Meerbusch Etikettenschwindel an den Schulen

Meerbusch · Die Meerbuscher Politik soll in Kürze über das Schulsystem der Zukunft für die Stadt abstimmen. Wahrscheinlich bleibt alles, wie es ist. Das kann gut gehen, konsequent ist es nicht. Es läuft etwas in die falsche Richtung - dabei ist die Politik vor Ort nur bedingt verantwortlich.

Angenommen, Sie besitzen einen in die Jahre gekommenen Gartenteich, den sie trockenlegen wollen. Ein schönes neues Blumenbeet soll stattdessen dort entstehen. Wie teuer wird das alles, werden Sie den Teich vermissen? Schwierige Entscheidung, Sie sind noch unentschieden. Würden Sie nun die im Teich lebenden Frösche befragen, wie Sie verfahren sollen?

An dieses Szenario musste man sich im jüngsten Schulausschuss erinnern. Dort sollten ausgerechnet die Meerbuscher Leiter der Grundschulen und weiterführenden Schulen in einer Analyse aufzeigen, wie sich die Meerbuscher Schullandschaft in den kommenden Jahren entwickeln könnte. Bei allem Respekt für die Fachkompetenz dieser Experten: Dass die Damen und Herren ihren Teich behalten wollen, sich also für den Erhalt des gegenwärtigen Schulsystems ausgesprochen haben, durfte keinen im ehrwürdigen Dachgeschosssaal am Dr.-Franz-Schütz-Platz verwundern. "Wer einen Sumpf trockenlegen will, sollte besser nicht die Frösche darüber abstimmen lassen" - so hat es der Schriftsteller Bruno Schönlank 1894 schon erkannt.

Um es deutlich zu sagen: Die Meerbuscher Schullandschaft ist alles andere als ein Sumpf - die Schulen haben Qualität, es gibt mit Herzblut arbeitende Schulleiter. Gleichwohl ist die Schulpolitik seit Jahren gezwungen, am bestehenden System zu doktern. Die Anmeldezahlen für die eine städtische Gesamtschule sind zu hoch, dafür waren sie an der Realschule lange zu niedrig und an der Hauptschule schlecht.

Die Konsequenz: Die Hauptschule lief aus, die Realschule sollte aufgelöst werden, um mehr Kapazität für eine Gesamtschule zu schaffen. Seitdem sucht die Politik nach einer Legitimation für ihr Handeln und nach Beweisen für das Nicht-Funktionieren des gegenwärtigen Systems: Ausgerechnet die Schulleiter sollten die Debatte nun befeuern. Sie fanden aber - das durfte keinen verwundern - nur stichhaltige Argumente gegen einen Umbau des Schulsystems. Sie machten etwa geltend, dass die Realschule mit den neuen Anmeldezahlen gerade einen Aufwärtstrend verspürt - sie nimmt jetzt zusätzlich Flüchtlinge und Abschuler von den Gymnasien auf. Doch ist diese Entwicklung bei genauer Betrachtung eigentlich kein Beweis für die Stärke der Realschule, sondern eher Signal einer verheerenden Schwäche des Schulsystems - auf Landesebene im Großen, im Speziellen aber in Meerbusch.

Es gibt eine Zahl, die in Meerbusch besonders aufhorchen lässt: 68 Prozent, in Worten: achtundsechzig Prozent, der Eltern in Meerbusch schicken ihre Kinder nach der Grundschule auf das Gymnasium. Nirgendwo sonst ist der Wert im Land so hoch. Spricht man mit Schulleitern über diese Zahl, dann sorgt das auch bei denen für Kopfschütteln. Ein bestimmter Prozentsatz der Kinder gehöre eigentlich nicht auf das Gymnasium, räumt etwa Christian Gutjahr-Dölls, Schulleiter des Mataré-Gymnasiums, offen ein. Die Schule hat keine Handhabe. Die Grundschulen sprechen zwar noch Empfehlungen für die Eltern aus, welche weiterführende Schule das Kind besuchen soll. Verbindlich ist dies aber nicht mehr. Das hat den Eltern zwar größtmögliche Freiheit gebracht, war aber der Dominostein, der das dreigliedrige Schulsystem nicht nur in Meerbusch zum Kippen gebracht hat. Landesweit werden Hauptschulen geschlossen. Die Schulform hatte einfach ein Imageproblem, obwohl ihr Experten attestierten, sich besonders gut um leistungsschwache Schüler kümmern zu können.

Meerbusch hat zwar noch drei Schulformen, aber nicht mehr das klassische dreigliedrige Schulsystem. Die Auflösung der Hauptschule war erst der Anfang. An beiden Enden funktioniert dieses System jetzt nicht mehr wie früher: Für einige leistungsschwache Schüler, die eigentlich eine Hauptschule besuchen müssten, gibt es keine Schule mehr. Die Gesamtschule hat zwar den Anspruch, auch solche Schüler aufzunehmen. Dort gibt es aber einen Überhang. Direktor Klaus Heesen praktiziert ein Lossystem, um leistungsheterogene Klassen zu bilden. Der leistungsschwächere Teil der abgelehnten Schüler besucht jetzt die Realschule, also eine Schule, die eigentlich nicht für Hauptschüler gedacht ist. Am Ende ist das Etikettenschwindel: Es gibt die Hauptschulform noch, nur wird sie nicht mehr so genannt.

Etikettenschwindel gibt es auch am anderen Ende: An den Gymnasien sind Schüler, die dort eigentlich nicht hingehören. Das Bildungsministerium hat mit einem einfachen Trick reagiert: Die Leistungsanforderungen wurden einfach heruntergeschraubt. Weil mit dem Zentralabitur überall gleiche Anforderungen an die Abiturienten gestellt werden, an Gymnasien wie Gesamtschulen, wurde das Niveau munter runtergekurbelt. Auch das sagen einem Meerbuscher Schuldirektoren offen, wenn man mit ihnen über die Entwicklung der Bildungslandschaft spricht. Konsequenz: Es gibt immer mehr Einser-Abiturienten und in der Folge neuen Druck, diesmal an den Hochschulen. Dort bekommen viele Schüler nicht mehr die Studienfächer, die sie eigentlich studieren wollen, weil ein Numerus Clausus den Zugang beschränkt. Das Schulsystem läuft in eine falsche Richtung. Die Politik steht vor einer schweren Entscheidung und man ahnt: Es wird kaum eine richtige Entscheidung geben.

(RP)
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