Serie Denkanstoss Buß- und Bettag - ein vergessener Feiertag?

Mönchengladbach · Am 18. November begehen Protestanten einen, wie ich finde, immer noch wichtigen Feiertag. Der Buß- und Bettag ist aus dem öffentlichen Bewusstsein weitgehend verschwunden. Wurzel und Urbild dafür ist der "Jom Kippur", der "Tag der Sühne" oder auch "Versöhnungstag" im Judentum. Wer sich am Jom Kippur in Israel aufhält, erlebt staunend, wie eine moderne Gesellschaft ihre alltäglichen Vollzüge unterbricht und auch das öffentliche Leben weitgehend still steht. Sogar das Fernsehprogramm wird eingestellt. Es liegt eine eindrucksvolle Ruhe über dem Land, die beinahe zum Nachdenken über sich selbst zwingt. Die Diktatur der Permanenz ist unterbrochen.

 Auch der Posaunenengel auf der ehemaligen Friedenskirche in Rheydt ruft zur Umkehr.

Auch der Posaunenengel auf der ehemaligen Friedenskirche in Rheydt ruft zur Umkehr.

Foto: Nöller

Schon die Kirchenordnungen der Reformationszeit sahen Buß- und Bettage vor, die mancherorts monatlich abgehalten wurden. Oft wurden sie aus aktuellem Anlass wie zum Beispiel Seuchen oder in Not- und Kriegszeiten ausgeschrieben. Daraus entwickelten sich regelmäßig wiederkehrende Buß- und Bettage. Im 19. Jahrhundert kam es zur Einführung eines einheitlichen Feiertages für alle Landeskirchen in Deutschland am Mittwoch vor dem Ewigkeitssonntag.

Während die Bußtage ursprünglich eine eher öffentliche Bedeutung hatten, die gesamte Bevölkerung war - auch von der Obrigkeit - dazu aufgerufen, individualisierte sich das in der Neuzeit. Es wurde üblich, den Tag zum Gottesdienst- und Abendmahlbesuch und auch zur persönlichen Gewissensprüfung vor Gott zu nutzen. Wenn man so will, ist der Buß- und Bettag das Gegenstück zum stillen Karfreitag in der ersten Jahreshälfte.

Dahinter stehen aber zutiefst beglückende Erfahrungen mit Gott, von denen schon die biblischen Beter erzählen: "Freuen dürfen sich alle, denen der Herr die Schuld nicht anrechnet und deren Gewissen nicht mehr belastet ist! Herr, erst wollte ich meine Schuld verschweigen; doch davon wurde ich so krank, dass ich von früh bis spät nur stöhnen konnte. (...) Darum entschloss ich mich, dir meine Verfehlungen zu bekennen. Was ich getan hatte, gestand ich dir; ich verschwieg dir meine Schuld nicht länger. Und du - du hast mir alles vergeben! Deshalb soll jeder, der dir die Treue hält, zu dir beten, wenn er in Not gerät." (Psalm 32)

Als der Buß- und Bettag vor 20 Jahren als staatlich anerkannter Feiertag - leider ohne nennenswerten Widerstand der Ev. Landeskirchen - mit Ausnahme des Freistaates Sachsen überall abgeschafft wurde, um damit die Pflegeversicherung zu finanzieren, war es für viele Gemeinden selbstverständlich, ihn nicht ganz preiszugeben. Katholische Christen und Pfarrgemeinden unterstützen das bis heute. So finden in den Abendstunden vielerorts auch "Ökumenische Bittgottesdienste für den Frieden" statt.

Sie laden - im Sinne des griechischen Wortes für "Buße" - ein zur Selbstbesinnung und zur Neuorientierung. Sie regen an, Verstrickungen in ungerechte Weltwirtschaftsstrukturen zu hinterfragen oder Auswüchse von Hass und Gewalt in unserem Land beim Namen zu nennen. Die Einsicht: "Wer Waffen exportiert, erntet Flüchtlinge" gehört in diesem Jahr auch dazu. Eine Gesellschaft, die generell kaum Schwächen zulässt und wenig die Fähigkeit zur Selbstkritik unterstützt, hat das nötig. Jesu Umkehrruf lautet: "Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!" (Mk. 1,15).

OLAF NÖLLER IST PFARRER IN RHEYDT.

(RP)
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