Klaus Rettig Und Ralph Jörgens "Liberal und sozial sind kein Gegensatz"

Meerbusch · Der FDP-Fraktionschef und der FDP-Parteichef reden im Interview über die spezielle Rolle der Meerbuscher FDP und das leidige Thema Sparen.

 Klaus Rettig (l.) und Ralph Jörgens im Gespräch mit RP-Redakteur Sebastian Peters im Osterather Büro der FDP. Beide sprechen offen über die Ausrichtung der Partei, bringen auch zum Ausdruck, nicht immer einer Meinung zu sein.

Klaus Rettig (l.) und Ralph Jörgens im Gespräch mit RP-Redakteur Sebastian Peters im Osterather Büro der FDP. Beide sprechen offen über die Ausrichtung der Partei, bringen auch zum Ausdruck, nicht immer einer Meinung zu sein.

Foto: Ulli Dackweiler

Herr Rettig, Herr Jörgens, die FDP ist in Meerbusch Opposition, obwohl sie eine große potenzielle Wählerschaft hat. Sie könnten Politik mitgestalten, wenn Sie sozialliberale Positionen aufgeben.

Klaus Rettig Das ist unsere Tradition hier. Es gibt bei uns ein hohes soziales Engagement. Wir haben in der Meerbuscher FDP fünf Leute, die das Bundesverdienstkreuz erhalten haben, weil sie sich sozial engagierten. Darauf sind wir schon stolz.

Dennoch müssen Sie sich die Frage stellen, ob sich mit einer anderen Politik mehr Wähler und neue Verbündete gewinnen ließen.

Rettig In Meerbusch hatten wir bei den Kommunalwahlen seit 1970 fast immer zwischen zehn und 14 Prozent der Stimmen, 2014 waren es ca. elf Prozent, 2009 sogar fast 22 Prozent. Da gibt es sicher auch landes- und bundespolitische Einflüsse, aber insgesamt werten wir die Ergebnisse als Erfolg unserer Arbeit vor Ort. Verglichen mit anderen FDP-Ortsverbänden stehen wir sehr gut da.

Jörgens Es tut mir weh, wenn sozial und liberal als Gegensatz beschrieben werden. Ein Großteil unserer Politik ist tatsächlich sozial motiviert. Wir sind aber eben nicht die, die sagen, Portemonnaie auf und zahlen. Unser Verständnis von sozial ist, dass wir Menschen die Chance geben wollen, sich selbst zu entwickeln und zu stützen. Das ist manchmal schwerer zu verkaufen. Und vielleicht haben auch die Medien damit ein Problem, das so zu vermitteln.

Eher haben die bei Ihnen handelnden Personen es jahrelang anders verkauft. Guido Westerwelle ist mir nicht als Sozialliberaler aufgefallen.

Jörgens Da haben Sie Recht. Aber auch die, für die er Politik gemacht hat, haben sich sozial stark engagiert. Es gibt beispielsweise viele Städte in der Größe von Meerbusch, denen geht es gut wegen eines starken regionalen Mäzens. Mancher Mäzen unterstützt Dinge im Kleinen und Verborgenen, was man oft nicht richtig wahrnimmt.

Rettig Ich habe da eine andere Sicht als Du, Ralph. Dass Wohlhabende Steuern sparen können, wenn sie spenden, geht in eine falsche Richtung. Jeder soll ordentlich seine Steuern zahlen. Mein Standardbeispiel sind die Tafeln: Es kann nicht sein, dass Menschen in Deutschland nichts zu Essen haben und Private für ihr Essen aufkommen.

Herr Rettig, sind Sie nicht eigentlich ein verkappter SPD-Mann?

Rettig Nein, ich bin leidenschaftlicher Liberaler. Als solcher darf man auch unbequeme Positionen einnehmen.

Unbequem ist die FDP auch beim Thema Interkommunales Gewerbegebiet. Sie sind strikt dagegen. Ihre Kollegen in Krefeld zeigen sich schon höchst verwundert.

