Mönchengladbach Die einsamste Straße der Stadt
Mönchengladbach · Seit anderthalb Monaten ist Mönchengladbachs jüngster Straßenabschnitt freigegeben. Am Fahrbahnrand blühen Blumen und gedeihen Bäume. Nur Autos fahren hier kaum. Weil keiner die Strecke kennt - und weil sie noch nirgends hinführt.
Hallo, ich bin's, die Neue! Sie kennen mich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, aber ich bin Mönchengladbachs neuester Straßenabschnitt. Anfang Mai wurde ich für den Verkehr freigegeben - und seitdem warte ich. Darauf, dass was passiert. Dass mal jemand auf mir fährt. Ein Auto, ein Fahrrad, ein Bus, irgendwas. Ich fühle mich nämlich einsam. Und mir ist entsetzlich langweilig.
Mittlerweile habe ich ein wenig die Befürchtung, dass ich so ende wie meine entfernte Verwandte, die Toulouser Allee. Die führt seit Ende 2011 mitten durch Düsseldorf, und es wurde ihr mal prophezeit, dass 20.000 Autos pro Tag die wirklich sehr praktische Nord-Süd-Verbindung nutzen würden. Pustekuchen. Bis heute gibt es sogar Taxifahrer in der Landeshauptstadt, die noch nie von ihr gehört haben.
Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt: An meinem nördlichen Ende führe ich noch bis Mitte 2017 ins Nichts, denn erst dann ist der nächste Bauabschnitt fertig. Und für den übernächsten und letzten soll sogar die Planung erst Ende dieses Jahres vorliegen. Bis dahin ist meine Nützlichkeit, gelinde gesagt, schon arg eingeschränkt. Eigentlich biete ich nur den anrainenden Unternehmen einen Mehrwert. Und so sind es wohl für mindestens ein weiteres Jahr fast ausschließlich deren Lkw und Kastenwagen, die auf mir rollen. Alle Jubeljahre mal. Gestern Mittag, als mir ein RP-Redakteur freundlicherweise einen Besuch abstattete, einer pro Viertelstunde.
Und dabei habe ich so viel zu bieten! Breite Fußwege zu beiden Seiten, auf denen Sie flanieren oder entlangradeln könnten. Frisch gepflanzte Bäume, die in wenigen Jahren einen herrlichen Allee-Charakter ergeben werden. Fast mannshohe Wildblumen, zu jeweils beiden Seiten der Fußwege, mit bunten Schmetterlingen und Hummeln. Denn dankenswerterweise hat hier noch keiner gemäht, und so biete ich eine innerstädtische Blütenpracht, dass ihresgleichen sucht.
Pflücken Sie doch mal einen Blumenstrauß auf mir! Allein die Kornblumen reichen für alle Haushalte der Stadt. Ferner habe ich Mohn, Kamille, Margeriten, Klee, Wicken, Sauerampfer, Habichtskraut und Hahnenfuß im Angebot, um nur einige zu nennen. Die Disteln blühen auch gerade, wie der wilde Raps, aber die können Sie ja links liegenlassen. Oder rechts, da ist auch genug Platz. Kommen Sie jedenfalls unbedingt mal her - eine malerischere Mittagspause kann man sich nämlich gar nicht vorstellen. Schlendern Sie ein paar hundert Meter in die eine Richtung, dann ein paar hundert Meter in die andere - sie werden keiner Menschenseele begegnen, können in der Natur entspannen, und das mitten in der Stadt. Und ich bin nicht mehr ganz so alleine. Nur: Wer bin ich? Wo bin ich? Sie haben keine Ahnung? Dann gehen Sie doch suchen! Oder raten! Und warten bis morgen, dann gibt's an dieser Stelle die Auflösung.