Meerbusch Wie sich Meerbuschs Landwirtschaft revolutionär verändert - ein weites Feld

Meerbusch · 1970 gab es allein in Ilverich fünf Betriebe, die Kühe gehalten haben. Heute sind es in ganz Meerbusch nur noch vier. Die Landwirtschaft, die mehr als die Hälfte des Stadtgebiets ausmacht, verändert sich rasant. Drei Land- und Forstwirte berichten über den Wandel in ihrem Gewerbe, das Ende der Familienbetriebe und die Wirkung von neuen Gesetzen und Verordnungen

 Heinrich Leuchten aus Ilverich in seinem Kuhstall. Vor rund 20 Jahren übernahm er den Hof seiner Eltern. Seine Kinder wollen den Betrieb nicht weiterführen.

Heinrich Leuchten aus Ilverich in seinem Kuhstall. Vor rund 20 Jahren übernahm er den Hof seiner Eltern. Seine Kinder wollen den Betrieb nicht weiterführen.

Foto: Dackweiler, Ulli (ud)

Vor gut sechs Jahren molk Heinrich Leuchten seine Kühe noch selbst - morgens um 6 Uhr und abends um 18 Uhr: "Es hätte die Welt untergehen können, gemolken werden mussten die Tiere trotzdem", erinnert sich der Landwirt aus Ilverich. Mittlerweile kontrolliert Leuchten die Melkleistung seiner Kühe nur noch auf dem Computerbildschirm. Ein Melk-Roboter, eine Investition von 180 000 Euro, nimmt ihm viel Arbeit ab - die Kühe suchen den Roboter alleine auf. Der erkennt die Kühe durch einen Sensor am Halsband. Wer eben schon an der Reihe war, wird wieder weggeschickt. Melk-Anrecht hat eine Kuh erst bei mindestens zehn Liter im Euter.

Seit der Melk-Roboter im Einsatz ist, hat sich die Lebensqualität des Landwirts deutlich gesteigert. Allerdings: Seine Milchkühe kommen seither nicht mehr auf die Weide. Dort funktioniert der Melk-Roboter nicht. Die Umstellung auf ein automatisches Melksystem ist nicht das einzige, was sich bei Leuchten und in der Meerbuscher Veredelungswirtschaft verändert hat. Vor rund 20 Jahren übernahm Leuchten den Betrieb seiner Eltern. Zurzeit arbeitet er mit seiner Frau Barbara, staatlich geprüfte Landwirtin, und einem Auszubildenden auf dem Hof. Die drei kümmern sich um 70 Kühe, 60 bis 70 Jungviecher und 25 Pensionspferde. Die Kinder des Milchbauern werden den kleinen Familienbetrieb nicht übernehmen. Die 24-jährige Tochter studiert Sport- und Eventmanagement in Berlin. Der Sohn (22) studiert zwar Agrarwissenschaften in Bonn, ist jedoch nicht an dem Betrieb in Ilverich interessiert. Die Absage überraschte den Landwirtschaftsmeister nicht: "Wenn man als Junge auf einem Hof groß wird und sieht, wie die Eltern arbeiten aber kein Geld verdienen, ist das nicht so prickelnd." Den Sohn zu etwas drängen wolle er nicht: "Man muss mit dem Herzen hinter dem Beruf Landwirt stehen", sagt Leuchten.

1970 gab es allein in Ilverich fünf Betriebe, die Kühe gehalten haben. "Heute gibt es in ganz Meerbusch vier Rindviehbetriebe", sagt Leuchten. Seine Prognose: "In fünf Jahren gibt es in Meerbusch nur noch einen Betrieb. Und der wird genauso viele Kühe halten wie die anderen zusammen vor 20 Jahren." Auch für die Schweinezucht und Hühnerhaltung hat Leuchten Daten von der letzten Viehzählung 2010 parat. Es gibt einen Schweinebetrieb. Kapazität: 600 Liegeplätze. "Das hört sich gewaltig an, ist es aber nicht", relativiert Leuchten. Der Besitzer vermarkte die Schweine regional, mäste sie auf Stroh, nicht auf Spaltenböden. Es laufe so weit gut. Nur: Wie lange der Betreiber weitermache, sei unklar. "Es gibt zwei bis drei Betriebe, die zwischen 500 und 1500 Hühner halten", listet Leuchten auf. Als die Käfighaltung zurückgedrängt wurde, ging auch die Anzahl größerer Betriebe zurück. Massentierhaltung sei von der Bevölkerung nicht akzeptiert.

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Foto: Dackweiler, Ulli (ud)

"Die Bauern in Meerbusch sind flexibel", sagt Leuchten. Viele hätten angesichts der städtischen Bedingungen nach Alternativen gesucht und seien auf die Pferdehaltung, also Dienstleistungen, umgestiegen. Die Nachfrage sei vorhanden. Auch Leuchten erweiterte vor rund 15 Jahren sein Leistungsspektrum. Zurzeit stehen 25 Gnadenbrotpferde im Stall. "Die Pferdebetriebe in Meerbusch sind fassettenreich", sagt Leuchten. Reine Pferdezucht gibt es, Betriebe mit zwei Reithallen, Turniermöglichkeiten oder therapeutischem Reiten. Leuchten: "Durch die Spezialisierung auf Pferde ist der Freizeitwert vor Ort relativ groß." Nicht zuletzt profitiere auch der Ackerbau davon. "Pferde fressen Heu und Stroh."

