Redaktionsgespräch Michael Grosse Die Situation ist beglückend und produktiv

Mönchengladbach · Der Generalintendant des Theaters spricht über Borussia, Bautzen, sein Ensemble, Theater mit Zukunft III und seine persönliche Zukunft.

 Der 54-jährige Michael Grosse ist künstlerischer und wirtschaftlicher Leiter des Theaters.

Der 54-jährige Michael Grosse ist künstlerischer und wirtschaftlicher Leiter des Theaters.

Foto: Andreas Endermann

Herr Grosse, Sie sind oft im Borussia-Stadion, und jetzt haben Sie die Spielzeit in Mönchengladbach mit einer Revue über Borussia eröffnet. Sie kennen den Fansong "Die Elf vom Niederrhein", aber können Sie alle Strophen mitsingen? Auswendig.

Michael Grosse Ich denke, ich bin so weit sattelfest bei dem Lied, dass ich mit den Fans durch alle Strophen komme. Im Notfall mach' ich im Stadion nur den Mund auf und zu.

Und wie steht's mit "Die Seele brennt"?

Grosse Auch das kann ich singen, aber mein Lieblingslied unter den Borussia-Hymnen ist "Es gibt nur eine Borussia".

Nun beherrschen in "Wir sind Borussia" die Farben grün, weiß und schwarz die Theaterbühne. Wie kamen Sie darauf, den Theatersaal zur Nordkurve umzufunktionieren?

Grosse Wir hofften, damit bekommen wir einen sehr emotionalen Abend hin, der anders als gewohnt abläuft. Das hat geklappt, und es ist sehr interessant, das Verhalten des Publikums zu beobachten.

Wie reagieren die Zuschauer denn auf Martin Maier-Bodes und Tobias Wesslers Inszenierung?

Grosse Bei der zweiten Vorstellung ist noch klarer als in der Premiere deutlich geworden, dass wir damit ein Heimspiel für die Gladbacher bieten. Es waren viele Familien im Theater, und der Saal stand von Anfang an. Ich schätze, dass 90 Prozent der Theaterbesucher Gladbach-Fans sind. Sie haben gejubelt, Banner und Fahnen geschwenkt.

Wollen Sie so Fußballfans vermehrt ins Theater lotsen?

Grosse Das hoffe ich doch sehr! Damit wird, glaube ich, für viele eine Schwelle abgebaut.

Das Zwei-Städte-Theater macht seine Programme für Mönchengladbach und Krefeld. Kommt die Borussia-Revue auch nach Krefeld?

Grosse Auf jeden Fall wird "Wir sind Borussia" 2017/18 auch in Krefeld gespielt werden, wir haben das Stück zum Beispiel für die Silvestervorstellung 2017 dort angesetzt. Nebenbei, ich kenne viele Borussia-Fans in Krefeld. Mal sehen, wie die Nachfrage sich entwickelt, in Mönchengladbach sieht es auf jeden Fall vielversprechend aus.

Wie lange gingen Sie im Vorfeld mit der Idee schwanger, der Borussia eine szenische Liebeserklärung zu widmen?

Grosse Die Idee kam von Tobias Wessler, der seit Jahren immer wieder als Gast an unserem Theater mitwirkt. Er sprach mich zu Beginn meiner Intendanz darauf an, das war vor fast sechs Jahren. Nach der Interimsspielphase im TiN haben wir uns 2014 bemüht, den Türöffner beim Verein zu finden. Markus Aretz, Medienchef der Borussia, hat den Entwurf gelesen und uns wertvolle Infos und Tipps gegeben.

Theater soll unterhalten, aber auch Ansprüche stellen. So wird am 1. Oktober erstmals in Gladbach das Stück "Kein schöner Land" gebracht, darin geht es um Flüchtlingsproblematik.

Grosse Die Autoren Lothar Kittstein und Hüseyin Michael Cirpici haben dafür in Flüchtlingsunterkünften in Krefeld recherchiert und viele Originalzitate gesammelt. Das Stück ist in Krefeld gut gelaufen, war mit mehr als 60 Prozent im großen Haus ordentlich ausgelastet.

Sie haben eine Zeit lang in Bautzen das Deutsch-Sorbische Volkstheater geleitet. Wie beurteilen Sie die jüngste Entwicklung in dieser Stadt, wo Rechtsextremisten sich mit Flüchtlingen Straßenschlachten lieferten?

Grosse Die Bilder, die ich zu sehen bekam, beunruhigen mich sehr. Bautzen ist ein Ort der Hochkultur, eine schöne Stadt, die als das Nürnberg des Ostens gepriesen wird. Dort leben die beiden Volks- und Sprachgruppen, Sorben und Deutsche, einträchtig miteinander, alles ist zweisprachig, es gibt ein sorbisches Gymnasium. Ich bin fassungslos darüber, was dort passiert ist.

Theater muss sich, das gehört zu seinem Auftrag, auch mit aktuellen Entwicklungen in der Gesellschaft auseinandersetzen.

