Mettmann Eine Siedlung als "Insel der Zartheit"

Mettmann · Ein Bildhauer, ein Philosoph, ein Humanökologe, der Kölner Gartenbaudirektor und der Fachbeauftragte des Deutschen Heimatbundes machten sich in den 30er Jahren Gedanken über die geplante Siedlung am Kaldenberg.

 Der Handwerkerhof am Dorfanger: Das Konzept sah vor, dass dort ein Schuhmacher, ein Schneider und ein Tischler sowie ein Metzger und ein Bäcker arbeiten.

Der Handwerkerhof am Dorfanger: Das Konzept sah vor, dass dort ein Schuhmacher, ein Schneider und ein Tischler sowie ein Metzger und ein Bäcker arbeiten.

Foto: arch+

Wird heute irgendwo gebaut, geht es vor allem um eines: die Rendite. Es muss sich lohnen. Nicht unbedingt für den, der darin wohnt. Auf jeden Fall aber für diejenigen, die daran verdienen wollen. Man kann sich gut vorstellen, wer den Zeichenstift des Architekten insgeheim führt. Doch dass scheint in Mettmann längst nicht immer so gewesen zu sein. Anders ließe es sich wohl nicht erklären, welch illustre Runde da in den 1930er Jahren zusammen gesessen hat, um sich Gedanken über die geplante Siedlung am Kaldenberg zu machen.

Da wäre zum einen Hugo Kükelhaus - Bildhauer und "Erfinder" der Summsteine, von denen einer womöglich bald vor dem neuen Kunsthaus stehen könnte. Mit ihm am Tisch: ein Philosoph, ein Humanökologe, der Kölner Gartenbaudirektor und der Fachbeauftragte des Deutschen Heimatbundes. Hinzu kamen Kunstschmiedemeister Heinrich Issinger und Handwebmeisterin Charlotte Suchanek, die beide später in das geplante Handwerkerhaus am Dorfanger einzogen. Gesprochen wurde vor allem über eines: den Menschen.

"Immer wieder werden wir zu der Feststellung genötigt, dass die Erkenntnis der echten Bedürfnisse nicht mit dem Rechenschieber zu erlangen ist", brachte Hugo Kückelhaus damals Wegweisendes zu Papier. Wegräumen, was den wahren Menschen zerstörend überdeckt, was laut und grell von außen in ihn eindringt - das war offenbar sein Ansinnen.

Heute - beinahe 80 Jahre später - scheint diese Mahnung aktueller denn je. Der Blick zurück mutet jenseits der sich bereits ankündigenden politischen Lage beinahe beschaulich an. Schließlich war Mettmann noch weit entfernt von Verkehrschaos und der 40.000 Einwohner-Grenze. Am jetzigen Kaldenberg war es vor allem eines: still.

 Der Blick zeigt die entstehende Siedlung am Kaldenberg. Baubeginn war im Jahr 1937.

Der Blick zeigt die entstehende Siedlung am Kaldenberg. Baubeginn war im Jahr 1937.

Foto: arch+

Diese Stille als Möglichkeit zur inneren Besinnung wollte Kükelhaus unbedingt erhalten. "Das Problem unserer Tage besteht nicht darin, Mittel und Wege ausfindig zu machen, um Bedürfnisse zu befriedigen. Es besteht vielmehr in der Besinnung auf die echten Bedürfnisse und die Ausmerzung einer kranken, fehlgeleiteten und überreizten Wunschwelt".

Auch in Mettmann hatte die Industrialisierung längst Einzug gehalten, mit den bekannten Folgen, die Kükelhaus so umschreibt: "Die technisierte Produktion hat, statt den lebensgemäßen Bedarf zu decken, unter Aushungerung echter Bedürfnisse künstliche erzeugt." Am Dorfanger sollte es nun einen Gegenentwurf geben. Mit dem Handwerkerhaus als Initialzündung für eine entstehende Siedlung sollte der Grundstein dafür gelegt werden, dass sich die dort lebende Gemeinschaft auf sich selbst besinnt.

Womöglich hatte Kükelhaus damals schon bei denjenigen gedankliche Anleihen gemacht, die das Habenwollen und die Konsumkultur als Übel des menschlichen Seins erkannten. Jedenfalls gab er der Siedlergemeinschaft Kaldenberg mit auf den Weg, dass "der Mensch nur dann wahrhafte Gemeinschaften von zäher Dauer, von Kraft und kämpferischem Geiste gründen kann, wenn er selbst nicht hängt an den Gütern dieser Welt." Kraftvolle Worte, mit denen Kükelhaus den Geist der Gründer möglichst lange erhalten wissen wollte. Offenbar in der Hoffnung, dass man so womöglich Menschen an den Kaldenberg ziehen könne, die sich aus dem inneren Wollen heraus für die Gemeinschaft einsetzen. Dabei stellte er klar, dass keineswegs jeder ein Eigenheim und einen Gemüsegarten haben müsse: "Wichtig ist in einer Siedlung nicht, dass jeder Selbstversorger ist und ein entsprechendes Stück Acker sein eigen nennt, sondern wichtig ist, dass der eine hat und hergeben kann gegen Leistungen, zu denen nicht er, aber sein Nachbar in der Lage ist."

Immer wieder saß man also in der Runde beieinander, um darüber nachzudenken, wie man den Lauf der Dinge am Kaldenberg auf einen guten Weg bringen konnte. "Wir wollen ja doch, dass das Leben selbst seine Form findet. Wir wollen ihm keine Vorschriften machen." Für das Handwerkerhaus und die Siedlung zeichnete sich irgendwann ein konkretes Konzept ab. Ein Schuhmacher, ein Schneider, ein Tischler: Sie alle sollten sich dort ansiedeln. Selbstverständlich auch ein Metzger und ein Bäcker. "Die Welt der stillen Dienstleistungen ist ein aus Zartheit gewobenes Reich. Wir müssen das bedenken: Die Heimat unserer Gemütskräfte ist das Gewebe der zarten Beziehungen, der friedvollen Dinge. Wir müssen in der harten Welt Inseln der Zartheit gründen", war damals die Wegweisung des Hugo Kükelhaus.

(magu)
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