Rettig Es gibt ein Gutachten aus 2015, das besagt, dass Meerbusch bis zum Jahr 2030 einen weiteren Bedarf von 17 bis 29 Hektar Gewerbefläche hat. Man muss sich vor Augen halten, wie viele freie Gewerbeflächen es noch gibt. Im privaten Böhler-Erweiterungs- Areal stehen noch 7,5 Hektar zur Verfügung, im städtischem Mollsfeld in Osterath gibt es immer noch Grundstücke, die seit 1990 bis heute nicht verkauft sind. Es gibt viele gute Gründe gegen die jetzige Planung, und es wird Jahrzehnte dauern, bis die geplante riesige Fläche vermarktet ist. Wir sollten machen, was für Meerbusch erforderlich ist. Aber nicht mehr.

Wenn selbst die FDP das Interkommunale Gewerbegebiet nicht unterstützt, wer dann?

Rettig Wir können dem Konzept auf jeden Fall nicht zustimmen. Die geplanten Flächen sind viel zu groß für Handwerker, ein Handwerker braucht vielleicht 1000 bis 3000, aber nicht 10.000 Quadratmeter. Und den Logistiker will hier keine der Meerbuscher Parteien, das kann Krefeld auf eigenem Gebiet machen, wenn es will. Ich sehe übrigens auch die Rolle der IHK beim interkommunalen Gewerbegebiet kritisch. Im Übrigen: Die IHK macht viele Dinge, die wir nicht vertreten. Zum Beispiel forciert die IHK die Südanbindung des Krefelder Hafens über Meerbuscher Gebiet und den Flughafen Düsseldorf: Nach Fluglärm wird da aber überhaupt nicht gefragt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir sind nicht gegen den Flughafen, aber es gibt das Nachtflugverbot, das der Flughafen einhalten muss. .

Stichwort Rathaus: Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit der Stadtchefin Mielke-Westerlage?

Jörgens Insgesamt finde ich ihre Leistung gut. Der Anfang war vielversprechend, sie hat Themen gesetzt. Sie hat anfangs auch immer anklingen lassen, dass ihre Erfahrung in der Verwaltung von Vorteil sein wird. Ich sehe aber auch eine leichte Enttäuschung. Ich kann bis jetzt nicht feststellen, dass eine Veränderung stattfindet. Die Verwaltung hat ca. 600 Mitarbeiter, wie man hört, greift sie sehr viel und tief ein. Ein guter Chef gibt aber aus meiner Sicht die grobe Richtung vor und lässt die Leute autark und entscheidungsbewusst agieren. Außerdem kritisiere ich, dass sie einfach zu viel Geld ausgibt. Frau Mielke-Westerlage ist zu großzügig und nicht entschieden genug bei der Haushaltssanierung.

Die FDP allein wird in Meerbusch keine Haushaltspolitik machen können. Welche Verbündeten sehen Sie - und wäre perspektivisch die CDU mal ein Partner?

Rettig Die Meerbuscher Liberalen haben zu allen anderen Parteien gute Kontakte. Nach den letzten beiden Kommunalwahlen haben wir mit der CDU Verhandlungen über eine mögliche Kooperation geführt, die aber an etlichen kritischen Punkten scheiterten: an der K9n, dem Frischemarkt in Osterath oder der geringe Bereitschaft der CDU, den Haushalt ernsthaft zu sanieren. Während der Ostara-Planung haben wir eng mit den Grünen zusammengearbeitet. Bei der letzten Bürgermeisterwahl gab es wegen der gemeinsamen Kandidatin eine Nähe zur SPD und UWG. Diese löste sich aber etwas auf, weil die SPD unserer Meinung nach zu viel auf das Geldausgeben bedacht ist. Ein aktuelles Beispiel ist die Frage, in welchem Standard die Flüchtlingsunterkünfte ausgebaut werden sollen. Ich persönlich denke da bescheiden: Ich habe zwei Geschwister, wir sind zu Dritt in einem Zimmer groß geworden.

Jörgens Viele Beschlüsse, auch im sozialen Bereich, werden ja jetzt schon fast einstimmig gefällt. Es gibt bei vielen Fragen im Rat oft auch Einvernehmen, keine Blockbildung. Das gilt zum Beispiel für den sozialen Wohnungsbau.

Aber sind nicht genau dort in den vergangenen Jahren Fehler gemacht worden? Meerbusch hat kaum Sozialwohnungen.

