Serie Was Macht Eigentlich? Der Hofschneider der Prinzengarde

Mönchengladbach · Hermann Fröhlings ist Maßschneider - ein Handwerk, das es kaum noch gibt. Er war einer der letzten Herrenausstatter Gladbachs.

Wenn Gladbachs Prinzengarde in ihrer rot-grauen Uniform antritt, ist die eine oder andere schon mehr als 60 Jahre alt. Original so, wie zwei Prinzgardisten sie 1952 geschaffen haben: Kunsthändler Karl Cohnen lieferte den Entwurf, Hermann Fröhlings hat ihn umgesetzt und maßgeschneidert. "Das ist Qualität, wie es sie kaum noch gibt", sagt Fröhlings mit Stolz - und Wehmut.

Der 84-Jährige hat das Maßschneider-Handwerk von der Pike auf beim Vater gelernt: vom Lehrling bis zum Meister und Lehrherrn. Wenn er heute mit wachen Augen und Ohren durch Gladbachs Innenstadt spaziert, in der er seit 84 Jahren lebt, kennt er jede Ecke, kann so viele Geschichten über Menschen und Ereignisse erzählen. Und freut sich über das wieder erwachende Leben im und um die neue Einkaufsgalerie Minto. "Sie zieht aber vor allem jüngeres Publikum an", sagt er. Und vermisst inhabergeführte Herrenausstatter. So, wie bis 1992 sein kleiner Laden an der Albertusstraße, wie Hertz-Dierks, Hoeren oder Exquisit an der Hindenburgstraße.

Das Haus an der Albertusstraße 6 hat Hermann Fröhlings senior 1931 gekauft und ist mit seiner vier Jahre zuvor gegründeten Maßschneiderei dorthin gezogen. In diesem Haus ist auch am 10. Juni 1931 sein Sohn Hermann geboren worden. Im September 1944, beim ersten großen Bombenangriff auf die Stadt, wurde es zerstört. "Nur die Straßenfront stand noch, dahinter war fast alles weg. Meine Eltern haben es gerade noch geschafft, ein paar Nähmaschinen und Zuschneidetische vor den Flammen zu retten", erzählt Fröhlings.

Sie waren der Grundstock, mit dem sein Vater, der nur wenige Monate Soldat gewesen und im April heimgekehrt war, 1945 den Wiederaufbau der Schneiderei begann - zwischen Trümmern. Der 14-jährige Sohn war im März aus der Evakuierung in einem Dorf bei Magdeburg heimgekommen: "Ein Freund und ich wurden zunächst von Soldaten, die vor den Amerikanern flohen, mitgenommen. Die letzten 250 Kilometer legten wir dann in knapp zwei Wochen zu Fuß zurück", erzählt Fröhlings. "In Düsseldorf war aber erst einmal Schluss: alle Rheinbrücken gesprengt. Doch für ein großes Stück Rohschokolade, das wir von US-Soldaten bekommen hatten, wurden wir in einem Boot mitgenommen."

Im Frühjahr 1946 war das Haus soweit hergestellt, dass es Stück für Stück wieder bezogen werden konnte. Ein alter Kunde und Baustoffhändler hatte 200 Sack Zement und andere Materalien geliefert - bezahlt mit einem Maßanzug. Für die Wiederherstellung der Treppe hatte Hermann junior waghalsig Armiereisen aus der Trümmergrube des Kaufhof gleich nebenan geholt. Er hat früh gelernt anzupacken. Zunächst in der Bäckerei seines Onkels, bei dem er wohnte und half ("Von fünf in der Früh' bis abends"), dann beim Wiederaufbau: "Jeden Tag, auch Ostern".

1946 begann seine Lehre im väterlichen Betrieb. Maßschneiderei war etwas, das ihm Spaß macht. Gut gekleidet zu sein, ist für ihn Lebensqualität. Er trägt auch heute, mit 84, immer Anzug, gut gebügeltes Hemd und Krawatte: "Etwas anderes habe ich nicht, höchstens mal was für den Urlaub an der See." Er kann nicht verstehen, wenn Männer T-Shirts unter dem Sakko tragen, ungepflegt wirken. Er ist ein "Dino" in einer Modewelt, die nicht mehr seine ist.

1959 wurde aus der Maßschneiderei der Herrenausstatter Fröhlings, kamen Pullover, Hemden, Krawatten, Strümpfe, Unterwäsche ins Angebot: "Immer weniger Herren konnten sich einen maßgeschneiderten Anzug leisten. Für Hose und Sakko braucht man 70 Arbeitsstunden, entsprechend teuer wurde er." Der kleine Laden lief gut, bis sich die Lieferanten umstellten. "Früher schickten sie Vertreter. Dann aber mussten wir zu den Firmen fahren, oft weit entfernt. Das war für meine Frau und mich zeitlich zuviel", erzählt Fröhlings.

Margret Pflipsen war 1952 als Lehrling zu seinem Vater gekommen. "Ich wollte immer schon schneidern", erzählt sie. "Und zwar Herrenanzüge, weil das anspruchsvoll ist. Da kommt es mehr auf Genauigkeit und Details an." Doch nicht nur die Liebe zum Beruf verband die beiden. 1962 heirateten sie. 1992 beschlossen sie, das Geschäft aufzugeben, ehe es eng wurde: "Wir haben nie einen Kredit aufgenommen, alle Rechnungen innerhalb drei, vier Tagen bezahlt. Das wollten wir nicht aufs Spiel setzen."

Der Ausverkauf wurde noch einmal zu einem Renner: "Zehn Tage vor Weihnachten 1992 war auch die letzte Unterhose verkauft. Wir konnten beruhigt Schluss machen." Die Hände in den Schoß legen wollte er aber nicht gleich, es gab noch genug zu tun: Zwei Wintergärten anbauen, den Kindern beim Bau ihrer Häuser in Aachen helfen. Und es blieb Zeit für Radtouren und Besuche in den neuen Bundesländern. Oder um zuzusehen, wie sich die Stadt entwickelt. Deren Geschichte hat ihn von jeher interessiert. Hermann Fröhlings hat in den 80er Jahren mit Winfried Jansen den Heimat- und Geschichtsverein wiederbelebt, mit ihm auf vielen Exkursionen zum Beispiel die alte "Rheinprovinz" zwischen Kleve und Worms erkundet, an Heimatbüchern und Bilderserien mitgewirkt. Seit 40 Jahren sammelt er alte Ansichtskarten von Mönchengladbach, an die Tausend sind es. Seine Bibliothek umfasst 3000 Bücher Heimatliteratur, Mönchengladbach und der Niederrhein.

Wenn Hermann Fröhlings ins Erzählen gerät, wird so mancher nicht müde zuzuhören, auch bei ganz simplen Alltagsgeschichten, die man heute kaum glauben mag. Zum Beispiel, wie er und seine Freunde immer die "Blauköpp" verprügelt haben: "Warum, das wussten wir eigentlich nicht. Es war halt so. Bis wir Katholiken mit den Evangelischen in eine Schule gesteckt wurden und feststellten: Das sind ja ganz normale Menschen, so wie wir."

Fröhlings' Leben als Kind und Schüler hat sich zwischen Hindenburg- und Regentenstraße abgespielt, rund um den damaligen Kaiserplatz, den heutigen Adenauerplatz. Es war ein Viertel, in dem gut situierte Bürger wohnten, die Wert auf Stil legten - und sich ihre Anzüge maßschneidern ließen.

(RP)
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