Tragödie von Mettmann Er ging mit den "Wolfsjungen"-Eltern auf Tour

Die "Tragödie des Mettmanner Wolfsjungen" hatte vor 30 Jahren internationales Medienecho ausgelöst. Hanno Krüsken lebte damals in Schöller und sollte als Pressefotograf eine Exklusivstory für die Illustrierte "Quick" liefern. Er begleitete die Eltern des Jungen '88 knapp zwei Wochen lang.

 Hanno Krüsken mit den alten Ausgaben der "Quick". In der Zeitschrift erschien die Geschichte über den von den Eltern vernachlässigten Jungen. Mit den Eltern fuhr er gemeinsam bis nach Paris.

Hanno Krüsken mit den alten Ausgaben der "Quick". In der Zeitschrift erschien die Geschichte über den von den Eltern vernachlässigten Jungen. Mit den Eltern fuhr er gemeinsam bis nach Paris.

Foto: M. Schümmelfeder

Schnaps, Bier, Armdrücken. Und dann auch noch mal eben mit dem Daimler nach Marseille, weil dort angeblich Alain Delon und Brigitte Bardot warten sollten. Wenn Hanno Krüsken seiner Version der Mettmanner Wolfsjungen-Tragödie erzählt, kann einem als Zuhörer nur schlecht werden. Denn am Ende standen die Eltern nicht nur ohne ihr Kind da — sondern auch noch ohne Sozialhilfe und mit einem Zimmer in der Obdachlosenunterkunft.

 Die Illustrierte Quick sicherte sich 1988 die Exklusivrechte an der Geschichte des kleinen Horst. Wo und wie er heute lebt, ist nicht bekannt.

Die Illustrierte Quick sicherte sich 1988 die Exklusivrechte an der Geschichte des kleinen Horst. Wo und wie er heute lebt, ist nicht bekannt.

Foto: Hanno Krusken

"Die hatten überhaupt keine Chance, aus diesem Medienrummel ungeschoren wieder herauszukommen", sagt Krüsken heute, beinahe 30 Jahre später. Er war damals derjenige, der als Pressefotograf von der Illustrierten "Quick" zur Wohnung der Familie in die Moselstraße in Mettmann geschickt wurde, um aus dem Drama um den kleinen Horst eine Riesengeschichte zu machen. "Die Leute wurden gnadenlos und in aller Öffentlichkeit ausgenutzt" sagt er nicht ohne Selbstzweifel. Diese wiederum haben ihn irgendwann dazu gebracht, seinen Job an den Nagel zu hängen.

Aber wir wollen die Enthüllungsgeschichte, die mit einer RP-Meldung begann und in der Illustrierten "Quick" gnadenlos zu Kasper-Hauser-Story aufgeblasen wurde, von ihrem Anfang erzählen. Und der geht so: In der Quick-Redaktion war man auf die wenigen Zeilen gestoßen war, die in der lokalen Presse über den kleinen Horst und die Hündin Asta zu lesen waren. Der Dreijährige war im Schlafanzug auf die Straße gekrabbelt und wurde so beim Jugendamt ein Fall für die Akten, weil sich die Eltern offenbar nicht gekümmert und stattdessen die Fürsorge ihrem Hund überlassen hatten.

 Die Eltern des Jungenhofften auf eine Rückkehr ihres Sohnes aus dem Heim.

Die Eltern des Jungenhofften auf eine Rückkehr ihres Sohnes aus dem Heim.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Als der Junge schließlich erst zu einer Pflegemutter und dann in eine Wuppertaler Kinderklinik gebracht worden war, klingelte Hanno Krüsken an der Tür. Sein Auftrag: Die Eltern zu einer Exklusivstory zu überreden und Fotos zu machen. "Ich habe 400 Mark auf den Tisch gelegt und noch 200 mehr angeboten, wenn sie gleich mitkommen. Es hätte nicht lange gedauert, bis die Konkurrenz aufmerksam geworden wäre — und das wollte die Quick damals unbedingt verhindern", erinnert er sich an die erste Begegnung. Die Eltern des Jungen seien damals in einem Ausnahmezustand gewesen.

Verzweifelt, betrunken und der Vater immer wieder aufbrausend und von ohnmächtiger Wut getrieben. Krüsken nahm den Mann und die Frau mit nach Schöller, wo seine Eltern einen Gasthof mit Fremdenzimmern betrieben. "Wir mussten sie beruhigen. Das ging nur mit Bier und Armdrücken", erinnert er sich. Um Bilder vom kleinen Horst aus der Klinik zu bekommen, nötigte die "Quick" die Eltern auch noch dazu, mit einer zuvor gekauften Kamera selbst Fotos von ihrem Sohn zu machen.

Als sich kurz darauf bei der Klatschpresse herumgesprochen hatte, dass die Eltern in einem Hotel untergekommen seien, wurden alle Pensionen in Mettmann von nach einer Story hechelnden Journalisten abgeklappert. Das wiederum war für die Quick" der Moment, um Hanno Krüsken in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gemeinsam mit den Eltern des kleinen Horst und der Hündin Asta zu einer vermeintlichen Urlaubsreise nach Frankreich zu schicken. Im Kofferraum des zuvor gemieteten Autos: Palettenweise Dosenbier und eine Flasche Schnaps. Und Schlaftabletten für den Hund, damit Asta nicht ins Auto kotzt.

Auf dem Weg über Paris in Marseille angekommen, flog man gleich schon aus dem Hotel. Der Hund hatte die Türe angenagt, und die Eltern beim Sex die Dusche demoliert. Dass sich Alain Delon und Brigitte Bardot angeblich um Hündin Asta kümmern wollten, erwies sich später als Finte. "Das hatte die "Bunte" in die Welt gesetzt, während am Strand schon deren Paparazzi in Stellung gebracht wurden, um ein Foto der verzweifelten Eltern zu schießen", erinnert sich Hanno Krüsken. Denen wiederum war der ganze Stress längst zuviel geworden.

Dazu reagierte das Jugendamt auch noch ungehalten auf die vermeintliche Urlaubsreise, die keine war. Von dort war jedenfalls zu hören, dass man den Eltern wegen Verantwortungslosigkeit nun erst recht das Sorgerecht entziehen wolle. Hinzu kam noch, dass man beim Amt davon ausging, dass durch die Berichterstattung der Rubel rollte und die Haushaltskasse damit gefüllt werden könne. "Die bekamen keine Sozialhilfe mehr und mussten in die Obdachlosenunterkunft ziehen. Dabei haben sie von der Quick nur 2000 Mark bekommen", weiß Hanno Krüsken, der die Familie auch noch besuchte, nachdem die "Quick" längst das Interesse an deren Leben verloren hatte.

Bis heute lässt ihn das Gefühl nicht los, sich zum Handlanger der Boulevardpresse gemacht zu haben. Das würde er den Eltern gerne sagen wollen. Schließlich haben sie ihm damals vertraut.

(RP)
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