Rettig Im sozialen Wohnungsbau sind sicherlich Fehler gemacht worden. Die SPD reklamiert das Thema jetzt für sich, dabei haben wir aber längst einen Ratsbeschluss, der besagt, dass beim Verkauf von städtischen Flächen 30 Prozent Sozialwohnungen gebaut werden müssen. Außerdem muss man betonen: Der soziale Wohnungsbau ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, da hat alles noch der Staat bezahlt. Wenn die SPD nun fordert, dass mehr Sozialwohnungen gebaut werden müssen, dann muss sie auch sagen, wer bauen soll und wie das finanziert werden kann.

Jörgens Im Übrigen finde ich den Begriff des sozialen Wohnungsbaus schwierig. Für mich ist das staatlich geförderter Wohnungsbau.

Thema Haushalt: Meerbusch saniert das Hallenbad. Die FDP glaubte, dass ein Neubau anderswo günstiger wäre. Glauben Sie, dass die Sanierung im jetzigen Kostenrahmen von sieben Millionen Euro bleibt?

Rettig Ich bin da nach wie vor skeptisch. Die jetzige Schwimmbadsanierung lehnen wir ab. Es fängt für mich schon bei der Frage an, ob ein Mensch überhaupt schwimmen können muss.

Das meinen Sie ernst?

Rettig Im Prinzip ja. Wir haben das Thema fundamental und lange diskutiert. Ein weiterer Schritt dabei war zum Beispiel die Frage, ob man den Schwimmunterricht nicht effizienter organisieren kann, etwa als Blockunterricht im Rahmen einer Klassenfahrt. Auch mit einem interkommunalen Schwimmbad haben wir uns beschäftigt. Insgesamt geht es uns um Sparvorschläge. Die Stadt ist überschuldet, und wir müssen reagieren. Da muss man auch mal Undenkbares denken. Ein weiteres Beispiel ist die Musikschule: Hier wird jeder Schüler mit 1000 Euro pro Jahr bezuschusst. Das kann doch nicht dauerhaft so bleiben.

Jörgens Immerhin hat die Stadt hier teilweise auf Honorarkräfte umgestellt. Wir glauben aber, dass private Anbieter es genauso gut und günstiger machen können. Es scheint aber so zu sein, als würde es jetzt kleine Schritte in die richtige Richtung geben. Wir sind auch keinesfalls gegen die Musikschule, aber man könnte sie auf Teilbereiche einschränken.

Mit Einsparungen bei der Musikschule retten Sie den Haushalt nicht.

Rettig Das ist wohl wahr, aber irgendwo muss man ja anfangen. Die Gemeindeprüfungsanstalt hat übrigens Meerbusch 2015 untersucht und einige Einsparungen aufgezeigt. Wir werden das Gutachten diskutieren. Es geht dabei auch um Aufgabenreduzierung: Büchereien, Bürgerbüros in den Ortsteilen - können wir uns das wirklich alles noch leisten?

Welche weiteren Themen hat die FDP auf der politischen Agenda? Wie muss sich die Bildungslandschaft in Meerbusch entwickeln?

Jörgens Mir ist das Thema Schullandschaft wichtig. Wir haben zwei Gymnasien, eine Realschule und eine Gesamtschule. Fast 70 Prozent der Schüler wechseln in Meerbusch für Klasse 5 aufs Gymnasium, erst später über die Rückläufer kommen sie teilweise auf andere Schulen. Ob das Gymnasium für alle dieser Schüler die richtige Schulform ist, wage ich zu bezweifeln. Eigentlich bräuchte Meerbusch eine zweite Gesamtschule. Ich sehe aber zu Zeit nicht, wie das zu erreichen ist. Die Stadt muss einen nachhaltigen Bedarf von über 100 Anmeldungen für eine weitere Gesamtschule nachweisen. Zu hoffen, dass diese Zahl durch höhere Flüchtlingszahlen erreicht wird, halte ich für unrealistisch. Die Diskussion befindet sich zur Zeit in einer Sackgasse. Wir müssen es schaffen, einen gordischen Knoten zu durchschlagen bei diesem Thema.

SEBASTIAN PETERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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