Serie Zu Besuch Im Schrebergarten (1) Die Hundertjährige, die in den Garten geht und dort junges Gemüse zieht

Mönchengladbach · Hildegard Franken ist das älteste Vereinsmitglied der Kleingartensiedlung Pongs. Jeden Tag geht sie in ihren Garten. Kraft geben ihr Obst und Gemüse von dort.

 Hildegard Franken ist im Kleingarten Pongs etwas Besonderes: "Es wird ja nicht jeder 100, nicht?", sagt die Rheydterin.

Hildegard Franken ist im Kleingarten Pongs etwas Besonderes: "Es wird ja nicht jeder 100, nicht?", sagt die Rheydterin.

Foto: Hans-Peter Reichartz

Mit 100 Jahren? "Alles wie immer" , sagt Hildegard Franken, spitzt ihre Lippen, hebt die Mundwinkel, funkelt mit den Augen und schiebt ihren Rollator wenige Zentimeter weiter. Vorbei an Gurken, Möhren, Rote Bete, Kohlrabi und Spargel. "So viele faule Äpfel - die müssen mal weg", sagt Hildegard Franken. So laut, dass es ihr Sohn hören kann, und so bestimmt, dass man verstehen kann: Ich habe hier alles im Blick.

 Die Frankens sind Selbstversorger, und das können sie auch: Sogar Sanddorn wächst in ihrem Garten.

Die Frankens sind Selbstversorger, und das können sie auch: Sogar Sanddorn wächst in ihrem Garten.

Foto: Lisa Kreuzmann

In zwei Monaten wird Hildegard Franken 101 Jahre alt. Von ihrem Schrebergarten an der Schützenstraße 61 wohnt sie nur wenige Meter entfernt. Von ihrem Küchenfenster aus kann sie eine der Deutschlandfahnen in der Kleingartenanlage sehen. Wenn ihr der Sinn danach steht, schiebt sie ihren Rollator in den Aufzug, fährt nach unten und geht die wenigen Schritte in ihren Garten. "Ich wollte mich gesund ernähren", sagt die gebürtige Rheydterin. "Ich wollte raus, ich wollte ins Freie."

Hildegard Franken ist 1916 geboren. Als junge Frau hat sie als Erzieherin für schwer erziehbare Jugendliche gearbeitet, im Zweiten Weltkrieg haben Fliegerbomben die Schreinerwerkstatt ihres Vaters zerstört, mit 27 Jahren erkrankte sie an Leberzirrhose, 1950 kam ihr Sohn Friedhelm zur Welt, vier Jahre später ihr zweiter Sohn Daniel. Hildegard Franken ist zufrieden. "Ich wünsche mir nichts", sagt sie. "Es war schon gut so."

 Friedhelm Franken in seinem Element: Etwas warm ist es dort.

Friedhelm Franken in seinem Element: Etwas warm ist es dort.

Foto: Lisa Kreuzmann

Heute Mittag kocht die Hundertjährige Brokkoligemüse für sich und ihren Sohn. Friedhelm Franken ist 66 Jahre alt und betreut seine Mutter. Nach dem Tod des Vaters Anfang der 80er Jahre haben Mutter und Sohn beschlossen: Wir brauchen einen Garten. Nummer 21, ein Eckgrundstück. Ein niedriger Maschendrahtzaun lässt Nachbarn am Naturerlebnis teilhaben. Mehr als 300 Quadratmeter Boden, auf dem Kapuzinerkresse, Stockrosen und Schwarze Johannisbeeren gedeihen. Die Beeren isst die Hundertjährige jeden Morgen zum Frühstück. "Aufs Müsli", sagt Hildegard Franken. "Die sollen ja so gesund sein." Das Obst und Gemüse aus ihrem eigenen Garten mag sie am liebsten. "Die spritzen so viel", sagt sie. "Die" sind die anderen, die Landwirte, die Industriegesellschaft, die Welt, wie sie 2017 ist, die, mit denen die Hundertjährige nicht viel zu tun hat. Hildegard Franken ist einer Zeit aufgewachsen, in der sich die Menschen selbst versorgt haben. "Kochen ist wichtig", sagt Hildegard Franken. "Aber heute kochen die ja nicht mehr, nicht?".

Die Hundertjährige hat keinen Fernseher, kein Internet. Mit dem Handy sei sie nicht zurechtgekommen, erzählt der Sohn. Aber dass sich die Stadt verändert, das merke sie wohl. "Die Geschäfte von früher gibt es nicht mehr", sagt die Rheydterin. Dass sich die Welt um sie inzwischen viel schneller dreht, bekomme sie nicht mit, sagt Friedhelm Franken. "Meine Mutter lebt mehr in der Vergangenheit." An den Krieg denke sie aber nicht mehr, sagt sie selbst. "Das ist vorbei."

Was sie aber ihr Leben lang begleitet, sind der Wunsch und auch die Notwendigkeit, sich und ihrem Körper mit gesundem Essen Gutes zu tun. Seit ihrer Diagnose mit Ende 20 hält die Rheydterin Diät. Schonkost, wenig Fleisch. "Wir kaufen nichts dazu", sagt Friedhelm Franken. In ihrem Garten haben die beiden alles, was sie brauchen: Zucchini, Lauch, Petersilie, Kartoffeln, Weißkohl, Tomaten, Paprika, Rhabarber, Heidelbeeren, Brombeeren, Cranberries - sogar einen Pfirsichbaum gibt es. Die Pfirsiche vom Nachbarn seien aber dieses Jahr besser. "Nur noch ein bisschen fest", ruft der Schrebergarten-Nachbar über den Zaun.

66 Kleingarten-Einheiten gibt es in dem Rheydter Verein. Die Siedlung gibt es seit mehr als 70 Jahren. Wer sich hier aufhält, sucht nicht nur die Natur, sondern auch eine Beschäftigung. Hildegard Franken ist, wenn sie kann, jeden Tag in ihrem Garten. Sie fegt die Hütte und hilft ihrem Sohn bei der Gartenarbeit. Im Haushalt macht sie die Wäsche. "Das ist selbstverständlich", sagt die Hundertjährige. Beschwerlich sei die Hausarbeit nicht. "Ich fühle mich gut."

Mit 93 Jahren ist Hildegard Franken an Darmkrebs erkrankt und wurde operiert. Mit 95 Jahren hatte sie einen Schlaganfall. Schmerzen oder Probleme habe sie heute aber nicht. Jeden Nachmittag möchte sie ins Auto steigen und von ihrem Sohn herum gefahren werden. An die Orte ihrer Kindheit, zur Dalheimer Mühle, in den Hardter Wald. "Da ist unser Vater mit uns Kindern früher spazieren gegangen", erzählt Hildegard Franken. Vier Schwestern hatte die geborene Hildegard Otten. Eine der Schwestern ist heute 96 Jahre alt, die anderen beiden erreichten mit über 90 Jahren ebenfalls ein hohes Alter. Auch die Mutter wurde 92 Jahre alt. Gute Gene? Die Hundertjährige zuckt mit den Schultern und grinst. Vielleicht also.

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