JÜNGERMANN FÜHRTEN DAS INTERVIEW

(RP)
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