Nils Menzel "Bin gespannt auf das Erbe der Spiele"

Mönchengladbach · Der Gladbacher ist seit 2014 Lehrer in Rio. Im Interview spricht er über Olympia, Ex-Schulkameraden und Angeberei mit Borussia.

Herr Menzel, Sie arbeiten seit zwei Jahren als Lehrer an einer deutschen Schule in Rio de Janeiro. Was haben Sie sich vor Ort von den Olympischen Spielen angeschaut?

Menzel Ich war bei der wunderschönen Eröffnungsfeier und habe danach noch die Wettkämpfe im Boxen, Handball, Basketball, Beachvolleyball und Hockey besucht. Und ab und zu konnte ich beim Joggen einen Blick auf die Ruderwettbewerbe an der Lagoa werfen.

Sie sind 2014 nach Rio gegangen. Ist das 1:7 der Brasilianer im WM-Halbfinale noch immer ein Thema, wenn man Sie als Deutschen trifft? Und wie gehen die Brasilianer mit dem "Wiedersehen" im Olympischen Finale um? Ist das ein großes Thema?

Menzel Die Brasilianer nutzen das gerne, um mit einem ins Gespräch zu kommen und können da auch mittlerweile drüber lachen. Ein ,nationales Trauma' oder dergleichen sehe ich aber nicht. Jetzt kommt das Thema mit der Neuauflage im Finale aber wieder auf - und der ein oder andere zittert sicherlich vor einem bösen Dejavu.

Waren Sie schon im Maracana? Wie fühlt es sich an?

Menzel Wenn ich Besuch habe, gehe ich immer mit meinen Freunden aus Deutschland dorthin. Die Derbys zwischen den vier verschiedenen Teams aus Rio sind stimmungsvoll, aber mit dem Borussia-Park wirklich nicht zu vergleichen. Die Tickets sind teuer und somit ist das Stadion meist nur halb voll.

Generell: Wie hat sich Rio auf die Spiele vorbereitet? Es gab ja einige Probleme. War trotzdem die Vorfreude da bei der Bevölkerung?

Menzel Die Brasilianer können nicht organisieren, aber dafür gut improvisieren. Das sagen sie auch ganz offen und fast schon mit Stolz. Rio im Besonderen ist für eine eher nachlässige Planung und ein gewisses ,Leben und leben lassen' bekannt, aber am Ende des Tages funktioniert dann doch immer alles. Die Vorfreude hat sich erst sehr spät eingestellt. Jan Marco Montag, Olympiasieger von 2008, besuchte mich zwei Wochen vor Olympia und war auch etwas verwundert über den fehlenden Enthusiasmus. Es gibt ohne Zweifel viele Missstände im Rahmen der Spiele, von Zwangsumsiedlungen bis hin zu nicht gehaltenen Versprechungen und Korruption. Aber jetzt haben sich die Cariocas, wie die Einwohner Rios genannt werden, sehr schnell begeistern können und feiern gemeinsam mit den Gästen aus aller Welt.

Wie spiegeln sich die Spiele jetzt in der Stadt wider? Lebt Rio die Spiele? Oder waren es "aufgesetzte" Spiele?

menzel Der Bürgermeister hat für die olympischen Spiele vier Wochen Ferien für alle öffentlichen und privaten Schulen ausgerufen. Das verbessert das Verkehrsaufkommen in der Stadt ein wenig, aber es gibt noch immer viel Stau und das öffentliche Verkehrsnetz steht kurz vor dem Infarkt. Die Freude der Bürger ist ehrlich, aber der Großteil kann die Spiele nicht ansehen. Für eine vierköpfige Familie sind umgerechnet 100 Euro für Transport, Ticket und Verpflegung sehr viel Geld. Aber an Freikarten oder Ermäßigungen für Familien mit geringen Einkommen hat man wohl nicht gedacht, leider.

