Mönchengladbach Das Werben um Azubis

Mönchengladbach · Der dualen Berufsausbildung laufen die Interessenten weg. Die Kreishandwerkerschaft kämpft dagegen an, indem sie Schulklassen durch ihre Lehrwerkstätten führt. Geschäftsführer Stefan Bresser gibt freimütig zu: "Wir brauchen euch!"

 Stefan Bresser zeigt den Schülern der Gesamtschule Espenstraße die Tischler-Werkstatt im Haus des Handwerks. Bresser ist selbst ausgebildeter Tischler.

Stefan Bresser zeigt den Schülern der Gesamtschule Espenstraße die Tischler-Werkstatt im Haus des Handwerks. Bresser ist selbst ausgebildeter Tischler.

Foto: Jörg Knappe

Blerti weiß, wie es in einer Werkstatt aussieht. Der 14-Jährige war oft genug bei seinem Vater, dem Zerspanungsmechaniker, am Arbeitsplatz zu Besuch. Und er weiß schon, dass er das auch machen möchte. Handwerk. Viel arbeiten. Vielleicht sogar den Job des Vaters antreten. "Aber erstmal will ich das Abitur machen", sagt der Schüler aus der Klasse 9f der Gesamtschule Espenstraße.

Blerti ist ein solcher Jugendlicher, für die sich das Handwerk ganz besonders interessiert. Einer, der - das Abitur vorausgesetzt - studieren könnte. Der aber auch Lust auf praktische Arbeit hat. Stefan Bresser, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, betont an diesem Morgen, als er knapp 30 Gesamtschüler durch die Werkstätten im Haus des Handwerks führt, immer wieder: "Wir brauchen euch!" Als er fragt, wie viele von den Besuchern eine Berufsausbildung absolvieren wollen, zeigen nur sieben auf, einige davon sehr zögerlich.

Dafür wächst die Zahl der Studenten immer weiter. Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes gab es bundesweit 2016/17 gut 2,8 Millionen Studenten - mehr als doppelt so viele wie junge Menschen in einer dualen Berufsausbildung (1,3 Millionen). Dabei hatte über Jahrzehnte die Berufsausbildung mehr Absolventen, erstmals gab es im Jahr 2009 etwa gleich viele Studenten wie Azubis (rund 2,1 Millionen jeweils). Seitdem ist das Verhältnis krass gekippt. Auch in Mönchengladbach ist die Zahl der Azubis innerhalb von acht Jahren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 10,1 Prozent auf 4374 im Jahr 2015 zurückgegangen.

Das schlägt sich auch auf die Bewerber durch: Je nach Handwerk haben viele Betriebe große Probleme, neue Fachkräfte zu finden. Bresser berichtete den Schülern von einem Unternehmen in der Elektro-Branche, das vor zwölf Jahren noch 170 Bewerbungen für seine sechs Azubi-Plätze hatte. Im vergangenen Jahr waren es noch sieben. "Die Zahl der Bewerber ist also um mehr als 90 Prozent zurückgegangen. Deshalb hat das Unternehmen jetzt zwei Studienabbrecher als Lehrlinge eingestellt", sagt Bresser.

Keine Frage: Die Nachwuchs-Not der Handwerksbetriebe ist groß. Für die Kreishandwerkerschaft liegt das vor allem am Image des Handwerks. Am Geld jedenfalls, so Bresser, könne es nicht liegen. "Ich möchte niemandem ein Studium ausreden", sagt Bresser den Schülern, "aber ich möchte auch mit dem Vorurteil aufräumen, dass Akademiker viel mehr Geld verdienen." Er selbst habe als Rechtsanwalt Anfang des Jahrtausends weniger verdient als als Tischler-Geselle in den 80er-Jahren. Kathrin de Blois vom Sanitärunternehmen Georg Haaß erklärt den Schülern: "Ein guter Geselle verdient bei uns 3000 bis 3500 Euro." Es gibt ziemlich viele Uni-Absolventen, die im ersten Job deutlich darunter liegen. Fachkräfte im Gewerk Sanitär, Heizung und Klima seien hochmodern ausgerüstet mit eigenem Auto, Werkzeug und Smartphone. "Das hat nichts mit dem alten ,Werner'-Klischee zu tun", sagt Kathrin de Blois. Schmutzig, verstaubt und plump - das ist nicht modernes Handwerk. Programmieren, Arbeit mit Computern und Analysesoftware steht in fast allen Handwerks-Bereichen im Mittelpunkt. In den Räumen der Kreishandwerkerschaft sahen dies die Schüler in den Lehrwerkstätten für Kfz-Mechatronik, für Sanitär, Heizung und Klima, für Elektrotechnik und für Tischler. "Ich habe in diesen zwei Stunden so viele Einblicke in die Berufe bekommen wie sonst nur in einem Praktikum", sagt Schüler Blerti nach der Werbeschau in der Kreishandwerkerschaft.

(RP)
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