Serie Gladbacher Lesebuch (15) Die katholische Jugend aus Waldhausen

Mönchengladbach · Zwei Autoren berichten in dieser Folge des Lesebuchs von ihren Erlebnissen in Kindheit und Jugend, die sie noch bis heute prägen.

 Zu Fronleichnam schmückten die Jugendlichen den Platz vor der Waldhausener Kirche mit einem Blumenteppich. Die Vorbereitungen dafür begannen schon am Abend zuvor. Übernachtet wurde daher im Jugendheim.

Zu Fronleichnam schmückten die Jugendlichen den Platz vor der Waldhausener Kirche mit einem Blumenteppich. Die Vorbereitungen dafür begannen schon am Abend zuvor. Übernachtet wurde daher im Jugendheim.

Foto: Marga Vogts

Im Jahre 1938 wurde ich geboren. Mit meinen Eltern, meinem Bruder, Großeltern und Tanten wohnte ich auf der Karstraße, zwischen Holt und Waldhausen. Während des Krieges waren meine Mutter und mein älterer Bruder zweimal im Osten von Deutschland evakuiert. Wir erlebten dort, was es heißt Flüchtlinge zu sein. Nach einer traumatischen Flucht zurück in die Heimat, besuchte ich die Volksschule Waldhausener Höhe. Alle Kinder des Viertels waren dort anzutreffen. Wegen Schulraummangel gab es in unserer Schule Schichtunterricht, zusammen mit der Schule Kabelstraße. Die Lehrer gaben sich große Mühe, uns mit Schreiben, Lesen und Rechnen vertraut zu machen.

Ein Lehrer ist mir in guter Erinnerung geblieben. Dr. Freund war Studienrat und hatte Großes mit uns vor. Seinen Unterricht empfand ich als besonders interessant. Ich weiß heute noch, dass er uns den Begriff "sozial" mit dem Beifahrer eines Motorrades erklärte, denn dieser gehört mit dem Fahrer eng zusammen. Allerdings hatte dieser hervorragende Lehrer mit uns Rabauken seine disziplinarischen Schwierigkeiten. Um Ruhe in die Klasse zu bringen, wurden viele Kinder an die Wand gestellt. Er las dazu einfach die ersten zehn Schüler nach dem Alphabet aus dem Klassenbuch vor. Bis heute ist die Reihenfolge der Namen noch in meinem Gedächtnis. In späteren Jahren unterrichtete uns eine sehr engagierte Lehrerin, Frau Pülgartz. Wir lasen bei ihr Weltliteratur mit verteilten Rollen, besprachen Gemälde, besuchten nach gründlicher Vorbesprechung eine Oper oder statteten dem Botanischen Garten einen Besuch ab. Man konnte in dieser Volksschule viel lernen. Die Schulaufgaben waren zu Hause immer schnell gemacht, und es ging auf die Straße zum Spielen.

Im Sommer waren Seilchenspringen, Völkerball, Fußball, Hinkeln, Verstecken und Fangen angesagt. Der oft eisige und mit viel Schnee daherkommende Winter lud uns zu Schlittenfahrten und zu Schneeballschlachten ein. Es gab keine Langeweile. Alle Kinder durften mitspielen. Auf unserer Straße wohnte ein altes, vornehmes "Fröllein". Wir Kinder waren ihr immer zu laut, zu frech und völlig unerzogen. Einmal haben wir uns für die Schelte gerächt. Wir bauten ihre Haustüre mit leeren Konservendosen zu und klingelten Sturm. Aus sicherer Entfernung harrten wir der Dinge, die nun folgen würden. Sie kam zur Haustüre, öffnete sie und stand vor der Wand aus leeren Dosen. Großes Hallodri, schlimmes Geschimpfe, ohrenbetäubender Lärm der fallenden Dosen. Aus sicherer Entfernung genossen wir das Schauspiel.

Für uns war das Leben aber nicht immer voller Fröhlichkeit. Der Mangel an allen Dingen des täglichen Lebens war beträchtlich. Die meisten von uns konnten allerdings von den Früchten des eigenen Schrebergartens den größten Hunger stillen. An manchen Tagen gab es bereits morgens zum Frühstück Bratkartoffeln, weil kein Brot zu bekommen war. In vielen Familien traf die Nachricht vom Tod des Vaters ein. Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Nachbarschaft. Die Nachbarn besuchten die betroffene Familie und sprachen ihr Trost und Hilfe zu .