Meerbusch, die Stadt im Grünen? Ja, sagt Friedrich Freiherr von der Leyen. Er verweist auf weiträumige, schöne Landschaften, vor allem über die Rheingemeinden hinweg. Der Fluss bringe ein besonderes Bewegungsbild mit sich. Und es gebe 533 Hektar Wald, die 8,2 Prozent des 6500 Hektar großen Stadtgebiets ausmachten. Aber Wald schaffe nicht nur Lebensqualität. Von der Leyen sagt: "Der Wald hat auch einen monetären Wert." Der Eigentümer müsse wirtschaften, während Ansprüche Dritter die Waldnutzung stark belasteten. Sein Betrieb verwaltet etwa 250 Hektar Wald in Meerbusch. Der größte Teil ist bereits seit 1806 im Besitz der Familie von der Leyen. 80 Hektar stehen unter Naturschutz, 40 Hektar sind so stark vernässt, dass ein normaler Forstbestand dort nicht mehr wachsen kann.

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Foto: Dackweiler, Ulli (ud)

Friedrich Freiherr von der Leyen übernahm 1970 den elterlichen Betrieb. Dem Waldeigentümer stehen zahlreiche Interessen gegenüber: "Erholung, Naturschutz, Artenschutz, Ästhetik, Grundwasserschutz, Klimaschutz, Windschutz, Hitzeschutz oder Raumordnung", zählt der Forstwirt auf. Die Waldwirtschaft gerate mit all den Schutzvorschriften zunehmend in Konflikt. "Denn die tragen nicht zur Wertschöpfung bei", kritisiert von der Leyen. Vor allem die Festlegungsverfahren des grünen NRW-Umweltministeriums bereiten dem Forstwirt Kopfzerbrechen - ob Biodiversitätsstrategien oder Auflagen zum Naturschutz: "Die Vorschriften beschränken die Verfügungsgewalt des Waldeigentümers so erheblich, dass wir Bedenken haben, ob das verfassungsrechtlich überhaupt erlaubt ist", sagt von der Leyen. "Wir lassen uns nicht vorschreiben, unrentable Bäume zu pflanzen."

Für den aktuellen Regionalplanentwurf findet der Freiherr keine positiven Worte. Er beschränke jede Initiative und Beweglichkeit in der Waldnutzung: "Ich halte ihn für ein ganz gefährliches Konstrukt." Ständig würden neue Begriffe erfunden, um neue Schutzvorschriften zu treffen. "Es ist ein typisches Problem einer gewissen Luxusgesellschaft, die glaubt sich leisten zu können, auf Nutzungen zu verzichten, die Jahrhunderte vernünftig waren."

Von der Leyen zufolge teilt sich der Wald in Meerbusch grob in drei Komplexe ein: den Meererbusch sowie die Waldgebiete in Strümp und Büderich. Weiterhin gibt es Streuwald. "Die Stadtrandnähe ist Belastung und Vorteil zugleich", sagt von der Leyen. Wege müssten unterhalten und die Verkehrssicherungspflicht an den zahlreichen Straßen beachtet werden. Das kostet viel Geld. Allerdings biete die Nähe zur Wohnbebauung ebenso neue Gewinnmöglichkeiten. Zum Beispiel: die Direktvermarktung von Weihnachtsbäumen. Das Problem: mal wieder Gegenwind aus der Regierung. Die wolle ab 2018 den Anbau von Weihnachtsbäumen im Wald eindämmen.

Eine andere Idee des Forstwirts: "Die Einrichtung eines Bestattungswaldes ist naheliegend", sagt von der Leyen. So ließe sich der Teil des Waldes besser nutzen, der ansonsten defizitär sei, also aus Laubbäumen wie Buchen oder Eichen besteht. Allerdings gab's für die Einrichtung eines Friedwalds in Meerbusch keine Mehrheit in der Meerbuscher Politik.

Die Waldbestände der Von der Leyens bestehen aus 80 Prozent Laubwald und 20 Prozent Nadelholz. "Eigentlich sollten es 50:50 sein", sagt der Forstwirt. Die Risikostreuung bei einer guten Mischung sei im Hinblick auf Sturmkatastrophen oder massiven Schädlingsbefall besser. Zwar wünsche sich die Bevölkerung einen hohen Anteil an Laubwald. Doch heutzutage würden die Aufpflanzung eines Laubwaldes durch junge Bäume und deren Pflege bis zu einem Alter von 40 Jahren zunächst einmal nur Kosten bringen. Ältere Bestände von guter Qualität könnten zwar durchaus rentabel sein. Anders als bei Nadelholz lasse sich die Ernte allerdings wenig maschinell erledigen. Zudem habe Nadelholz einen mehrfach höheren Zuwachs pro Hektar.

