Meerbusch Plädoyer für die Freiheit

Düsseldorf · Joachim Gauck zu Besuch in Osterath: Mehr als 500 Bürger wollten den "Bundespräsidenten der Herzen" sehen. Doch nur 300 passten in die Evangelische Kirche. Sie erlebten eine eindrucksvolle Lesung.

Wenn Joachim Gauck zur Lesung kommt, darf der Begriff des "Bundespräsidenten der Herzen" nicht fehlen. "Wenn das Volk hätte wählen dürfen, wäre Herr Gauck jetzt Präsident." So begrüßte Konrad Mönter seinen Gast. Und der Zulauf gibt ihm Recht. Knapp 300 Hörer hatten sich in der Evangelischen Kirche an der Alten Poststraße in Osterath versammelt, um den Erinnerungen des 70-Jährigen "Winter im Sommer – Frühling im Herbst" zu lauschen. Weitere 200 haben keine Karte bekommen. Doch der so Geehrte – erschienen im dunkelblauen Anzug mit rotgestreifter Krawatte – scheint kein Freund langer Lobesreden zu sein.

Lang anhaltender Applaus freut ihn, doch er nimmt sein mit gelben Zetteln gespicktes Exemplar und greift rasch zum Mikro. Gauck stellt klar, dass er seit dem Wechsel zur Bundes- (Gauck-)behörde kein Pastor mehr ist. "Das haben die Dienstherren nicht mitgemacht." Dennoch sei ihm der Auftritt in Kirchen angenehm. Denn eigentlich sei er ein Redner und kein Schreiber, erzählt er die Geschichte von der schweren Geburt, das knapp 400 Seiten zählende Buch zu Ende zu bringen –was nur geklappt habe, weil er sich bei einer befreundeten Autorin Rat geholt habe. Es hat sich gelohnt. Der Mann, der auf dem Fischland in Mecklenburg-Vorpommern seine Heimat sieht, beschreibt berührend seine Kindheit unter dem SED-Regime, wie der Vater im Jahr 1951 abgeholt wurde und als verschollen galt. Und er beschreibt die Techniken, die seine Familie entwickelt hatte, um in diesem System zu überleben.

Verdrängen und eine rebellische, statt einer traurigen Haltung gehörten für ihn dazu – eine Haltung, die erst Jahre später aufbricht, nachdem die Mauer gefallen ist und er – allein vor dem leeren Blatt – seine Erinnerungen aufschreibt. "Da habe ich gelernt, dass auch ein Gauck, der viel über sein Schicksal und das vieler anderer Menschen geredet hat weinen, und sich auch mit 69 Jahren noch ändern kann." Aus der Schwäche eine Stärke zu machen, war für ihn ein "wunderbarer Erfolg."

Mahnung gegen das Vergessen

Deshalb versteht er sein Buch als Mahnung gegen das Vergessen, das persönliche und das kollektive. Für ihn ist ganz klar: Die Geschichte in den Schulbüchern darf nicht mit der Behandlung der Nazizeit aufhören. "Hitler war das eine, der Kommunismus das andere." Der Applaus seiner Zuhörer ist ihm sicher. Immer wieder mischt Gauck Passagen aus seinem Buch mit Anmerkungen.

Zwei Stunden lang fesselte er seine Zuhörer, bevor er die Lesung mit einem Plädoyer für die Freiheit schließt. Den anhaltenden Applaus kürzt er ab, reicht das Mikro weiter an Mönter, dessen Dank (verbunden mit einem signierten Buch von Lev Kopolev) untergeht. Gauck nimmt Platz an dem Tisch mit Stift und signiert.

(RP)
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