Redaktionsgespräch Brigitte Behrendt Bibliotheken sollten sonntags öffnen

Mönchengladbach · Die Leiterin der Stadtbibliothek plädiert dafür, für solche Häuser wie für Museen und Theater Wochenendöffnungen zuzulassen. Das Beispiel Rheydt zeigt, wie erfolgreich das ist. Bibliotheken sind ohnehin stark frequentiert - auch als Lernorte. Die Digitalisierung beschert zusätzlichen Zulauf.

 Das rote Sofa gehört zu den vielen markanten Plätzen in der Stadtbibliothek Mönchengladbach. "Beim Lesen taucht man in eine andere Welt ab, das ist Entschleunigung", sagt die Leiterin Brigitte Behrendt.

Das rote Sofa gehört zu den vielen markanten Plätzen in der Stadtbibliothek Mönchengladbach. "Beim Lesen taucht man in eine andere Welt ab, das ist Entschleunigung", sagt die Leiterin Brigitte Behrendt.

Foto: Denisa Richters

Frau Behrendt, Sie leiten seit 2004 die Stadtbibliothek. Was hat sich seitdem verändert?

Behrendt Sehr viel. Unter anderem wurde der Service deutlich modernisiert. Unsere Kunden können selbst verbuchen, müssen deshalb nicht mehr lange in der Schlange stehen. Durch die Außenrückgabe können sie Bücher rund um die Uhr zurückgeben. Die langen Schlangen sind Vergangenheit - und es ist auch noch diskret. Nicht jeder will mit anderen teilen, dass er Liebesromane oder Fachbücher über Insolvenz ausleiht.

Hat sich auch das Verhalten der Kunden verändert?

Behrendt Ja, und zwar so drastisch, wie man es sich kaum vorstellen kann. Denn die Nutzung ist sehr diversifiziert. Früher hat man ein Buch ausgeliehen, gelesen, zurückgebracht. Heute werden die Medien viel mehr in der Bibliothek selbst genutzt - das gilt für digitale Medien ebenso wie für die physisch greifbaren. Morgens wird erst einmal eingesammelt, weil vieles auf den verschiedenen Plätzen in unseren Räumen verteilt ist.

Die digitalen Angebote spielen eine große Rolle?

Behrendt E-Books und E-Audio werden über die Online-Ausleihe wahnsinnig gut genutzt. Die Kunden können Themenschwerpunkte hinterlegen, erhalten dann eine Meldung, wenn es in dem Bereich neue Angebote gibt. Wir sind sehr aktiv bei Facebook. In diesem Jahr steigen wir auch stärker ins E-Learning ein, vor allem beim Lernen von Sprachen, da kooperieren wir mit der Volkshochschule.

Trotz der schnelllebigen Zeiten haben Bibliotheken einen enormen Zulauf. Wie erklären Sie sich das?

Behrendt Beim Lesen taucht man in eine andere Welt ab, das ist Entschleunigung. Das ist, als wenn man einen guten Film schaut. Man wird reingesaugt, macht es sich dabei vielleicht gemütlich auf dem Sofa. Viele lesen auch im Urlaub. Das ist Genuss, eine ruhige, auf sich bezogene Form. Wenn Kinder zum ersten Mal bei unserem Sommerleseclub mitmachen, sind sie oft erstaunt, wie viel Spaß lesen machen kann.

Sie haben auch überraschend viele junge Kunden. Wie erreichen Sie die ?

Behrendt Wichtig ist: Wir stellen nicht einfach ein Angebot hin und warten darauf, dass es jemand erkennt. Wir gehen raus in Kitas und Schulen, betreiben Leseförderung, haben tolle Partner wie zum Beispiel Borussia. Deren Maskottchen Jünter ist ein Lese-Botschafter, wie man ihn sich nur wünschen kann. Wir haben bundesweit den größten Sommerleseclub - wegen eines exklusiven Angebots: Wer drei Bücher liest, erhält ein Zertifikat, ab vier Büchern gibt es den Sommerleseclub-Fanschal von Borussia. Damit erreichen wir eine Jungsquote von fast 50 Prozent, was sensationell ist. Denn meist lesen Mädchen. Vom Förderschüler bis zum Gymnasiasten bekommen wir so alle zum Lesen. Wir machen auch ein Buch-Casting in Förderschulen, gehen stark auf Migranten und Flüchtlinge zu. Mit dem Kulturrucksack vermitteln wir spielerisch Medienkompetenz, zum Beispiel durch Trickfilm- und Podcast-Workshops.

