Lisa Heitkötter "Viele Mütter sind in Panik"

Meerbusch · Seit Beginn des Monats sind die Versicherungsprämien für Hebammen massiv gestiegen. Viele Geburtshelferinnen wissen nicht mehr, wie sie das finanzieren können. Kreißsäle sind bereits geschlossen worden

 Immer auf dem Sprung: Lisa Heitkötter arbeitet seit fünf Jahren als Hebamme. Auch sie leidet wie viele ihrer Kolleginnen unter der neuen Vorschrift der Versicherungen, mehr Prämie zu zahlen.

Immer auf dem Sprung: Lisa Heitkötter arbeitet seit fünf Jahren als Hebamme. Auch sie leidet wie viele ihrer Kolleginnen unter der neuen Vorschrift der Versicherungen, mehr Prämie zu zahlen.

Foto: Ulli Dackweiler

Deutschlands Hebammen schlagen Alarm. Das Versicherungskonsortium, das die außerklinische Geburtshilfe verwaltet, hat die Prämien für die Haftpflichtversicherung der freiberuflich tätigen Geburtshelferinnen erneut angehoben. Viele Kreißsäle mussten bereits geschlossen werden. Hebammen melden sich mit einem dringlichen Appell: Ihre Aufgaben seien unter diesen Bedingungen nicht mehr zu erfüllen. Welche Auswirkungen hat die gegenwärtige Situation auf die Arbeit einer Hebamme in Meerbusch? Lisa Heitkötter (33), Mutter eines Sohnes, erzählt von ihrem Alltag.

Frau Heitkötter, wie vielen Babys haben Sie schon auf die Welt geholfen?

Heitkötter Es dürften etwa 200 Kinder gewesen sein.

Gab es dabei auch dramatische Momente?

Heitkötter Es ist immer traurig, wenn eine Schwangerschaft nicht glücklich verläuft. Das kommt leider vor. Bei meinen Geburten blieb mir eine wirklich dramatische Situation bisher erspart.

Genau das ist der strittige Punkt bei den Prämienerhöhungen. Geht etwas schief, muss die Haftpflicht der Hebammen dafür einstehen. Was ist daran falsch?

Heitkötter Schadenersatzklagen werden unabhängig davon erhoben, ob Fahrlässigkeit im Spiel war oder, wie in den meisten Fällen, ein schicksalhafter Verlauf, den nichts hätte verhindern können. Geburtsschäden werden immer teurer, weil die Kinder zum Glück häufiger überleben, oft aber jahre- oder lebenslange Therapien brauchen. Das ist auch der Grund für den enormen Anstieg der Prämien.

Aber wer sonst sollte dafür in die Pflicht genommen werden?

Heitkötter Ich kann verstehen, dass sowohl die Kassen als auch die Versicherungen als Wirtschaftsunternehmen das ablehnen. Über Fahrlässigkeit diskutieren wir hier nicht. Aber bei unverschuldeten schicksalhaften Verläufen sollte es eine Regelung geben, bei der die Gemeinschaft das Risiko mitträgt.

Also müssten sich die Politiker einschalten. Der Hebammenverband hat dafür allerlei Anstrengungen unternommen. Was hat's gebracht?

Heitkötter Wenig. Ich erlebe in meiner Tätigkeit jetzt den dritten Gesundheitsminister. Alle versprachen Unterstützung, sind der Frage zur Klärung der Haftpflicht für Hebammen aber ausgewichen. Das im Juni im Bundestag verabschiedete Versorgungsstärkungsgesetz löst das Problem definitiv nicht. Der Effekt auf die Versicherungssummen wäre zu gering.

Wissen Sie einen Ausweg aus der Misere?

