Paralympics Franziska Liebhart Mit Spenderorganen auf Weltrekordjagd

Leverkusen · Kugelstoßerin Franziska Liebhardt ist schwer krank. Gedanken an den Tod lässt sie nicht zu - sie träumt lieber von Gold in Rio.

LEVERKUSEN Das Motto von Franziska Liebhardt klingt relativ einfach: "Leben ist nicht schwer. Man muss immer einmal mehr aufstehen als man umgeworfen wird." Das sagt eine Frau, die fast schon tot war und an einer unheilbaren Autoimmunkrankheit leidet. Doch das blendet die 34-Jährige, deren Leben von diversen Schicksalsschlägen gezeichnet ist, aus. "Lass nicht zu, dass deine Ängste deinen Träumen im Weg stehen", sagt sie. Und ihr großer Traum ist es, heute bei den Paralympics in Rio de Janeiro Gold im Kugelstoßen zu gewinnen - am besten mit einem neuen Weltrekord über 14 Meter. "Das ist ganz klar mein Ziel. Ich bin gut drauf."

Jeden Moment in Rio saugt sie auf. "Es ist total klasse. Ich bin mit negativen Gefühlen hierher gekommen, aber es hat sich nichts bestätigt. Es macht richtig Spaß", sagt die Leichtathletin vom TSV Bayer. Dass sie die Zeit in Brasilien überhaupt genießen kann, grenzt an ein Wunder. Bis vor zehn Jahren führte sie ein normales Leben. Sportlich war die ehemalige Volleyballspielerin aber schon immer. Die Diagnose Kollagenose kam aus dem nichts - und veränderte alles. Ihr Körper wandelt gesunde Zellen in nutzloses Bindegewebe um.

Vor sieben Jahren versagte ihre Lunge. Ein Spenderorgan rettete ihr das Leben. Als sie das erste Mal wieder ohne Sauerstoffgerät atmen konnte, habe sie "Rotz und Wasser geheult", sagt sie. "Ich war vor der Transplantation so gut wie tot, es war wirklich in letzter Minute." 2010 erlitt sie zudem einen Schlaganfall und hat seitdem eine Halbseitenspastik. 2012 funktionierten plötzlich ihre Nieren nicht mehr. Nur eine Lebendspende ihres Vaters rettete ihr das Leben.

Und nun startet sie in Rio im Kugelstoßen und am Mittwoch im Weitsprung. Ihre Ärzte, aber auch viele in ihrem Umfeld hatten das für undenkbar gehalten - aber Liebhardt ist eine Kämpferin. 2015 wurde sie jeweils WM-Zweite im Kugelstoßen und im Weitsprung. Mit 13,82 Metern hält die gebürtige Berlinerin, die in Leverkusen unter der früheren Speerwerferin Steffi Nerius trainiert, im Kugelstoßen den Weltrekord. Nun wolle sie bei den Paralympics zeigen, dass sie ganz vorne mitmischen könne.

Überhaupt ist es ihr ein besonderes Anliegen, "wenn man mich als Sportlerin wahrnimmt und ich nicht auf mein Schicksal reduziert werde. Ich laufe ja auch nicht durch die Gegend und sage, was für ein armer Mensch ich bin. Es gibt Menschen bei den Paralympics, die ein schlimmeres Schicksal haben", sagt sie.

Auch im Weitsprung rechnet sich Liebhardt, deren Lebensmittelpunkt in Würzburg liegt, etwas aus. Dabei hofft sie, den "Flow vom Kugelstoßen" mitnehmen zu können. Es wäre das perfekte Ende ihrer bereits jetzt bemerkenswerten Karriere. Nach Rio macht die 34-Jährige allerdings Schluss mit dem Leistungssport. Umso bewusster nehme sie alles in Brasilien wahr: "Ich genieße das einfach."

Allen Widerständen zum Trotz hat sie sich ihren Traum von den Paralympics erfüllt. "Auf mich strömen viele neue Eindrücke ein", berichtet die Athletin. Ihre Familie unterstützt die Kinderphysiotheraupetin.

Als Folge der Organspenden muss Liebhardt lebenslang Medikamente nehmen, damit der Körper die fremden Organe nicht abstößt. Sie schluckt 42 Tabletten - jeden Tag. Die seien "hochgiftig", wie sie nur bedingt scherzhaft sagt. Die notwendigen Medikamente haben gravierende Nebenwirkungen und schwächen ihre Immunabwehr. Zudem blieben Teilfunktionsstörungen der Organe bestehen.

Ein Thema liegt ihr besonders am Herzen: Organspende. Die Bühne Rio will sie nutzen, um darauf aufmerksam zu machen. "In Deutschland ist dieses Thema eher negativ behaftet. Das muss sich ändern."

(RP)
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