Meerbusch Liebeserklärung an den Niederrhein

Meerbusch · Bestsellerautor Jan Weiler erinnert sich an seine Kindheit und Jugend in Meerbusch

Meerbusch: Liebeserklärung an den Niederrhein
Foto: Andreas Kienast

DIE FRAGE, was genau eigentlich Heimat ist, wird gerade oft gestellt. Ich kann sie zumindest für meine Person sehr einfach beantworten, denn meine Heimat ist die Sprache. Wo ich mich ausdrücken kann, da bin ich zu Hause. Nun könnte man daraus leicht ableiten, dass demnach Deutschland meine Heimat sei, und das ist ja auch nicht ganz verkehrt. Aber es lässt sich noch genauer eingrenzen, denn ich war wirklich schon überall in diesem Land, habe Deutsche in allen möglichen Dialekten reden hören - und manchmal habe ich rein gar nichts kapiert.

Ich werde also beim besten Willen nicht von mir behaupten können, dass die Schwäbische Alb meine Heimat sei, oder der Hunsrück oder das Erzgebirge. Selbst Bayern ist mir nie so richtig zur Heimat geworden. Als ich vor über zwanzig Jahren nach München zog, fühlte ich mich dort sogar regelrecht fremd. Gleich am zweiten Tag wollte ich Frikadellen braten und dafür alte Brötchen kaufen. Ich ging in eine Bäckerei und sagte: "Ein altes Brötchen bitte." "A Semmen kenn's ham."

"Dann hätte ich gerne eine alte Semmel."

"Mir hamka oide Semme ned."

"Okay. Dann nehme ich eben eine frische Semmel."

"Die san aus."

Es hat Jahre gedauert, bis ich mich einigermaßen zurechtfand in Bayern. Ich fühle mich dort wohl, dennoch bin ich ein Fremder geblieben, denn wenn die Sprache eine Heimat ist, dann fühlt man sich nun einmal dort zuhause, wo die anderen genauso sprechen. Und das ist eben nun einmal in meinem Fall hier: in Meerbusch.

Natürlich hat mich Meerbusch früher wahnsinnig genervt, besonders im Herbst. Nieselregen, Nebel und vor allem dauernd dieser Gegenwind. Man fährt nach Lank und hat Gegenwind. Man fährt zurück und hat auch Gegenwind. Wie kann das sein? Und immer den Regen im Gesicht und die speckig glänzenden Äcker mit dem vergammelten Kartoffelkraut im Blick. Überhaupt dauernd dieses Fahrradgefahre. Oder war das nicht doch eigentlich sehr schön? Wenn ich mich noch einmal besinne, muss ich zugeben, dass ich in Bayern nie mit dem Fahrrad fahre, weil man hier dauernd bergauf muss und das bergab einen nicht anständig dafür entschädigt. In Meerbusch hingegen ist man mit dem Rad tatsächlich ganz schnell überall, Lob der Flachheit und der ausgezeichneten Fahrradwege. Wenn das Rad kaputtging, musste es nach Lank. Zu Toups. Radsportlegende mit hoher Fachkompetenz für Achten im Reifen und verbogene Ritzel. Natürlich sind das in Wahrheit schöne Erinnerungen, und beim Zusammenfegen findet man im Kopf noch viel mehr. Zum Beispiel an die Allee, die vom Mönkesweg zum Schloss führte. In meiner Kindheit wurde dort die Autobahn hindurchgebaut. Auf der Baustelle verlor ich einen Gummistiefel, der heute im Fundament der A44 ruht und noch in vielen tausend Jahren davon kündet, dass dort ein kleiner Junge verbotenerweise gespielt hat. Das ist sozusagen mein Vermächtnis.

Wenn ich weiter in mir herum fege, denke ich an die Pappelallee, an die Fähre, ans Kanapee und das Eis von Trudi, das es ja wieder gibt, wie ich gelesen habe. Den TuS Bösinghoven, wo ich unter einem furchterregenden Trainer namens Bübi über die Asche gescheucht wurde, gibt es hingegen nicht mehr. Fusioniert, wie ich gehört habe. Ich freue mich jedes Mal, wenn mir irgendwo in Deutschland jemand aus der Schulzeit begegnet und mir etwas von zu Hause erzählt - selbst wenn's schlechte Nachrichten sind. Dass in Osterath jetzt wie irre gebaut werde, dass Coco gestorben sei, dass es furchtbar viele Auto-Aufbrüche gebe.

Manchmal, wenn ich hier bin, fahre ich mit meiner Mutter einkaufen. Ich muss dann immer zum Bäcker. Die Brötchen dort sind eine Million Mal besser als die blöden trockenen bayerischen Semmeln. Vor allem kaufe ich bei jedem Besuch kiloweise Schwachzbrot, welches ich in Bayern einfriere, weil es so etwas Gutes dort nicht gibt. Wirklich wahr. Ich sage also: "Zwanzsch Pakete Schwachzbrot". Und die Verkäuferin findet das kein bisschen besonders. Sie guckt nur kurz hoch und sagt: "Na, da hät aber äiner Hunger."

Ich liebe Dich, mein Niederrhein.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort