Mönchengladbach Die Gladbacher Linie, die Deutschland teilt

Mönchengladbach · Sie haben sich schon immer gefragt, wo lang die Linie verläuft, von der es sowohl zum nördlichsten, als auch zum südlichsten Punkt Deutschlands genau so weit ist? Nein? Auch nicht schlimm. Was nur ganz wenige wissen: Diese Mittellinie führt genau durch Mönchengladbach.

Mitten durch Mönchengladbach
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Mitten durch Mönchengladbach

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Foto: Maximilian Krone

Los ging es für mich an der Stadtgrenze zu Korschenbroich. Dort führt die Linie unmittelbar an Haus Horst vorbei. Drum herum, nichts als Felder. Der Blick schweift ab in die Ferne, im Hintergrund sind große, weiße Quellwolken zu sehen, die aus den Kühltürmen der Kohlekraftwerke aufsteigen. Nach wenigen hundert Metern bin ich schon in der Stadt - zumindest, wenn man dem Haltestellenschild glauben mag. Dieses steht am Rande der kleinen, gleichnamigen Siedlung, umgeben von Äckern. Im Journalismus würde man das Bild-Text-Schere nennen.

Auf meiner Fahrt in Richtung Tackhütte genieße ich die Ruhe. Von lärmenden Autos fehlt jede Spur. Selbst in der Siedlung ist es ruhig. Die Vorgärten wirken bestens gepflegt, alles hat entlang der Mittellinie dort seine Ordnung. Hier und dort werden Büsche gestutzt. Aus den gekippten Fenstern der Häuser strömt der Duft eines deftigen Mittagessens.

Hungrig fahre ich weiter entlang von blühenden Rapsfeldern in den Zoppenbroicher Park. Am dortigen Weiher, der genau auf der Linie liegt, mache ich Rast. Auf einer Bank an dem stillen Gewässer genieße ich Sonne und Natur. Denn ich ahne schon, was nach dem Verlassen des Parks auf mich zukommt: die Stadt. Und dieses Mal stimmt die Bezeichnung. Mit der Ruhe ist es spätestens auf der Friedensstraße vorbei. Lkw und Autos zwängen sich an mir und meinem Fahrrad vorbei. Ich bin froh, als ich auf der verkehrsberuhigten Stresemannstraße ankomme. Daneben, wenige Meter von der Mittellinie entfernt, liegt der Rheydter Markt. Cafés und der große Platz vor dem Rathaus laden zum Verweilen ein.

Ich aber fahre weiter, schalte einige Gänge zurück, denn es geht Berg auf - hin zum Pongser Friedhof. Dort fällt mir eine reich verzierte Säule aus Metall auf. Sie zeigt die Ordensträger des Morrscher Jong der Karnevalsfreunde Rot-Schwarz-Grün Rheydt West. Die Stadt habe ich dort schon fast hinter mir gelassen. Um mich herum wieder Einfamilienhäuser. Auf einer Wiese entdecke ich Hasen, Eier und Hühner. Ostern scheint dort noch nicht vorbei zu sein.

Die Autobahn 61 markiert den Übergang zwischen Siedlung und Land. Für Radfahrer beginnt spätestens dort wieder der schöne Teil der Strecke. Das Land ist flach, der Ausblick idyllisch. Zumindest, wenn man sich nicht von meterhohen Stacheldrahtzaun ablenken lässt, der die Strecke teils begrenzt. Dahinter befindet sich Militärgelände.

Zwischen Borussia-Park und Kothausen streift die Mittellinie die Gladbacher Straße. Über Gerkerath und Koch gelangt man über Felder und Wiesen zum ehemaligen Stadtteil Hauptquartier. Ein Gebiet, das einen auf seltsame Weise in seinen Bann zieht. Menschen begegne ich dort nicht. Es herrscht eine gespenstische Stille, obwohl es Mitten am Tag ist. Zu meiner Rechten, das riesige, durch einen Bauzaun abgeriegelte Gebiet. Zu meiner Linken der Militär-Friedhof Rheindahlen. Er hat geöffnet, ich betrete ihn. Unzählige weiße Grabsteine sind dort zu sehen. Auf ihnen englische Namen. Von einem Kirschbaum fallen Blüten bei lauem Wind langsam zu Boden - Gänsehaut. Von 1954 bis 2013 waren auf dem riesigen Areal britische Soldaten stationiert. Ich verweile einen Moment. Versuche mir vorzustellen, wie es dort wohl damals aussah. Vor vielen Jahrzehnten, als dort noch rund 10.000 Menschen lebten und arbeiteten.

Wenige Meter weiter führt eine Straße auf den ehemaligen Eingang des Geländes zu. Auch dort ein Bauzaun. Halbverwitterte Schilder erinnern an die militärische Funktion des Ortes. "Have Identity Documents Ready - Ausweis- und Kfz-Kontrolle" ist auf einem zu lesen. An diesem Ort endet meine Tour. Die Mittellinie passiert dort die Stadtgrenze. Dahinter ist es nicht weit bis zur niederländischen Grenze.

Rund vier Stunden habe ich gebraucht. Für Heimat- und Geschichtsinteressierte ist die Tour empfehlenswert. Etwas verwundert war ich, dass die Stadt diese Strecke nirgends erwähnt. Natürlich ist die Linie keine große Sensation und sollte auch nicht mit dem Null-Meridian verglichen werden, der durch Paris führt. Dort sind ins Pflaster eingelassene bronzene Plaketten in der ganzen Stadt verlegt worden, die den Verlauf der Linie anzeigen. Vielleicht wäre das oder eine Beschilderung aber auch was für Mönchengladbach.

Ich jedenfalls habe viel gesehen, besonders auf dem Land. Dort, wo man mit dem Auto kaum hinkommt. Dort, wo man das hektische Treiben hinter sich lassen kann. Dort, wo spürbar wird, was unsere Heimat ausmacht.

(maxk)
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