Serie Denkanstoss 31. August 1943: Inferno über Rheydt

Mönchengladbach · "Sowas kommt von sowas!" Das sagt der Volksmund, das sagte aber auch Oma Else - die Großmutter von Olaf Nöller. In seinem Gastbeitrag geht der Rheydter Pfarrer auf einen schlimmen Tag in der Stadtgeschichte ein. Er jährte sich gestern zum 74. Mal.

 Nach den Bombenangriffen lag Rheydt in Schutt und Asche.

Nach den Bombenangriffen lag Rheydt in Schutt und Asche.

Foto: Sammlung Olaf Nöller

Der letzte Tag im August wird für mich immer ein besonderes Datum sein. Das hängt damit zusammen, dass meine Oma Else mir von Kindesbeinen an erzählte, was für ein Inferno am 31. August 1943 um zwei Uhr morgens über unsere heutige Stadt Mönchengladbach hereinbrach. Nachdem die Luftschutzsirenen aufgeheult und "Vollalarm" gegeben hatten, prangten Minuten später schon die "Christbäume" am Himmel, Leuchtmarkierungen, die den Bomberpiloten die Richtung wiesen. Dann begann die Hölle auf Erden...

Im Nachthemd rannte sie mit ihren Mädchen Richtung Luftschutzbunker, der einige hundert Meter entfernt lag. "Wir verloren unterwegs die Schuhe, und als wir gerade drinnen waren, da fielen draußen schon die ersten Bomben...", so hat sie mir immer wieder berichtet. Ich erahnte dabei die Todesangst, die Großmutter, meine sechsjährige Mutter und meine achtjährige Tante gehabt haben müssen. Als sie heimkehrten, war das Haus fast unbeschädigt. Dafür brannte die Firma meines Großvaters. Nur durch Hilfe eines Nachbarn gelang es, ein Übergreifen der Flammen zu verhindern.

Mit solchen Kriegserzählungen wurde ich groß. Sie haben früh mein Interesse an Geschichte und Politik geweckt. Heute finde ich es für jeden wichtig, solche Zeitzeugenberichte zu hören, was ja immer noch möglich ist. Kürzlich berichtete mir ein 81-jähriger Herr, wie er am Morgen des 31. August jenen Augenblick miterlebte, als sich der Luftschutzwächter vom brennenden Rheydter Rathausturm stürzte, um dem Flammentod zu entgehen. Für ihn im Gedächtnis eingebrannte Bilder, die er nie mehr vergessen kann - für uns authentisch überlieferte Erinnerungen, die auch wir niemals vergessen dürfen!

 Die Rheydter Hauptkirche nach dem Bombenangriff am 31. August 1943. Die Schäden sind deutlich sichtbar.

Die Rheydter Hauptkirche nach dem Bombenangriff am 31. August 1943. Die Schäden sind deutlich sichtbar.

Foto: Sammlung Nöller

Natürlich fragte ich Großmutter immer wieder, wie das alles passieren konnte. Dann erzählte sie mir von einem schrecklichen Mann namens Adolf Hitler und einem gefährlichen "Schreihals" namens Joseph Goebbels, der von der Dahlener Straße stammte. Sie ließ dabei erkennen, dass sie eine tiefe Abneigung gegen diese Leute verspürt hatte, die vom Jahr 1933 an hochaggressiv auftraten und dann 1938 ihren überaus geschätzten jüdischen Arzt, Dr. Walter Simons, verschleppt und später ermordet hatten. Auch den sinnlosen Tod ihres jüngeren Bruders Hans kreidete sie den Nazis an. Er fiel 1944 in Russland.

Ich denke, dass Oma Else, obwohl sie auch später wenig von Politik verstand, der Stimme ihres Herzens folgte. Selbst als ihr Ehemann und ihr eigener Vater "Parteigenossen" wurden, hielt sie Distanz zur NS-Bewegung. Und als der "Ortsgruppenführer" sie kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner am 1. März 1945 aufforderte, mit den Kindern in die Evakuierung zu gehen, widersprach sie ihm trotzig: "Nein, das steh ich auch noch durch!" In dieser Situation die richtige Entscheidung - auch aus Misstrauen gegen die Gräuelmärchen der NS-Propaganda!

 Das Rheydter Rathaus ohne Dach. Vom brennenden Rathausturm stürzte sich gestern vor 74 Jahren der Luftschutzwächter.

Das Rheydter Rathaus ohne Dach. Vom brennenden Rathausturm stürzte sich gestern vor 74 Jahren der Luftschutzwächter.

Foto: Sammlung Nöller

Meine Oma taugte nicht zur Heldin, dafür war sie zu ängstlich. Aber, ich denke, sie hatte ein Gespür für Anstand und auch die Bedrohung durch menschenverachtende Hassreden. Mit denen, die am Ende eine unübersehbare Trümmerwüste und ein Gebirge menschlichen Leides in Europa hinterlassen haben, wollte sie nichts zu tun haben - denn: "Sowas kommt von sowas", wie der Volksmund sagt.

Lernen wir daraus, wenn heute wieder gelogen, gehetzt und Angst gemacht wird. Achten wir darauf, was die Stimme des Herzens sagt. Nicht selten ist es auch Gottes Stimme, die uns mahnt, nie den Respekt zu verlieren.

OLAF NÖLLER IST EVANGELISCHER PFARRER DER RHEYDTER HAUPTKIRCHE

(RP)
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