Klaus Heesen Warum Montessori, Herr Heesen?

Meerbusch · Die Maria-Montessori-Gesamtschule in Meerbusch hat seit Jahren mehr Anmeldungen als Kapazität. Im Interview erklärt Direktor Klaus Heesen, wie seine Schule funktioniert, warum es keine Cola gibt und warum Fast Food gestrichen wurde.

 Klaus Heesen ist Schulleiter der Maria-Montessori-Gesamtschule in Meerbusch.

Klaus Heesen ist Schulleiter der Maria-Montessori-Gesamtschule in Meerbusch.

Foto: Ulli Dackweiler

Herr Heesen, Ihre Schule hat erneut deutlich mehr Anmeldungen, als sie Schüler aufnehmen kann. Die Politik schlägt seit einigen Jahren vor, dass Sie Ihre Schule erweitern.

Heesen Wir hatten in den vergangenen Jahren immer rund 200 Anmeldungen und können nur 116 Kinder aufnehmen. In diesem Jahr sind es weniger Anmeldungen geworden, wir sind bei 162 Anmeldungen. Das ist allgemeine Tendenz in Meerbusch, dass weniger Schüler angemeldet werden. Trotz des Überhangs: Ich wehre mich gegen eine Lösung, bei der wir eine Dependance bilden, weil dies bedeuten würde, dass wir eine Qualitätsverschlechterung erfahren. Das fände ich fatal für Meerbusch. Man muss bedenken: Zehn Prozent der Grundschüler bekommen ihre Wunschschule nicht. Das ist ärgerlich und bedauerlich, aber kann für mich nicht der Anlass sein, dass wir eine Dependance bilden. Die Antwort ist in meinen Augen: Die Realschule muss gestärkt werden, sie muss weiter ihre Schüler aufnehmen können und eine Sicherheit haben.

Wovon hängt ab, welche Schüler Sie hier nehmen?

Heesen Wir müssen aufgrund des Überhangs ein Los-System praktizieren. Die Grundlage von Gesamtschulen sind leistungsheterogene Klassen. Laut Vorgabe durch die Bezirksregierung ist es nicht entscheidend, welche Schulform die Grundschule empfiehlt, weil in der Gesamtschule diese Kategorien nachrangig sind. Wir gehen von der Durchschnittszeugnisnote des Kindes aus, bilden dann zwei Töpfe. In den einen Topf kommen Kinder mit einer Note besser als 2,5, in den anderen Kinder mit einer Note schlechter als 2,5. Wer hier aufgenommen wird, hat also gewissermaßen Losglück. Ich sorge für das Setting, dass gleichverteilt leistungsstärkere und leistungsschwächere Schüler aufgenommen werden.

Wie erklären Sie sich die starke Nachfrage, wie werben Sie um Schüler?

Heesen Es ist ganz wichtig, den Schülern den Übergang zu erleichtern. Mir ist wichtig, dass die Viertklässler vorher unsere Schule kennenlernen. Ich fordere sie immer auf: ,Schaut Euch verschiedene Schulen an und entwickelt ein Gespür dafür, wo Ihr Euch wohlfühlt.' Nur dann lernen sie auch gut. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Viertklässler mit Schülern von uns durch die Schule gehen - nicht mit Erwachsenen. Kinder sollen mit Kindern reden. Man muss auch bedenken: Wir sind eine Ganztagsschule, die Schüler sind eine lange Zeit des Tages bei uns. Das macht nur Sinn, wenn das Kind gerne hier ist.

Gibt es ein Grundprinzip Ihrer Schule?

Heesen Alle Schüler unter einem Dach, und das altersgemischt im Sinne Maria Montessoris. Man erlebt das in den Pausen im Forum. Wir haben einen großen Bereich, in dem sich Schüler aufhalten können. In den Pausen sitzen alle nebeneinander, auch in den Offenen Angeboten im AG-Bereich haben wir immer eine Altersmischung. Bei uns ist es selbstverständlich, dass Ältere mit Jüngeren lernen, zusammen arbeiten und Freizeit verbringen. Auch in der Mensa sitzen selbstverständlich Fünftklässler neben Neuntklässlern und Zehntklässlern. Wir bilden keine Gruppierungen von Gleichaltrigen. Der Effekt ist, dass sie gegenseitig Rücksicht nehmen. Es kommt selten vor, dass sich jemand profiliert. Die Schüler gehen respektvoll miteinander um.

