Mettmann Zehn Telefonnummern in ganz Mettmann

Mettmann · Im Jahre 1885 wurden die ersten Telefonleitungen verlegt. Die Fräulein vom Amt waren sehr gut informiert.

Die Schweizer telefonierten munter in der Gegend herum. Und in Mettmann? Tote Leitung! Oder besser: Überhaupt keine Leitung. So langsam wurde man ungeduldig in der deutschen Provinz. Und offenbar kochte im Städtchen mittlerweile die Wut hoch.

Jahrelang schon hatte der "Kurbelkasten mit Flüstertüte" auf der Wunschliste ganz oben gestanden. Der Herr Kommerzienrat Pfleiderer, Besteckfabrikant Burberg und der angesehene Gustav Overhoff: Die Liste derjenigen, die sich ein Telefon auf den Schreibtisch träumten, war lang. Sie diskutierten am Stammtisch, rannten dem damaligen Bürgermeister Koennecke die Türe ein und schickten ihn nach Elberfeld. Denn von dort aus hielt Geheimrat Böttinger rege Kontakte nach Berlin. Und weil sie in Mettmann keine Ruhe gaben, machte sich der gute Böttinger höchstpersönlich auf den Weg zum Reichspostamt.

Es half alles nichts: Während die Schweizer Eidgenossen hinter den sieben Bergen munter weiter telefonierten, tat sich im aufgeregten Mettmann nichts. So konnte es nicht weitergehen, der Reichskanzler wurde informiert. Otto Fürst von Bismarck bekam die geballte Wut des Mettmanner Feudaladels um die Ohren gehauen: Man hatte ihm einen Brief überbringen lassen und über die Rückständigkeit der deutschen Postverwaltung geklagt.

Von da an ging alles recht schnell. Als Bürgermeister Albert Koennecke am Morgen des 16. März 1895 die Post durchsah, fiel ihm ein Schreiben der "Kaiserlichen Ober-Postdirektion zu Düsseldorf" in die Hände. "Es sollten unverzüglich Telegrafenleitungen und die dafür erforderlichen Gestänge auf den Straßen und Plätzen aufgestellt werden", berichtet Medamana-Autor Ludwig Rasche von den ersten Schritten ins moderne Telefon-Zeitalter.

Nur drei Monate später klingelte in der Margarinefabrik von Heinrich Eisenlohr zum ersten Mal das Telefon. Der Fabrikant hatte die Rufnummer 1 ergattert - eine von zehn vergebenen Mettmanner Nummern.

Wählte er auf seinem Kurbel-Apparat die 10, wurde er zum Bürgermeisteramt, zur Polizeiverwaltung, zum Gas- und Wasserwerk oder zur Sparkasse durchgestellt. Telefontechnisch saßen offenbar alle unter einem Dach. "Durchstellen" war damals übrigens das Gebot der Stunde. Denn wollte beispielsweise Landwirt Friedrich Wilhelm Trappmann mit der Rufnummer 3 im Hotel Vogel anrufen, genügte es nicht, einfach nur die 7 zu wählen.

Dazwischen meldete sich nach einigen Hallo-Rufen der "Beamte von Amt", der später vom "Fräulein vom Amt" ersetzt wurde. So kam es dazu, dass irgendwann die halbe Stadt mit Emmi Brennecke und Paula Klockenhoff plauderte, nur um von den beiden Damen weiter verbunden zu werden. "Im Jahre 1909 beschäftigte das Postamt schon fünf Telegraphen- und Telefongehilfinnen", berichtet Ludwig Rasche aus den Annalen. Alle Drähte liefen damals übrigens noch im "Kaiserlichen Postamt" an der Ecke Wilhelmstraße/Schwarzbachstraße - also am heutigen Jubiläumsplatz - zusammen. Blättert man in den Aufzeichnungen von damals, so wurde offenbar recht schnell ziemlich viel telefoniert. Gab es anfangs nur besagte zehn Nummern, waren es vier Jahre später schon 71 und 44.167 Gespräche im Jahr.

Weitere vier Jahre später - also im Jahre 1905 - wurden schon beinahe 90.000 Anrufe notiert. Es wurde telefoniert, was das Zeug hielt. Und ja, zwischendurch wurden auch noch ein paar Telegramme verschickt. Denn die Flüstertüte funktionierte nur im Städtchen für Ortsgespräche und war offenbar leicht zu bedienen. Der Post genügten als Gebrauchsanweisung jedenfalls noch drei Seiten, während es 50 Jahre später schon 144 waren.

Romantische Telefon-Plaudereien im abendlichen Kerzenschein waren übrigens tabu, pünktlich um 9 Uhr abends wurde den Turteltäubchen der Saft abgedreht. Und die heimliche Liebschaft anrufen ging gar nicht, schließlich hatte man ja vorher Emmi Brennecke oder Paula Klockenhoff mit in der Leitung. Zumindest bis zum Jahre 1925 - von da an wurde Mettmann erstes Selbstanschlussamt im Direktionsbezirk. Fortan genügte es also, die gewünschte Telefonnummer anzusagen, um daraufhin automatisch durchgestellt zu werden. "Meinungsverschiedenheiten mit dem Fräulein vom Amt gab es nicht mehr", notierte Medamana-Autor Ludwig Rasche. Man fragt sich bei der Lektüre dieser vermeintlichen Nebensächlichkeit, was da so alles diskutiert wurde, bevor das eigentliche Gespräch begonnen werden konnte. Vermutlich waren die Damen bei der Post über alles bestens informiert.

Der Rest der Mettmanner Telefon-Geschichte ist schnell erzählt. Man begann mit dem Bau unterirdischer Leitungen, nachdem ständig irgendwo Vandalismus oder umgestürzte Bäume das Gespräch mitten im Satz beendet hatten. Das Postamt zog vom Jubiläumsplatz in die Bahnstraße, der Selbstwähldienst funktionierte irgendwann gänzlich ohne das "Fräulein vom Amt" und auch für Ferngespräche. "Im Jahre 2000 wird wohl jeder zweite Mettmanner ein Telefon haben", blickte Ludwig Rasche vor beinahe 50 Jahren in die Zukunft. Vermutlich stimmt das nicht so ganz: Es dürfte wohl beinahe jeder gewesen sein. Und mit dem Handy hatte längst schon eine neue Ära begonnen.

(magu)
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