Redaktionsgespräch Frank Mund "Die Diesel-Krise ist Politikversagen"

Mönchengladbach · Der Kreishandwerksmeister und Präsident des Kfz-Verbands NRW über das drohende Fahrverbot und den Fachkräftemangel im Handwerk.

"Besonders angespannt ist die Lage im Sanitär- und Elektrohandwerk", sagt Kreishandwerksmeister Frank Mund.

"Besonders angespannt ist die Lage im Sanitär- und Elektrohandwerk", sagt Kreishandwerksmeister Frank Mund.

Foto: Hans-Peter Reichartz

Herr Mund, die größte akute Sorge der Handwerker dürfte derzeit der Diesel sein. Auch für Mönchengladbach droht ein Fahrverbot. Wie viele Betriebe wären davon betroffen?

Frank Mund Es gibt in Mönchengladbach rund 3500 Handwerksbetriebe, von der Ein-Mann-Firma bis zum Betrieb mit 150 Mitarbeitern. Alle haben mindestens ein Fahrzeug, viele natürlich auch deutlich mehr. 83 Prozent der von Handwerksfirmen verwendeten Wagen fahren mit einem Diesel. Es gibt auf dem Markt praktisch keine Transporter, die keinen Dieselmotor haben. Mit anderen Worten: Von Fahrverboten wären Handwerker sehr intensiv betroffen. Andere Bürger aber auch. Mehr als 90.000 Menschen pendeln täglich entweder nach Gladbach hinein oder aus Gladbach heraus. Darunter sind sehr viele Dieselfahrer. Die wären alle betroffen. Dabei handelt es sich bei der Krise um die Dieselmotoren um Politikversagen.

Politikversagen? Wieso das? Es waren doch Konzerne wie VW, die betrogen haben.

Mund Ja, es gibt Konzerne, die betrogen haben. Aber andere haben ihre Produkte so gebaut, dass sie innerhalb des Prüfzyklus' die Werte einhalten, so wie es vorgeschrieben war. Auch die Fahrer dieser Autos sind jetzt von den drohenden Fahrverboten und dem Wertverlust betroffen. Das ist eine kalte Enteignung. Die Politik hat die Frage der Stickoxidgrenzwerte zu lange ignoriert. Hätte man rechtzeitig eine Reglung mit vergleichbarem Vorlauf wie 2007 bei der Feinstaubverordnung geschaffen, hätten wir das Problem nicht. Beim Feinstaub gab es einen Vorlauf von sechs Jahren, es wurden Nachrüstsysteme entwickelt und Plaketten eingeführt. Das hat alles gut geklappt. Wären 2010 entsprechende Regeln bei den Stickoxiden im Rahmen der 39. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes eingeführt worden, hätten Industrie und Verbraucher genügend Zeit gehabt, sich darauf einzustellen. Ersatzinvestitionen hätten entsprechend vorgenommen werden können, die Entwicklung von Hardware-Nachrüstsystemen wäre analog zu den Dieselpartikelfiltern erfolgt, und es gäbe längst die entsprechenden Plaketten.

Herr Mund, Sie sind auch Präsident des Kfz-Verbandes NRW. Welche Lösung erwarten Sie in der Diesel-Krise?

Mund Ganz klar: Wir erwarten eine Positivliste, die festlegt, welche Autos von Fahrverboten ausgenommen werden. Es muss eine verlässliche Aussage geben, unter welchen Bedingungen welche Autos von einem möglichen Fahrverbot befreit werden, also zum Beispiel mit Hardware nachgerüstete Euro-5-Motoren. Das Ganze muss bundesweit einheitlich geregelt werden. Es kann nicht sein, dass jede Stadt eine eigene Regelung einführt.

Rechnen Sie mit einem Fahrverbot in Mönchengladbach? Eine Grenzwertüberschreitung gibt es ja nur an der Aachener Straße.