Heitkötter Mit einer Reduzierung der Prämien wäre uns schon sehr geholfen. Es sind viele Hebammen ausgestiegen, die gern in Teilzeit gearbeitet hätten, sich dies aber nicht mehr leisten konnten. Sie würden sofort wieder anfangen. Gerade unser Beruf bietet sich wunderbar dafür an. Hebammen sind häufig Mütter oder wollen es werden. Eine Teilzeit-Möglichkeit würde auch die Situation der festangestellten Hebammen in den Kliniken verbessern. Sie sind vielfach überlastet, weil sich alles auf wenige Geburtsstationen konzentriert, das Personal aber nicht wächst.

Wie sieht Ihre persönliche finanzielle Situation aus?

Heitkötter Als ich mich im Mai 2010 selbstständig gemacht habe, kostete meine Haftpflichtversicherung 1500 Euro im Jahr. Nach mehreren Erhöhungen sind es jetzt 6274 Euro.

Wenn so viele Kolleginnen das Handtuch werfen - warum können Sie sich Ihren Beruf noch leisten?

Heitkötter Weil ich zur Zeit Vollzeit arbeite. Das könnte sich auch wieder ändern. Würde ich weniger einnehmen, aber nach wie vor die hohen Prämien bezahlen müssen, lohnt sich die Arbeit nicht mehr. Vor meiner Selbstständigkeit war ich Beleg-Hebamme in Krefeld-Uerdingen. Dieser Kreißsaal wurde übrigens später geschlossen, in ganz Krefeld blieb für alle werdenden Familien nur eine einzige Entbindungsstation übrig.

Wo sind Sie heute als Hebamme unterwegs?

Heitkötter Seit Herbst 2010 betreue ich am Geburtshaus Düsseldorf auch viele Schwangere aus Meerbusch, die sich eine häusliche Geburt wünschen oder ins Geburtshaus wollen. Bis Dezember sind es etwa zwölf werdende Mütter.

Was gehört alles zu Ihren Aufgaben?

Heitkötter Die regelmäßige Schwangerschaftsvorsorge, die Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden und natürlich die Begleitung bei der Geburt. Daran schließt sich die Wochenbettbetreuung an, die bis zu acht Wochen dauern kann. Bei Bedarf unterstütze ich die Mütter bis zum Ende der Stillzeit. Viele Schwangere suchen gleich am Anfang nach einer Hebamme. Sie haben regelrecht Panik, später kaum noch eine zu finden, und das nicht zu Unrecht. Als Fachkräfte erkennen wir Feinheiten, die eine ärztliche Behandlung erfordern und können nötige Maßnahmen einleiten. Wir helfen den Familien dabei, ein gutes Zusammenleben mit ihrem Kind zu finden, geben Tipps zu Pflege und Ernährung. Oft ist auch seelischer Beistand gefragt. Auf diese komplexe Unterstützung junger Eltern sollte unsere Gesellschaft nicht verzichten.

Sie sind erst Diplom-Psychologin und danach Hebamme geworden. Profitieren Sie von Ihrem Studium?

Heitkötter Zumindest hat es mich gelehrt, Verständnis und Toleranz für alle Arten von Menschen und Situationen zu entwickeln. Ich treffe auf unterschiedliche soziale Strukturen und familiäre Konstellationen: Reiche und Arme, Alleinerziehende, Patchwork-Familien oder homosexuelle Partner, die Kinder bekommen.

Was können die Hebammen noch unternehmen, um ihre Lage zu verbessern?

Heitkötter Das fragen wir uns auch, fühlen uns aber mittlerweile hilflos. Wir haben mit Protesten und Petitionen versucht, unsere Problematik darzulegen. Auch viele Eltern haben toll für uns gekämpft. Trotzdem spitzt sich die Situation immer weiter zu. Streik ist keine Option, der Schuss würde nach hinten losgehen. Als Selbstständige schaden wir uns damit nur selber - und den Familien, die wir betreuen. Wir Hebammen wundern uns schon, dass unsere Arbeit von der Politik und den Kassen so wenig wertgeschätzt wird. Wir erledigen sie immer noch mit Herzblut. Aber Herzblut allein reicht auf Dauer nicht aus.

REGINA GOLDLÜCKE STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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