Mönchengladbach Der Charme der 1950er-Jahre-Architektur

Mönchengladbach · Metalltüren mit Glaseinsatz, klar strukturierte Häuserfronten, Skelettkonstruktionen mit farbigen Putzelementen: Die Rheydter Innenstadt ist wegen ihrer Architektur heute ein Denkmal. Viele Wohnungen müssen modernisiert werden.

 Die Kammbebauung der Hauptstraße: Die Gebäude haben Skelettkonstruktionen und Flachdächer, die Vor- und Rücksprünge der Gebäude machten Rheydts zentrale Straße zur Flanierzone.

Die Kammbebauung der Hauptstraße: Die Gebäude haben Skelettkonstruktionen und Flachdächer, die Vor- und Rücksprünge der Gebäude machten Rheydts zentrale Straße zur Flanierzone.

Foto: Stadt MG

Das Haus an der Rheydter Harmoniestraße gab den Experten Rätsel auf: Warum hat es Balkone? Warum hat es einen Rücksprung? Und warum verfügt es über Säulen, die vom Boden bis zum Dach ragen? Dieses architektonisch eigenartige Gebäude grenzt an das Wohn- und Geschäftshaus des früheren Tabakwarenhändlers Paul Wallraf, das mit seiner Stahlskelettkonstruktion ein Prototyp für das Konzept des Architekten und Stadtplaners Alfons Leitl ist. Er konnte den Experten keine Antwort geben - Leitl starb 1975. "Und dann hat man in alten Unterlagen entdeckt, dass zumindest die Fassade aus dem Altbestand war, der im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Leitl hat die Stahlstützen und die Balkone dazu genutzt, um eine Gebäudeflucht herzustellen", sagt Mönchengladbachs Denkmalpfleger Karl-Heinz Schumacher. Wer mit ihm einen Rundgang durch Rheydt macht, beendet ihn in der Gewissheit: Ja, die Architektur der späten 1940er und 1950 Jahre hat ihren ganz eigenen Charme - auch wenn der sich nicht jedem sofort erschließt. Und so gab es nicht wenige in der Stadt, die sich irritiert mit dem Zeigefinger an die Stirn tippten, als vor gut einem Jahr das Rheydter Zentrum eine Denkmalbereichssatzung bekam. Was, so hieß es damals oft, soll denn an golden eloxierten Metalltüren schön sein? Warum sind lange Häuserfronten mit vielen gleichförmigen Fenstern eine architektonische Besonderheit? Und was sollen die seltsamen Vor- und Rücksprünge in der Bebauung an der Hauptstraße?

Rheydts Architektur kann nur vor dem Hintergrund der Kriegsfolgen betrachtet werden. Von den vor dem Krieg vorhandenen 11.174 Gebäuden waren nur 934 unbeschädigt geblieben. Es gibt Fotos, die rechts und links von Rathaus und Hauptkirche riesige Schuttberge zeigen. "Ähnlich sah es in Düren, Jülich und Wesel aus. Die Menschen brauchten dringend Wohnraum. Es musste schnell etwas getan werden", berichtet Schumacher. Doch wie plant und wie baut man eine neue Stadt?

Es mutet heute kurios an, dass es ein Architekturjournalist war, der den Auftrag bekam. Und der bei allen drängenden Wohnproblemen dann auch noch die Freiheit hatte, strategisch denken und planen zu können. Bis Herbst 1947 ordnete Alfons Leitl in einem Generalbebauungsplan das gesamte Rheydter Stadtgebiet, legte fest, wo Wohnen, Verkehr und wo es zentrale Plätze in der Innenstadt geben sollte. Der Rheydter Stadtrat erließ 1949 ein Ortsstatut mit Geschosszahlen und Geschosshöhen. Leitls Vorgaben und das Statut wurden wegweisend für andere Städte: Das NRW-Wiederaufbaugesetz von 1950 bekam die "Lex Rheydt".

Die Hauptstraße wurde zum Musterprojekt der Leitl'schen Formelsprache, die streng geometrisch angeordnet war. Die von ihm bevorzugten Bautechniken waren zu dieser Zeit supermodern: Skelettkonstruktionen, Flachdächer, klar gegliederte Hausfronten. Die Vor- und Rücksprünge, die sogenannte Kammbebauung, führte dazu, dass sich zwischen den in die Straße ragenden Haupthäusern und den dreigeschossigen Zwischenstücken - leider schummelten sich auch zweigeschossige Elemente dazwischen - kleine Plätze ergaben. Es entstand eine Straße, die deswegen viele Jahre lang als Einkaufsstraße einen hohen Stellenwert besaß. Farbige Putzelemente an den Häusern sorgten für optische Reize, das Wallraf-Haus an der Ecke Haupt-/Harmoniestraße war lange ein Hingucker in der Rheydter City.

Auch an anderen Stellen taucht diese 1950er-Architektur mit den strukturierten Häuserfronten auf: am Atlantishaus, an den Gebäuden entlang von Garten- und Limitenstraße, am Marktplatz. Letzterer sollte im Leitl'schen Konzept die Verbindung von Alt (Rathaus, Kommandantur, Hauptkirche, der Übergang in die Brucknerallee) und Neu sein. Leitl hätte die alten Gebäude am liebsten versteckt, das Rathaus wollte er sogar abreißen lassen, was der Stadtrat verhinderte. Das ehemalige Straßendorf Rheydt steht dank dieser Architektur heute für die 1950er Jahre. In dieser Komplexität gibt es sie nur noch in Frankfurt und Kassel. Vor einer Herausforderung stehen Planer und viele Eigentümer: Sie müssen die Häuser innen modernisieren - ohne ihren äußeren Charakter zu zerstören.

(biber)
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