Serie Rekordverdächtig So alt und so modern

Leverkusen · Im Neandertal lebten schon vor 42.000 Jahren Menschen. Zwar ist der Neandertaler bei weitem nicht der älteste Mensch, doch hat er seit dem Knochenfund im Jahr 1856 unsere Kenntnisse und Fantasien zur eigenen Herkunft enorm beflügelt.

 So wie in diesem Film stellen wir uns das Leben der Neandertaler vor. Mit Fellen bekleidet und mit Speeren auf der Jagd nach Mammuts.

So wie in diesem Film stellen wir uns das Leben der Neandertaler vor. Mit Fellen bekleidet und mit Speeren auf der Jagd nach Mammuts.

Foto: Patrick Glaize

METTMANN Es braucht viel Vorstellungskraft, um sich das Leben der Menschen vor mehr als 40.000 Jahren vorzustellen. Haben sie überhaupt miteinander geredet? Oder nur grunzende Laute von sich gegeben? Was haben sie gegessen? Wo haben sie geschlafen? Haben sie Musik gemacht? Vor was hatten sie Angst? Haben sie über Witze gelacht? Wie alt wurden sie? Viele Fragen, mit denen sich mittlerweile Generationen von Forschern beschäftigt haben.

 Der Neandertaler hat seine Toten begraben und betrauert.

Der Neandertaler hat seine Toten begraben und betrauert.

Foto: Archiv Neanderthal Museum

Ein Ursprung der Forschung liegt im Neandertal. Mitte August 1856 entdeckten zwei aus Italien stammende Steinbrucharbeiter in einem Abschnitt des Neandertals 16 Knochenfragmente. Darunter der mittlerweile weltberühmte Teil eines Schädels, den man später dem sogenannten Neandertaler zuordnen konnte. Das Skelett soll etwa 60 Zentimeter tief im Höhlenlehm, mit dem Kopf zum Höhleneingang, gestreckt auf dem Rücken gelegen haben. Heute schätzt man das Alter der im Neandertal gefundenen Knochen auf etwa 42.

 In einen Anzug gesteckt sieht der Neandertaler gar nicht mehr so alt aus, wie er eigentlich ist. Vor rund 42.000 Jahren sind die Urmenschen durch unsere Gegend gezogen.

In einen Anzug gesteckt sieht der Neandertaler gar nicht mehr so alt aus, wie er eigentlich ist. Vor rund 42.000 Jahren sind die Urmenschen durch unsere Gegend gezogen.

Foto: Neanderthal Museum

000 Jahre. Zu dieser Zeit war das Neandertal eine enge Felsschlucht. Forscher schätzen, dass sich die Düssel etwa 50 Meter tief und auf einer Länge von 800 Metern ihren Weg durch den Kalkstein gefressen hatte. Nur drei Jahre nach den Knochenfunden brachte Charles Darwin ein Buch auf den Markt, über das heute noch gesprochen wird: "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl". Die Fossilien aus dem Neandertal galten bald als Beweis, dass auch der Mensch Vorgänger aus der Urzeit hat.

Heute unvorstellbar, aber die genaue Lage der später durch den hemmungslosen Kalkabbau zerstörten Höhle, in der die Knochen gefunden wurden, geriet in Vergessenheit. Bis 1997. Vor 20 Jahren gelang es den Archäologen Ralf-W. Schmitz und Jürgen Thissen, die Fundstelle der Skelettreste zu finden. In einer planierten Fläche am Fuß des Steinbruchgeländes fanden sie unter vier Metern Kalkschutt genau die Schichten des Lehms wieder, der einst die Höhlen in den Kalkwänden gefüllt hatte.

Große Überraschung: Sie enthielten nach fast 140 Jahren noch Steinwerkzeuge und Tierknochen sowie noch fehlende Knochenfragmente, die exakt zu dem 1856 gefundenen Skelett passten. Tierknochen spielen eine wichtige Rolle im Leben des Neandertalers. Beeren und Früchte hat er nur selten gegessen, seine Hauptnahrung bestand zu 90 Prozent aus Fleisch. Die Jagd auf Mammuts und Bisons galt als gefährlich. Forscher schätzen, dass der Neandertaler bis zu 5000 Kalorien am Tag verbraucht hat, um in einer Umwelt zu überleben, in denen die meisten von uns heute keine zwei Tage durchalten würden.

Und so dumm, wie früher oft angenommen, war der Neandertaler bei weitem nicht. Vergleiche von Zungenbeinen haben ergeben, dass er durchaus in der Lage war zu sprechen. In der Sippe gab es Medizinmänner, die bei Krankheiten helfen konnten. Aus Blättern lernten sie, wie man eine Art Aspirin gegen Schmerzen und Entzündungen gewinnt. Und: Die Neandertaler waren die ersten Menschen, von denen wir wissen, dass sie sich mit dem Tod konfrontierten und ihre Toten bestattet haben.

Kunst an den Höhlenwänden zeugt davon, dass es auch schon vor Zehntausenden von Jahren Menschen gab, die sich mit der Sprache der Bilder auseinandergesetzt haben. Mittlerweile weiß man, der Neandertaler ist bei weitem nicht der älteste Mensch der Welt. Die sogenannte Homo-Linie begann vor rund 2,5 Millionen Jahren mit Homo habilis. Es ist nachgewiesen, dass er aus Geröllen Steinwerkzeuge herstellte. Und schon beim Homo erectus, dessen älteste Überreste zwei Millionen Jahre alt sind, waren die menschlichen Merkmale klar erkennbar.

Er hatte ein weit entwickeltes Gehirn, er war auf zwei Beinen gut zu Fuß und hatte deutlich an Körpergröße zugelegt. Kleiner wurde sein Gebiss, und an seinem Körper lichtete sich die Behaarung. Der Homo erectus wanderte von Afrika nach Asien und Europa aus. Aus ihm entwickelte sich Homo heidelbergensis und aus diesem der Neandertaler. Als vor mehr als 100.000 Jahren der moderne Mensch, der Homo Sapiens, aus Afrika in Richtung Europa wanderte, traf er auch auf den Neandertaler.

Die Vermischung zwischen Neandertaler und Homo sapiens hat bis heute Spuren hinterlassen. Demnach tragen Menschen mit Wurzeln außerhalb Afrikas (also wir Europäer zum Beispiel) noch immer zwischen einem und vier Prozent Neandertaler-DNA in sich. Das Museum in Mettmann hat einer ihrer lebensechten Figuren deshalb den Titel "Mister 4 Prozent" gegeben. Der Neandertaler in einen Anzug gekleidet würde heute gar nicht groß auffallen. Heute glauben wir an die modernen Theorien zur Entstehung der Welt durch Urknall und die darauf folgende Evolution.

Winzige Spuren davon sind in unserer Nähe sichtbar geworden. Der Neandertaler hat darüber nicht nachgedacht. Oder vielleicht doch? Man braucht eben viel Vorstellungskraft.

(RP)
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