Sportlerwahl 2016 Die Staffel jubelt - und ihr Trainer weint

Köln · Der TSV Bayer räumte bei der Wahl der Behindertensportler des Jahres in zwei Kategorien ab. Besonders gerührt war Trainer Karl-Heinz Düe.

 Die Goldjungs Markus Rehm, David Behre, Felix Streng und Johannes Floors.

Die Goldjungs Markus Rehm, David Behre, Felix Streng und Johannes Floors.

Foto: dpa, jbu fpt

Die wohl rührendste Szene des Abends lieferte Karl-Heinz Düe. Tränen kullerten über die Wangen des 67-jährigen Trainer-Urgesteins, als er von seinen Schützlingen Markus Rehm, Felix Streng, David Behre und Johannes Floors auf die Bühne gebeten wurde. Es war ein Moment, in dem die Emotionalität des Sports sichtbar wurde. Bei den Paralympics in Rio gewann das Quartett über 4x100 Meter Gold - vor den Favoriten aus den USA, die eigentlich einen Tick schneller waren, aber nach einem Übergabefehler disqualifiziert wurden. Nach WM und EM war es der nächste große Erfolg der Leverkusener Staffel.

Nun sind sie vom Deutschen Behinderten-Sportverband (DBS) und der abstimmenden Öffentlichkeit zur "Mannschaft des Jahres" gewählt worden. Die Frage, wo die nächste Trophäe der Athleten des TSV Bayer ausgestellt wird, beantwortete Streng ohne Umschweife: "Hoffentlich auf dem Kaminsims unseres Trainers. Der Pokal geht an Kalle!" Ihm habe die Staffel viel zu verdanken, viel Geduld, viele Ideen, viele Trainingsstunden - und ein gutes Auge sowie Nervenstärke.

Düe selbst hatte sich schnell gefangen und kündigte an, dass die Zeit in Rio zwar sehr gut gewesen sei, "aber es geht auch noch etwas schneller." Ehrgeiz ist bei dem Urgestein des TSV nach wie vor vorhanden. Erst kürzlich relativierte er seine Pläne für den Ruhestand. Nur "teilweise" werde er sich zurückziehen. Die Staffel, kündigte er an, werde er weiterhin betreuen. "Wir haben noch viele Reserven und einige Ziele." Er glaube, dass noch bessere Zeiten möglich seien.

Das Wort des Abends im Bezug auf die Staffel war "Team". Alle vier sind beim TSV Bayer. Es ist eine Leverkusener Staffel. Der Vorteil, stets zusammen trainieren zu können, mache sich vor allem bei den Übergaben der Staffelstäbe bemerkbar, erklärte Rehm, der auf Krücken unterwegs war. Eine kleine Entzündung habe er sich eingefangen, aber das sei nichts Schlimmes. Die Gehhilfe, sagte der Unterschenkelamputierte, nerve ihn "tierisch". Aber das sei ja nur für ein paar Tage notwendig, betonte Rehm, der auch im Weitsprung Gold in Rio gewann, sich in der Kategorie Behindertensportler des Jahres aber Niko Kappel (Kugelstoßen) geschlagen geben musste. Dass viele der nominierten Sportler für den TSV Bayer starten, sei kein Zufall. "Wir haben ein sehr gutes Umfeld, erfahrene Athleten und viele Experten, was zum Beispiel Prothesen angeht." Die Staffel werde künftig zusammen bleiben. "Wir sind noch hungrig - und das Training hat schon wieder begonnen."

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Foto: afp, chs

Die guten Rahmenbedingungen in Leverkusen sind auch Dües Verdienst. Der ehemalige Mittelstreckenläufer und Mehrkämpfer ist seit 1972 beim TSV. Seit 1977 ist er hauptamtlich Trainer. Anfang der 1990er Jahre war es Jörg Frischmann, heute Geschäftsführer der Behindertensportabteilung, der den Stein ins Rollen brachte. Er war der erste Athlet mit Handicap, der unbedingt unter Düe trainieren wollte - und der stimmte zu. Später kamen Heinrich Popow und David Behre hinzu. Allmählich formierte sich eine inklusive Trainingsgruppe. "Dass Nichtbehinderte und Behinderte zusammen trainieren, sei "sozusagen mein Baby", sagte Düe. Damals sei das bahnbrechend in Deutschland gewesen. Heute ist es eines der vielen Erfolgsgeheimnisse des TSV.

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Neben der Staffel wurde Vanessa Low zur Behindertensportlerin des Jahres gewählt. Bei der Ehrung im Kölner Olympiamuseum war die Weitspringerin aber nicht zugegen. Sie hat inzwischen ihren Lebensmittelpunkt nach Australien verlagert und grüßte zumindest in einer Videobotschaft. "Es war ein tolles Jahr für mich", sagte sie und dankte ihren vielen Unterstützern - vor allem auch ihrem Heimatverein.

Sie setzte sich in der öffentlichen Wahl unter anderem gegen ihre Vereinskollegin Franziska Liebhardt durch, die in Rio Gold im Kugelstoßen sowie Silber im Weitsprung gewann und nun ihre Karriere beenden wird. Die 34-Jährige leidet an einer Autoimmunkrankheit, die bereits eine Lungen- und Nierentransplantation nötig machte.

Nach ihrem Karrierehöhepunkt in Rio zieht es sie nun wieder zurück in ihre Heimat nach Würzburg. "Es gibt Niederlagen im Leben und Niederlagen im Sport, aber man muss immer weiter machen", sagte sie nach der Ehrung. Besonders berühre sie, dass sie nach ihrer Goldmedaille in Rio bis heute viele Zuschriften von Menschen erhalten habe, die ein ähnliches Krankheitsbild oder andere Sorgen haben. "Das ich mit meiner Leistung anderen Mut machen kann und für sie ein Vorbild bin, ist die tollste Bestätigung." Sie genieße diesen Erfolg jeden Tag - trotz der "dunklen Momente", die ihre Krankheit oft mit sich bringe.

(RP)
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