Über die Herausforderungen der Inklusion wird an vielen Schulen geklagt. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Heesen Wir haben das Glück, dass wir Inklusion von Anfang an betrieben haben. Das ist im Rahmen der Montessori-Pädagogik eine Selbstverständlichkeit, auch Kinder mit Förderbedarf in einer Schule zu haben. Anfangs hatten wir nur zielgleich zu fördernde Kinder, also Kinder, die die gleichen Abschlüsse wie Regelschüler erreichen können. Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sie entsprechend zu unterstützen. Zum Beispiel Kinder im Rollstuhl oder mit einer Hörbehinderung machen die gleichen Abschlüsse wie andere Schüler auch. Lehrer und Schüler haben sich darauf eingestellt.

Wobei die Inklusion von körperlich Behinderten leichter ist als die Inklusion geistig Behinderter.

Heesen Das machen wir jetzt seit sieben Jahren, dass wir Kinder mit Lernbehinderung oder geistiger Behinderung unterrichten. Dieser Schritt war für uns nicht mehr so groß, weil das grundsätzliche, das individuelle Fördern, schon praktiziert wurde. Wir hatten auch das Glück, durch zielgleiche Förderung schon Sonderschulpädagogen an unserer Schule zu haben. Der Personalschlüssel wurde im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erhöht. Wir hatten bislang das Glück, dass wir immer das vorgesehene Personal hatten. Es gab einen Grundstamm an Sonderschullehrern. Mir war wichtig, dass sie mit voller Stelle hier beschäftigt sind, damit die Sonderschullehrer selbst auch inkludiert werden. Durch Verteilung der Kinder und möglichst viel Doppelbesetzung haben wir erreicht, dass der Unterricht gut gelingen kann.

Sie machen als ein pädagogisches Ziel für sich geltend, keine Verbote aussprechen zu wollen. Eine Schule ohne Verbote - wie geht das?

Heesen Wir haben Regeln mit den Schülern vereinbart, wie sie sich zum Beispiel im Gebäude zu verhalten haben. Die Regeln müssen für die Schüler plausibel sein. Im Rahmen dieser Regeln sollen für die Schüler viele Freiräume bleiben. Ein Prinzip ist, dass die Schüler in den Pausen in den Klassenräumen bleiben können. Wir trauen ihnen zu, dass sie sich angemessen verhalten. Die Regel lautet: Nur die Schüler der eigenen Klasse im Klassenraum. Ansonsten muss man sich anderswo treffen. Das geht gut, wir haben keine Streitereien oder Beschädigungen.

Was läuft an anderen Schulen falsch, dass es dort seltener gelingt?

Heesen Wir haben das Glück, dass unsere Lehrer sehr dicht an den Schülern sind. Wir haben in den Klassen immer Klassenlehrerteams, die mit möglichst vielen ihrer Fachstunden in den Klassen sind. Die Kinder fühlen sich sehr aufgehoben. Die Lehrer werden immer angesprochen, wenn in ihren Klassen etwas passiert. Die Identifikation unserer Schüler mit ihrer Schule ist sehr groß. Ich denke, jede Schule muss für sich entscheiden: Was brauchen Schüler, um hier gut lernen zu können. Entscheidend ist, eine gute Verbindung zu den Schülern zu haben, ohne die professionelle Distanz zu verlieren. Ein Element ist auch, den Schülern viel zuzutrauen.

Beispiele?

Heesen Wir haben Schüler zum Beispiel mit einem Landschaftsarchitekten Pläne für den Umbau unseres Schulgeländes gestalten lassen. Was da herauskam, war völlig faszinierend. Sie schlugen vor, den Schulhof umzugestalten.

Welche Pläne sind das?

Heesen Das fängt damit an, dass wir vorne auf dem Schulhof durch Anpflanzen von Bäumen und Aufbauen von Sitzgelegenheiten den Schülern die Möglichkeit bieten, zusammenzusitzen. Dann wollen wir zwei Wege einrichten, so dass durch die Pflasterung und Beleuchtung erkennbar wird, wo es von den Schultoren zum Eingang geht. Ich habe seit Langem das Interesse, dass wir einen Haupteingang bekommen, aber das ist eine Geldfrage. Die Stadt versteht unseren Wunsch, verweist aber auf den Haushalt. Der Weg soll ausgestaltet sein mit Aussagen von Montessori - das war die Idee der Schüler, um die Montessori-Pädagogik sichtbar zu machen. Weitere Ideen sind etwa, den Schulhof in verschiedene Zonen einzuteilen, in Bereiche des Sportes, der Ruhe, der Begegnung.

Was bedeutet das für Sie als Direktor? In Ihrer Leitungsfunktion müssen Sie sich manchmal zurücknehmen, Freiraum lassen?