Mund Ich hoffe, dass ein Fahrverbot in Mönchengladbach vermeidbar ist. In unserer Stadt erfolgen die Messungen der Stickoxid-Werte an zwei Stellen. Es gibt eine Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung, das ist gar keine Frage. Kohlendioxid- und Feinstaubemission hatte man bis jetzt im Blick, die Werte haben sich deutlich verbessert, bei Stickoxiden gibt es noch Nachholbedarf. Da muss schon etwas passieren, aber eben nicht auf dem Weg der kalten Enteignung. Das Auto ist nach dem Eigenheim das teuerste Gut, das die Menschen sich anschaffen. Das kann man nicht einfach wegnehmen. Was Fahrverbote in Mönchengladbach angeht, gehe ich davon aus, dass die Umsetzung des Luftreinhalteplans zu einer Unterschreitung der Grenzwerte führen wird. Die Stadt würde Fahrverbote sicher nur dann verhängen, wenn sie gerichtlich dazu gezwungen wird. Zumindest finanziell betroffen sind jedoch alle unsere Kunden und Handwerker von Fahrverboten schon dann, wenn nur eine Stadt im Bundesgebiet zu dem Mittel "Fahrverbot" greifen sollte.

Wenn in Folge dessen alle Elektro-Fahrzeuge wollten, wären Handel und Werkstätten überhaupt darauf eingerichtet?

Mund Es werden jetzt nicht alle plötzlich ihren Diesel in ein Elektro-Auto tauschen. Aber grundsätzlich ist die Branche vorbereitet. Seit 2013 werden alle Azubis auch an Elektro-Motoren ausgebildet. Wir qualifizieren auch nach: Im Haus des Handwerks halten wir einen Smart, einen Ampera und einen Audi Q5 bereit, an denen Hochvolt-Technologie geschult wird. Auch die Hersteller bieten entsprechende Schulungen. Das ist alles kein Problem. Das Problem liegt eher in der Infrastruktur.

Gibt es zu wenig Zapfstellen für E-Autos?

Mund Es gibt so viele Zapfstellen wie in Auftrag gegeben werden. Die NEW baut ihr Netz aus. Auch die Autohändler, die E-Fahrzeuge anbieten, werden durch ihren Hersteller verpflichtet, Zapfstellen zu erstellen. Es ist jetzt wichtig, das Netz intelligent zu optimieren. Die Infrastruktur muss aufgebaut, gegen Vandalismus gesichert und auch optisch ansprechend gestaltet werden. Und wir müssen über Synapsen nachdenken, also über die Frage der intelligenten Vernetzung der Verkehrsmittel. Es wäre zum Beispiel denkbar, an der Radstation das Auto zum Auftanken abzustellen und währenddessen mit dem Fahrrad weiterzufahren. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass sich das Nutzerverhalten ändern wird, wenn wir mehr E-Fahrzeuge haben: E-Fahrzeug-Fahrer sind wie Smartphone Nutzer, sie haben immer ein Ladekabel zur Hand und immer den Blick auf die nächste Lademöglichkeit.

Sie sind auch Kreishandwerksmeister. Die Auftragsbücher der Handwerker sind voll. Wer einen braucht, muss lange auf einen Termin warten. Wie gut geht es dem Handwerk in Gladbach?

Mund Dem Handwerk geht es richtig gut. Der Geschäftsklimaindex hat im Herbst 2017 ein Allzeithoch erreicht. Aber es gibt auch Probleme. 30 bis 40 Prozent der Betriebe suchen Fachkräfte. Die Wartezeiten für die Kunden werden deshalb immer länger. Viele müssen zwischen sechs und zehn Wochen auf einen Handwerker warten. Besonders angespannt ist die Lage im Sanitär- und Elektrohandwerk.

Aber bei einem Rohrbruch kann doch kein Kunde sechs Wochen warten.

Mund Nein, da kommt der Handwerker natürlich direkt. Aber was verschiebbar ist, wird verschoben. Neubauten von Einfamilienhäusern leiden besonders darunter.

Steigen dadurch auch die Preise?

Mund Es kann sich auf die Preise auswirken, aber im Allgemeinen ist der Wettbewerbsdruck doch sehr hoch. In manchen Gewerken kommen die Kräfte aus Osteuropa und melden hier ein Gewerbe an, zum Beispiel als Trockenbauer oder Fliesenleger. Sie sind dann selbstständig, arbeiten teilweise als Subunternehmer und sind als Selbstständige nicht an den Mindestlohn gebunden.