Von der Leyen lobt die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung. Es gebe viel Verständnis. Das mag natürlich auch daran liegen, dass der Wald privatwirtschaftlich betrieben wird. "Für die Stadt fallen keine Kosten an und der Erholungswert leidet nicht", erklärt von der Leyen. Das Fazit des Freiherrn: "Ein Konflikt zwischen Waldwirtschaft und Erholungsgebiet ist nicht erkennbar, aber ein Konflikt mit den vielen Schutzvorschriften."

Mit 21 Jahren übernahm Wilhelm Paschertz den Betrieb seiner Eltern in Bösinghoven - es war ein klassischer Bauernhof: Es wurden Hühner, Schweine und Kühe gehalten, Zuckerrüben und Getreide angepflanzt. Mittlerweile hat der Landwirtschaftsmeister seinen Betrieb auf Gemüse und Ackerbau ausgerichtet: Zucchini, Rhabarber, Speisekürbisse und Spitzkohl wachsen auf seinen Feldern.

Paschertz sagt: "Das Bild von der Landwirtschaft, das in einigen Köpfen schwebt, entspricht nicht mehr den alltäglichen Realitäten." Auch nicht den Weisheiten so mancher Bundespolitiker. "Die sind von der Basis weit entfernt, wenn sie erklären, sie würden sich um den Erhalt des klassischen Familienbetriebes bemühen", sagt der Bösinghovener. "Den gibt es kaum noch." Nur ab einer bestimmten Größenordnung sei ein Betrieb heutzutage rentabel. "Ein Landwirt muss auch Kaufmann sein", sagt der 43-Jährige.

Paschertz beschäftigt zehn festangestellte Mitarbeiter und bis zu 50 Saisonkräfte auf seinen Feldern. In Meerbusch gibt es einige Gemüsebauern, die im überschaubaren Maße anbauen und ihre Produkte direkt vermarkten. Paschertz zählt sich zur anderen Gruppe: Er produziert im größeren Maßstab für Erzeugerorganisationen, die den Einzelhandel beliefern. Seine Ware liefert er an die Absatzzentrale nach Kempen; von dort findet sie ihren Weg in die Supermärkte und Discounter der Region.

Aktuelles Thema in der Branche ist der gesetzliche Mindestlohn, der seit Jahresbeginn gilt. Die Lohnhöhe von 8,50 Euro sei das geringste Problem, berichtet Paschertz. Schwierigkeiten bereiten ihm die Auflagen. Besonders kritisch seien die Erfassung und Kontrolle der Höchstarbeitszeitgrenze. "Die Saisonarbeiter aus Polen oder Rumänien haben andere Ziele als inländische Arbeitnehmer", sagt Paschertz. Sie wollten in kürzester Zeit möglichst viel Geld verdienen, um die restliche Zeit des Jahres in ihrer Heimat verbringen und ihre Familie ernähren zu können. 70 bis 80 Stunden statt 40 Stunden pro Woche seien aus Sicht der Arbeitnehmer gewollt. "Es ist ja nicht so, dass die Leute für die Mehrarbeit nicht bezahlt werden", sagt Paschertz. Weil jetzt eine Wochen-Obergrenze gilt, würden die meisten Betriebe zehn bis 20 Prozent mehr Personal einstellen. "Doch das zusätzliche Personal muss auch untergebracht werden", sagt Paschertz. Die Kosten dafür trage der Landwirt. "Wir geben uns absolut nicht der Illusion hin, dass wir für unsere Produkte aber mehr Geld bekommen", sagt Paschertz. Wenige Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel diktierten die Preise. Es werde viel über "regional" geredet, aber letztlich entscheide der Preis. "Der Verbraucher hat zu einem großen Teil in der Hand, was produziert wird", sagt der 43-Jährige. In Befragungen sei zwar die Mehrheit für regionale Waren. "Aber das", schätzt Paschertz, "sind Lippenbekenntnisse. Im Moment will die Masse das, was billig ist."

Größere Sorgen bereitet dem Landwirt der Flächenverlust durch den Bau von Wohnsiedlungen oder Gewerbegebieten. "Die Meerbuscher Gegend ist für den Anbau von Sonderkulturen besonders geeignet", erklärt Paschertz. "Kleinklimatisch sind wir wegen der Rheinnähe keinen extremen Wetterbedingungen ausgesetzt." Ein Spatenstich und der Brunnen sei fertig - die Bewässerung also kein Problem. Das Problem liege in der Flächenkonkurrenz. Für Paschertz ist klar: In der Regionalplanung sollten nicht die besten Standorte geopfert werden. "Ist die Fläche einmal bebaut worden, ist sie für die Natur futsch."

Die Berichte fußen auf Vorträgen der Land- und Forstwirte bei der CDU-Mittelstandsvereinigung Meerbusch.

(RP)
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