Mettmann/Gruiten Nächster Halt: "Station Haan" in Gruiten

Mettmann/Gruiten · Vor 175 Jahren wurde der Gruitener Bahnhof gebaut. Beinahe 40 Jahre lang schauten die Mettmanner neidisch nach nebenan.

 So sah der Gruitener Bahnhof im Jahre 1909 aus. Mettmanner, die mit dem Zug fahren wollten, mussten viele Jahre lang hier einsteigen, weil es in Mettmann noch keinen Bahnhof gab.

So sah der Gruitener Bahnhof im Jahre 1909 aus. Mettmanner, die mit dem Zug fahren wollten, mussten viele Jahre lang hier einsteigen, weil es in Mettmann noch keinen Bahnhof gab.

Foto: Gruitener Archive

Wollten sie nun, oder wollten sie nicht? Bis heute bleibt ungeklärt, ob einflussreiche Mettmanner vor 175 Jahren keine Lust auf die Eisenbahn hatten. Jedenfalls hielt sich jahrzehntelang genau diese Ansicht in den Köpfen der Heimatforscher. Zumindest bis Ludwig Rasche sich vor 50 Jahren nochmals durch alte Mettmanner Ratsprotokolle blätterte. Dabei trieb ihn vor allem eine Frage um: Konnte man wirklich so verrückt sein und den Bahnanschluss verhindern, um ein paar Fuhrunternehmern den Lebensunterhalt zu sichern? Rasche waren offenbar Zweifel gekommen und er grub tatsächlich Details auf, die darauf hindeuteten, dass die Streckenführung ohnehin jenseits von Mettmann geplant gewesen sei. So ganz genau lässt sich all das heute wohl nicht mehr klären. Aber eines steht fest: Irgendwann war der Zug im wahrsten Sinne des Wortes abgefahren. Die Bahn fuhr - an Mettmann vorbei - von Düsseldorf über Erkrath nach Elberfeld. Wer mitfahren wollte, musste irgendwie nach Gruiten kommen.

Allerdings gab es auch dort Bedenkenträger und Befürchtungen. Mit der Eisenbahn fahren? Um Himmelswillen? Nie und nimmer wäre der Haaner Postbote Jakob Litsch in dieses funkensprühende Monster gestiegen. "Wer mit dem Ding fährt, der kann vorher sein Testament machen", soll er gesagt haben. Das zumindest ließ sein Enkel später die Nachwelt wissen. Dabei war die Sache mit der Eisenbahn für die Gruitener eigentlich eine ganz große Nummer. Als damals die ersten Lokomotiven zwischen Düsseldorf und Elberfeld auch im Dörfchen haltmachten, war die große weite Welt plötzlich ganz nah. Mal eben nach Erkrath? Kein Problem! Was früher nur zu Fuß oder mit der Pferdekutsche zu bewältigen war, wurde zum Ziel spontaner Sonntagsausflüge. Die Wochenenden wurden auch für die Daheimgebliebenen zum Abenteuer, nachdem ganze Scharen ambitionierter Wanderer aus dem Zug stiegen, um auf dem Weg zur Winkelsmühle durchs Örtchen zu pilgern.

 Zum mittlerweile nicht mehr existierenden Gleis 1 kam man nur durch den Wartesaal.

Zum mittlerweile nicht mehr existierenden Gleis 1 kam man nur durch den Wartesaal.

Foto: Gruitener Archive

Mit der Eisenbahn war für die Gruitener auch in ganz anderer Hinsicht eine neue Zeitrechnung angebrochen. "Plötzlich gab es im Dorf oben und unten", blickt Lothar Weller auf ein Phänomen zurück, dass sich über Jahrzehnte hinweg hartnäckig in den Köpfen der Dörfler einnisten sollte. Dazu muss man wissen, dass die Bahnstrecke damals eben keineswegs durch den Ort, sondern übers freie Feld geführt wurde. Es gab quasi Gruiten-Dorf und irgendwo da draußen auch noch den Bahnhof. Das sollte sich bald ändern, denn mit der Bahn kamen Zuzügler und mit ihnen neue Häuser, Straßen und Geschäfte. Ein ganzes Viertel entstand um den Bahnhof herum und für die eingesessenen Gruitener waren das "die da oben". Fortan ging dort im wahrsten Sinne des Wortes die Post ab. "Das war für die Leute eine andere Welt", glaubt Lothar Weller. Als Hobbyhistoriker weiß er, wovon er spricht. Bis heute verwahrt der Gruitener Geschichtsstammtisch das Archiv, das Zeugnis ablegt über das muntere Treiben.

Nach dem Bau des Bahnhofs hatte es nicht lange gedauert, bis die neu gebauten Straßen von Telegraphenleitungen und Masten für die Stromversorgung gesäumt wurden. Unweit des Bahnhofs sorgten die tierischen Bewohner einer Ziegenbockstation dafür, dass das Straßenbegleitgrün nicht alles überwucherte. Während der Gasthof "Zur Post" mit beschwingten Tanzabenden und zuweilen auch mit weniger heiteren, nächtlichen Schlägereien von sich Reden machte, florierten ringsum die Geschäfte. Bäckereien, eine Kaffeerösterei, eine Kohlenhandlung mit Bierverlag: Für ein kleines Dorf war das eine große Sache.

Derweilen wurde der Bahnhof nicht nur für die Reisenden, sondern auch für die Gruitener selbst zum Anlaufpunkt. Schließlich war die dortige Gaststätte ein guter Ort, um über Taubenzucht zu plaudern oder politische Debatten auszufechten. Der Arzt, der Junglehrer der Volksschule und die Gemeindeschwester: Sie alle gehörten in den 1930er Jahren zur Stammkundschaft beim Mittagstisch. Weitere 30 Jahre später schlossen sich die Türen der alten Bahnhofskneipe.

(magu)
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