Mein älterer Bruder war seit einiger Zeit in der katholischen Jugend Waldhausen zu Hause. Er besuchte voll Begeisterung einmal pro Woche die Gruppenstunde. Endlich war auch ich zehn Jahre alt und durfte zur Gruppenstunde. An materiellen Gütern waren wir arm, aber an diesen Nachmittagen wurde das alles vergessen. Singen, Spielen, Lachen mit gleichaltrigen Mädchen und dazu viel Unsinn machen, eine gar herrliche Sache. Hilde, unsere Gruppenleiterin, hatte so ihre Mühe mit der Rasselbande. Es gab eine große Zahl von Gruppen in der Pfarre St. Peter Waldhausen. Als wir ein paar Jahre dabei waren, durften wir bei manchen Aktionen mitmachen.

Ich erinnere mich, dass wir zu Allerseelen die vergessenen Kindergräber auf dem Friedhof in Ordnung brachten, dass wir zu Weihnachten alte und kranke Menschen in der Pfarre besuchten. Wir sangen Weihnachtslieder, brachten ein Bild und eine Kerze und lasen das Weihnachtsevangelium. Ich wunderte mich damals, warum die Leute oft weinten. Im Sommer gingen wir auf große Fahrt. Zu Fuß in die Jugendherberge Hardter Wald, mit dem Fahrrad nach Hinsbeck oder an den Niederrhein. Die Tage waren angefüllt mit Wanderungen und Spielen. Abends müde, aber glücklich am Lagerfeuer zu sitzen und stundenlang Fahrtenlieder zu singen, die wir in den Gruppenstunden gelernt hatten, war einfach toll. Wir träumten von einem Leben in Frieden und Freiheit. Es waren unbeschwerte, glückliche Tage. Ein paar Jahre später, wir waren inzwischen 15 Jahre oder etwas älter, entdeckten die Mädchen, dass nicht alle Jungen doof waren und umgekehrt. Für den Sonntagnachmittag wurde Tanz im Sälchen angesagt. Mit großer Begeisterung gingen wir hin. Wer würde mich zum Tanz auffordern? Eine große Frage! Aber irgendwie fand sich immer einer. Ganz spannend! In die Zeit des Tanzens im Monat Mai fiel die Maiandacht. Für uns kein Problem. Wir machten eine Tanzpause und besuchten die Maiandacht, um anschließend weiter mit großer Begeisterung zu tanzen.

Fronleichnam war ein ganz besonderes Fest für uns. Wir legten große Blumenteppiche auf den Kirchplatz und schmückten auch die umliegenden Straßen. Die Sache ging bereits schon in den Abendstunden des Mittwochs los. Wir trafen uns im Jugendheim, versehen mit Essen, Trinken, einer Garderobe für die Fronleichnamsprozession, einem Schlafsack und viel Vorfreude auf eine arbeitsreiche Nacht mit guten Freunden. Bis zum Morgen haben wir es immer geschafft. Auch für ein Stündchen Schlaf im Jugendheim blieb noch Zeit. Natürlich besuchten wir auch die Messe um 8 Uhr. Der schmutzige Kittel wurde ausgezogen. Nachher ging es noch weiter bis alles fertig war. An den Fastnachtstagen erfreuten die älteren Jugendgruppen die Eltern und alle Gemeindemitglieder mit einem sehenswerten Programm. In Moritaten, Sketchen und munteren Liedern wurden das Gemeindeleben und auch die große Politik auf die Schippe genommen. Es war eine gute Zeit für uns. Wir lernten viel über das Leben, lasen Bücher miteinander und diskutierten uns die Köpfe heiß über Gott und die Welt. Ich muss noch heute die Geduld unserer Jugendkapläne Johannes Lennartz und Arthur Koch bewundern, die uns in unserer stürmischen Argumentation immer ernst nahmen.

In der Kaiser-Friedrich-Halle konnten wir für ein paar Mark im Jugendring Theater, Oper und Operette besuchen, nicht ohne vorher bei Schultens Eiscafe für zehn Pfennig ein Eis gekauft zu haben. Als ich mit 15 Jahren dann selbst eine Gruppe bekam, konnte ich von all dem Erlebten einiges weitergeben. Es waren Kinder aus einem sozialen Brennpunkt, die natürlich auch zu uns gehörten. Mit diesen Kindern umzugehen, machte große Freude, verlangte aber auch Verantwortung und Fürsorge.

Ich weiß von vielen Jugendfreunden, dass diese Zeit in der Katholischen Jugend Waldhausen bis heute für sie unvergessen ist und ihr Leben geprägt hat.

(RP)
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