Seit Jahren steigt die Zahl der Studierenden. Findet das Handwerk noch genug Auszubildende?

Mund Es ist schwierig, aber es ist nicht nur das Handwerk betroffen. Die duale Ausbildung insgesamt leidet. Die Zahl der Abiturienten eines Jahrgangs bewegt sich auf 70 Prozent zu und die allermeisten davon wollen studieren. Das ist eine große Herausforderung für uns. Wir müssen die duale Ausbildung "sexy" und "facebook-kompatibel" machen. Es gilt nicht nur den einzelnen Jugendlichen zu erreichen. Sein Umfeld muss die Berufsentscheidung auch "cool" finden. In unserem Berufsbildungszentrum versuchen wir, das Handwerk mit allen Sinnen erlebbar zu machen. Mit zusätzlichen Angeboten wie dem trialen Studium, bei dem die Absolventen nach fünf Jahren einen BWL-Bachelor, einen Gesellen- und einen Meistertitel haben, wollen wir den Dialog mit den Abiturienten verstärkt aufnehmen. Aber auch bei Projekten wie "Kein Abschluss ohne Anschluss" sind wir dabei und bieten Plätze an.

Die Betriebe klagen häufig über Defizite bei den Auszubildenden.

Mund Ja, die Defizite werden sogar größer. Das fängt bei den mathematischen Kenntnissen an, geht über die sprachliche Kompetenz und die Allgemeinbildung bis hin zu den Sekundärtugenden wie Höflichkeit und Pünktlichkeit. Man kann da auch nicht nur den Schulen die Schuld geben, das ist ein gesellschaftliches Problem. Nicht alle Kinder und Jugendlichen werden durch die Eltern entsprechend erzogen und begleitet.

Gibt es nicht noch einen zweiten Konkurrenten neben der akademischen Ausbildung? Für manche scheint es attraktiver, einen Aushilfsjob anzunehmen als eine Ausbildung mit relativ niedriger Vergütung zu machen.

Mund Ja, so etwas gibt es, aber prinzipiell ist der Mangel an Auszubildenden kein Bezahlthema. Wenn das so wäre, könnten wir uns vor Maurer-Azubis nicht retten. Sie verdienen nämlich 1000 Euro im ersten Lehrjahr. Es ist ein Imagethema. Hier müssen wir ansetzen.

Wie viele Ausbildungsplätze sind im vergangenen Jahr besetzt worden? Wie sieht es in diesem Jahr aus?

Mund Im vergangenen Jahr haben über alle Gewerke 444 junge Leute ihre Ausbildung begonnen. Diese Zahl hoffen wir auch in diesem Jahr wieder zu erreichen. Offene Ausbildungsplätze finden sich noch bei den Anlagemechanikern, den Elektronikern und den Kfz-Mechatronikern.

Nicht nur bei jungen Leuten, auch bei ausgebildeten Fachkräften ist der Mangel groß. Was muss das Handwerk tun, um Fachkräfte zu binden?

Mund Wir haben in Mönchengladbach das Glück, viele familiengeführte Betriebe zu haben. Erfahrungsgemäß ist in diesen Unternehmen das Betriebsklima gut. Das ist einer der wichtigsten Faktoren für die Bindung von Fachkräften. Wer sich wohlfühlt, bleibt auch. Umso wichtiger ist es, dass Betriebe ihren eigenen Nachwuchs ausbilden.

Gibt es etwas, das die Stadt für die heimischen Unternehmen tun kann?

Mund Wir würden uns wünschen, dass solche Areale wie das Maria-Hilf-Gelände kleinteilig verkauft werden. Wenn alles an einen Investor geht, bleiben regionale Betriebe meist außen vor. Bei einem kleinteiligen Verkauf an heimische Investoren profitieren auch die heimischen Handwerksbetriebe.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN ANDREAS GRUHN UND ANGELA RIETDORF.

(RP)
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