Heesen Mir ist Partizipation wichtig, dass Schüler und Eltern beteiligt werden. Aber natürlich gibt es Rahmenvorgaben, die ich mache. Schönes Beispiel: Mir liegt sehr viel am gesunden Essen für die Schüler. Wir haben das Riesenglück, dass wir aufgrund der engagierten Eltern einen Cafeteria-Verein haben, der einen Koch eingestellt hat. Der kocht hier vor Ort für die Schule. Ich habe der Küche gesagt, dass ich möchte, dass die Fritteuse abgeschafft wird. Ich möchte keine Pommes und ich möchte kein Fast Food hier haben.

Gab es Schülerprotest?

Heesen Ja, den gab es, aber in geringem Maße. Es gelingt dem Koch, andere Angebote zu machen, die kein Fast Food sind. Ein anderes Beispiel: Unser Schul-Kiosk hat eine klare Vorgabe: Es gibt keine zuckerhaltigen Limonade, keine Cola, keine Süßigkeiten in Großmengen wie eine Tafel Schokolade. Wir wollen, dass sich unsere Schüler gesund ernähren.

Dann bringt sich der Schüler eben Sachen von zu Hause mit.

Heesen Das passiert kaum. Aber die Schüler haben mit dem Koch zusammen einen Mensa-Ausschuss gegründet und überlegen, was gut für sie wäre. Im Moment diskutieren sie, wie der Obstkonsum gesteigert werden kann. Eine Idee ist, dass am Schulkiosk das Obst günstiger wird, dafür alle anderen Sachen etwas teurer. Solche Ideen kommen von Schülern. Über die SV und den Klassenrat wird das jetzt gerade abgefragt, ob dieser Wunsch besteht.

Die Obstverkaufszahl würde ich gerne kennenlernen.

Heesen Da bin ich auch gespannt, ob sich der Verkauf steigern lässt.

Bei all diesen Gegebenheiten: Leben Sie hier nicht ein wenig auf einer selbstgeschaffenen Insel der Glückseligen?

Heesen Sagen wir es so: Das Maß der Zufriedenheit ist sehr hoch. Ich glaube, dass die Schüler gerne kommen, und auch die Lehrer. Das hatte den Effekt, dass wir in den Zeiten, wo es wenig Lehrer für freie Stellen gab, immer genug Lehrerinteresse hier vorhanden war.

Bei all den Argumenten für Ihre Schule: Sehen Sie eine Zukunft für das dreigliedrige Schulsystem? In Meerbusch ist es ja schon aufgeweicht. Hier gibt es keine Hauptschule mehr.

Heesen Der Grund, warum Hauptschulen geschlossen werden, ist der, dass Eltern eine Schule wollen, wo das Abitur prinzipiell möglich ist. Hauptschulen machen aber vielerorts eine gute Arbeit, es gibt dort ausgezeichnete Pädagogen.

Wenn man sieht, welche Chancen man heute im Handwerk hat, dann müsste man manchen Eltern doch eigentlich raten, ihre Kinder nicht mit aller Macht bis zum Abitur zu bringen.

Heesen Die Antwort auf diese Frage ist die Gesamtschule. Sie bildet heterogene Klassen. Mir ist es als Schulleiter wichtig, das Kind zu dem Abschluss zu führen, der für diese Person das Beste ist. Die Abschlüsse sind für mich gleichwertig - wenn ein Kind einen guten Hauptschulabschluss macht, und das ist die Grenze des Erreichbaren für das Kind, dann ist das gut. Die Gesamtschule hat alle Elemente der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums im Unterricht verankert. Und - ganz wichtig - hier werden Schüler nicht zurückgestuft, können nicht sitzenbleiben und müssen auch nicht die Schule verlassen wie im dreigliedrigen Schulsystem. Dieses Herabstufen finde ich fatal für die Kinder. Deshalb finde ich es wichtig, dass Eltern sich genau überlegen, auf welche Schule sie ihr Kind schicken. Kinder, die zum Lernen Zeit brauchen, darf man nicht mit aller Macht auf das Gymnasium schicken. Die sind vielleicht im Gymnasium heute mit G8 nicht richtig aufgehoben. Wir Gesamtschulen richten hingegen das Unterrichtsangebot nach dem Kind aus, nehmen die Kinder mit.

Sie waren selbst früher Gymnasiallehrer. Haben Sie damals schon so gedacht?

Heesen Nein, da war mir das Gesamtschulsystem noch nicht so vertraut. Aber ich habe dazugelernt.

SEBASTIAN PETERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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