Auch der Nicht-Buch-Anteil steigt ... Behrendt Der spielt eine wichtige Rolle, also Filme, top-aktuelle Inhalte und Formate, aber auch Konsolen-Spiele haben wir im Angebot.

Passen Computerspiele zum Bildungsauftrag?

Behrendt Seit 2008 sind sie als Kulturgut anerkannt, damit lässt sich auch bestimmte Sozialkompetenz trainieren. Wir haben ein ausgewähltes, aber auf jeden Fall attraktives Angebot. Über den pädagogischen Zeigefinger funktioniert es nicht mehr.

Sie sagten, dass die Stadtbibliothek immer mehr Erlebnisort ist. Wie meinen Sie das?

Behrendt Sie wird stärker als Treffpunkt und Lernort verstanden. Gruppenarbeit hat zum Beispiel extrem zugenommen. Schüler und Studenten kommen zu uns, weil es hier Materialien, W-Lan und Ansprechpartner gibt. Die Nachfrage ist so hoch, dass wir mit Reservierungen arbeiten müssen.

Die einen wollen lesen und ihre Ruhe haben, die anderen gemeinsam lernen - schließt sich das nicht aus?

Behrendt Es ist schon so, dass es zu Konflikten kommen kann. Wünschenswert wäre, diese Bedürfnisse auch in die geplante räumliche Umgestaltung einzubeziehen. Das ist die Kehrseite der Medaille bei hoher Frequenz - es ist alles sehr eng.

Reicht der Raum nicht?

Behrendt Der Raum hier ist zu knapp, auch für die ganzen Aktivitäten wie Vermittlung von Medienkompetenz oder Workshops. Dafür bräuchten wir separate Räume, die es im Moment nicht gibt.

Nicht nur die Art der Nutzung hat sich verändert. Wie modern sind Sie bei den Öffnungszeiten, wie sehr kommen Sie den Kunden entgegen?

Behrendt An einem unserer vier Standorte, in Rheydt bieten wir etwas Einzigartiges an. Wir haben dort nämlich samstags und sonntags geöffnet. Und an der starken Resonanz merken wir, dass das nötig ist.

Wer kommt?

Behrendt Berufstätige, aber in der Regel gleich mit der ganzen Familie, viele Schüler und Jugendliche. Bei den jungen Leuten kommen wir auf fast 40 Prozent. Sie kommen, um zu schmökern, sich zu treffen, auch zu lernen. Die Verweildauer ist mit rund zwei Stunden deutlich länger als unter der Woche. Eine Umfrage der Fachhochschule Düsseldorf hat ergeben, dass wir dort bezüglich der Bindung von Jugendlichen so hohe Werte wie in keiner anderen Stadt erreichen.

Inwiefern?

Behrendt Die Bibliothek kommt in Rheydt auf 64 Prozent Jugendliche, die sie besuchen, und liegt somit direkt auf Platz zwei hinter den Freizeitbädern. Die Atmosphäre ist sonntags einzigartig. Es ist voll, sehr bunt. Viele Besucher haben Migrationshintergrund. Somit ist die integrative Wirkung des Konzepts signifikant.

Das klingt interessant. Warum machen das nicht mehr Bibliotheken?

Behrendt Das Interesse ist auch bei Kollegen sehr groß. Man muss aber ein geeignetes Organisationsmodell finden. Denn das Bundesarbeitsgesetz sieht nur bei Theatern, Museen und wissenschaftlichen Bibliotheken Sonntagsöffnungen vor. Wir haben in Rheydt eine Möglichkeit gefunden, aber es ist unbedingt notwendig, dass öffentliche Bibliotheken mit anderen Kulturinstitutionen gleichgestellt werden.

Die wichtigste Frage zum Schluss: Was sind bei den Mönchengladbachern aktuell die beliebtesten Bücher?

Behrendt Bei den Romanen sind es "Das Paket" von Sebastian Fitzek, "Meine geniale Freundin" von Elena Ferrante und "Eine treue Frau" von Jane Gardam. Bei den Sachbüchern sind die Top-Drei "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben, "Wunder wirken Wunder" von Eckart von Hirschhausen und "Hautnah" von Yael Adler. Die beliebtesten Kinder- und Jugendbücher sind "Alles Käse" von Jeff Kinney, "Harry Potter und das verwunschene Kind" von Joanne K. Rowling und "Ponyhof Apfelblüte" von Pippa Young.

DENISA RICHTERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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