Grosse Richtig, es muss das thematisieren, was die Menschen beschäftigt. Aber ich glaube, dies sollte abwägend und dosiert geschehen. Manchmal ist es richtig, das Publikum auch einfach in Ruhe zu lassen. Dafür haben wir Musical, Operette und komische Stücke im Spielplan.

Unterscheiden sich, je nach Thematik, auch die Zuschauer, die ins Theater kommen? Geht das Publikum bei der großen Spannweite des Angebots mit?

Grosse Es gibt Unterschiede in der Besucherstruktur, aber die für uns sehr wichtige Kerngruppe der Abonnenten vollzieht die unterschiedlichen Werke des Spielplans mit und bleibt dem Theater in seiner breit aufgestellten Angebotspalette treu. Ich bin überzeugt, dass Abonnenten nicht nur seichte Unterhaltung haben möchten.

Bekommen Sie viel Rückmeldung von Besuchern?

Grosse Es kommen viele Briefe und Mails an. Ich lege Wert darauf, möglichst viele davon persönlich zu beantworten, und zwar zeitnah. Wenn also ein Theaterbesucher samstagabends in der Vorstellung einen dicken Hals bekommen hat und danach seinen Ärger formuliert, bekommt er sonntagmorgens zum Frühstück bereits eine Antwort von mir. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass durch unverzügliche Reaktion in vielen Fällen die drohende Kündigung eines Abonnements verhindert werden konnte.

Rechnen Sie damit, dass der "Barbier von Sevilla" in der Inszenierung des experimentierfreudigen Regisseurs Kobie van Rensburg, der Samstag Premiere hatte, das Zeug zu einem Blockbuster mitbringt?

Grosse In Krefeld war das Stück höchst erfolgreich, ich gehe davon aus, dass Kobies brillante szenische Einrichtung der Musik Rossinis optimal gerecht wird und das Stück deshalb auch hier zu einem Renner wird.

Ein Ensembletheater schafft Verbindungen auch aufgrund der personellen Kontinuität. Sänger, Schauspieler und Tänzer sorgen für Sympathie, gerade weil die Akteure in unterschiedlichen Rollen erscheinen. Wer ist für Sie das Gesicht des Ensembles?

GRosse Ich mag da keinen einzelnen Künstler hervorheben, das Ensemble ist das Gesicht des Theaters. Mal spielt jemand einen König, mal kehrt er die Manege. Langjährige Mitglieder des Ensembles haben treue Anhänger im Publikum. Da ist Debra Hays, die seit 25 Jahren im Opernensemble singt, oder der Schauspieler Joachim Henschke, der einen Lear ebenso überzeugend auf die Bühne bringt wie bei der Borussia-Revue einen abgetakelten Fußballfan. Auch besondere Leistungen schaffen Bindungen, so wenn Eva Spott in "Rio Reiser" ein Stück auf der Violine spielt und das ganz sauber intoniert.

Sie setzen in der GmbH Theater das Konzept "Theater mit Zukunft" um. Das ist bereits fortgeschrieben worden. Planen Sie schon "Theater mit Zukunft III"?

Grosse Ganz so weit ist es noch nicht, aber im nächsten Jahr werden wir mit den Planungen für eine weitere Anpassung starten. Wegen der alljährlich gravierender als angesetzt ausfallenden Tariferhöhungen mussten wir wiederholt auf ein Fluktuations-Management zurückgreifen. Damit ist die vorübergehende Nichtbesetzung von Stellen verbunden. Das wollen wir mit neuem Konzept künftig ausschließen.

Können Sie sich vorstellen, an diesem Theater alt zu werden?

Grosse Nanu, ganz jung bin ich ja jetzt schon nicht mehr. Immerhin habe ich als Intendant an verschiedenen Theatern 25 Jahre hinter mir, und als Schauspieler bin ich sogar schon 35 Jahre aktiv. Aber es stimmt: Die Situation hier nimmt sich beglückend für mich aus, gefühlt ist das eine sehr produktive Phase.

Unter Ihrer Intendanz ist am Theater das Opernstudio eingerichtet worden. Junge Sänger erhalten erste Bewährungschancen auf der Bühne.

Grosse Operndirektor Andreas Wendholz hatte 2011 die Idee, mit Hilfe von Sponsoren ein Opernstudio einzurichten. Es ist eine Erfolgsgeschichte.

Ist das Erfordernis von Sponsoring nicht eine zwiespältige Sache? Einerseits hilfreich, bedeutet es andererseits, dass die öffentliche Hand versucht sein könnte, sich aus bestimmten Aufgaben zurückzuziehen.

Grosse Dazu besteht die Gefahr am Theater nicht. Dazu nimmt das Sponsoring einen zu geringen Anteil ein. Aber ich freue mich, dass sich die Unterstützung privater Förderer seit 2010 verdoppelt hat. Genauso wichtig wie die Zuwendungen von Sponsoren ist die Zusammenarbeit mit Partnern wie der Hochschule Niederrhein.

INGE SCHNETTLER, DIRK RICHERDT, RALF JÜNGERMANN UND KARSTEN KELLERMANN STELLTEN DIE FRAGEN.

(ri-)
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