Wie wirken sich die Spiele auf Ihren Alltag aus? Hat sich Ihr Leben verändert in diesen knapp drei Wochen?

Menzel Ich habe Ferien, das ist schon mal gut. Ansonsten wollen die Taxifahrer und Straßenverkäufer auch bei mir neuerdings gerne mal den Touristenpreis ansetzen, dann antworte ich jedoch kurz auf portugiesisch und wir beide müssen lachen - übrigens typisch für Rio: Mit einem lockeren Spruch kann man fast jede unangenehme Situation auflösen.

Glauben Sie, dass die Spiele Rio gut getan haben? Profitiert die Stadt?

Menzel Da bin ich sehr gespannt. Die Stadt und der Bundesstaat Rio haben unglaublich hohe Summen für die Sicherheit und Bauvorhaben ausgegeben, nach den Spielen wird es nun ein großes Loch im Etat geben. Viele Polizisten und Beamte bekommen schon jetzt ihren Lohn nur verspätet und in Raten. Man spricht immer über das "legado" - das Vermächtnis der Spiele. Einzelne Wettkampfstätten sollen zum Beispiel zu Schulen umfunktioniert werden und das Metronetz wurde bereits erweitert. Es ist in der Tat einiges verbessert worden, aber das Potenzial für nachhaltige Verbesserungen war meiner Meinung nach viel größer als die nun erfolgte Umsetzung. Brasilien erleidet momentan eine Wirtschaftskrise und dies macht sich bemerkbar. Für ein solches Land sind WM und Olympia innerhalb von zwei Jahren eine unglaubliche Kraftanstrengung.

Es waren ja viele Fans aus aller Welt da. Wie fanden Sie die Stimmung? Hier war zu hören, dass die brasilianischen Fans nicht wirklich unparteiisch waren und Gäste-Sportler sogar beschimpft haben. Das klingt wenig gastfreundlich. Erklären Sie uns das.

Menzel Die brasilianischen Fans sind sehr euphorisch und vergessen dabei vielleicht ab und zu die Fairness, aber gleichzeitig können sie auch eine sportliche herausragende Leistung anerkennen. Beim Beachvolleyball wurde das deutsche Damen-Team bejubelt, obwohl sie die beiden absoluten Publikumslieblinge im Heimatland besiegt hatten.

Es waren ja auch Gladbacher in Rio: Judoka Marc Odenthal sowie die Hockeyspieler Mats und Tom Grambusch und Lisa Altenburg. Haben sie Kontakt gehabt?

Menzel Durch meine lange Freundschaft zu den Menke-Brüdern kenne ich Tom und Mats ganz gut, wir waren ja auch alle auf dem Huma. Sie haben mich und weitere Freunde ins olympische Dorf der Athleten eingeladen und uns alles gezeigt. Die Bronzemedaille ist ein toller Erfolg für die beiden.

Als Gladbach-Fan: Welchen Stellenwert hat Raffael in Brasilien? Und: Vermutlich verfolgen Sie die Spiele der Borussen via Internet und freuen sich auf die Champions League. Läuft die in Brasilien auch? Wie ist es mit der Bundesliga?

Menzel Noch ist Dortmund aufgrund der letzten Jahre in Brasilien etwas bekannter, aber ich versuche die Gladbacher Borussia bei jeder Taxifahrt und an jeder Strandbar bekannt zu machen. Wenn ich mit Dante und Raffael anfange, nicken die Leute auch immer fleißig. Anlässlich einer Familienfeier bin ich jetzt eine Woche in Mönchengladbach und werde am kommenden Mittwoch auch im Stadion sein. Das ist nämlich das eigentlich Tragische: Seit ich im Ausland lebe, spielt Borussia international und ich muss die Spiele im fernen Rio anschauen. Aber wenigstens kann ich beim Lehrer-Fußball mit dem Champions-League-Trikot angeben.

KARSTEN KELLERMANN STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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