Leverkusen Senfgas in der Bayer-Deponie? Stadt sagt: "Nein!"

Leverkusen · Bürgerinitiative und Bürgerliste warnen vor dem Öffnen der Bayer-Altlastendeponie: Solche Pläne seien "Wahnsinn".

 Blick auf die A1-Rheinbrücke und die Rheinallee in den 1970er Jahren: Der gelbe Pfeil markiert die Stelle, an der ein Student bei Böschungsarbeiten einen schillernden Chemiesee entdeckt hat. Dort steht heute das Autobahnkreuz Leverkusen-West, die A 59 ist da noch nicht gebaut. Die Bürgerinitiative NGL hat die Fotos in ihrem Besitz.

Blick auf die A1-Rheinbrücke und die Rheinallee in den 1970er Jahren: Der gelbe Pfeil markiert die Stelle, an der ein Student bei Böschungsarbeiten einen schillernden Chemiesee entdeckt hat. Dort steht heute das Autobahnkreuz Leverkusen-West, die A 59 ist da noch nicht gebaut. Die Bürgerinitiative NGL hat die Fotos in ihrem Besitz.

Foto: Stadtarchiv/NGL

Politiker wie Erhard Schoofs, Karl Schweiger oder Horst Müller (alle Bürgerliste) gelten in Leverkusen bei ihren Gegnern und in Teilen der Stadtverwaltung meist als politisch Verrückte, als Unbelehrbare, die unbelegbare Behauptungen über das A1-Bauprojekt samt Rheinbrücke verbreiten. Ganz bitter wird es, wenn diese Volksvertreter über die Gefahren der alten Bayer-Stadt-Deponie sprechen, über die heute der Neulandpark ein grünes Mäntelchen breitet. Von tödlichen Gefahren ist die Rede, von unbeherrschbaren Gesundheitsrisiken, die entstehen, wenn die Deponie geöffnet würde. In der Bezirksvertretung I warnte auch Bürgerinitiativen-Vertreter Manfred Schröder vor der Deponie.

Sie ist seit 2003 mit einen meterdicken "Deckel" aus Ton, Kunststofffolien und Drainageschichten geschützt. Ringsherum wurden eine bis 38 Meter tiefe Mauer und eine Brunnengalerie gezogen, um jedes Herausfließen von belastetem Wasser zu vermeiden (Gesamtkosten: 110 Millionen Euro). Und genau diese Bereiche der Deponie müssen geöffnet werden, um Rheinbrücke und Autobahnstücke bauen zu können. Die kurzzeitig aufkommende Idee des ehemaligen Oberbürgermeisters Horst Henning, die Deponie auszukoffern und alles in einer am Rhein neu gebauten Verbrennungsanlage zu neutralisieren, wurde wegen der befürchteten Gefahren für die Bevölkerung schnell zu den Akten gelegt. Es geht um geschätzt fünf Millionen Kubikmeter Material (Info: Bayer-Stadt-Chronik der Dhünnaue). Das Sichern dieser Altlast vor Ort schien damals allen Verantwortlichen sicherer.

Heute tobt in der Leverkusener Politik und bei Bürgerinitiativen ein Streit, was denn wirklich abgekippt wurde. Manfred Schröder (Verein Netzwerk gegen Lärm, Feinstaub und andere schädliche Immissionen: NGL) bezeichnet die Chemie-Altlast als "Unort", als "Büchse der Pandora", von der niemand wisse, was und wo abgekippt worden sei. Horst Müller fühlt sich ohnehin von den Verantwortlichen über den Deponieinhalt belogen. Karl Schweiger sagte im Bezirk I, es gebe in der Deponie am Wiesdorfer Rhein vermutlich "Restbestände von Lost" (Senfgas) und "Reste von Gaskammer-Gasen" (Zyklon B). Es sei Wahnsinn, diese Deponie zu öffnen.

Das wäre allerdings nicht das erste Mal. Ab 1961 wurde das Deponiematerial im Verlauf der heutigen A1 in Wiesdorf komplett ausgekoffert. Auch für den Bau des Kreuzes Leverkusen-West wurde "umfangreich" in die Deponie eingegriffen (Info: Bayer-Stadt-Chronik Dhünnaue). Die Stadtverwaltung Leverkusen berichtete auf Anfrage unserer Redaktion unter anderem dies:

1. "Die Deponie wurde von 1923 bis 1965, offiziell genehmigt "zum Hochwasserschutz", von Bayer und Stadt genutzt."

2. "Die Betriebsaufnahme erfolgte nach Genehmigung im Februar 1923 für die Firma Bayer, sowie ab Juni 1923 durch die Stadt Wiesdorf. Eine detaillierte Dokumentation ist nicht erfolgt."

3. "Gelagertes Material: Gesamtmenge 6,5 Mio. Tonnen, davon ca. 70 % Bauschutt, Bodenaushub, Schlacken, Aschen, ca. 15 % hausmüllähnliche Abfälle, ca. 15 % Rückstände aus der Chemie-Produktion. Die genaue Lage ist nicht bekannt, sondern lediglich das Abkippen von Süd nach Nord."

Im Zuge des geplanten A1-Projektes seien fast 300 Bohrungen gesetzt worden, "um Erkenntnisse über die Baugrundbeschaffenheit und die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Untergrundes in den künftigen Baufeldern und an den punktuellen Stützpfeilerstandorten zu erhalten". Eine Zusammenfassung der Ergebnisse sei im Bericht zum Emissionsschutzkonzept (Unterlage 20.1) zum Planfeststellungsverfahren enthalten.

Zum Verdacht, dass in der Deponie Stoffe wie Lost/Senfgas, Zyklon B oder deren Reste/Produktionsreste liegen, schrieb die Stadt: "Es besteht ... aus chronologisch-logischen Gesichtspunkten sowie auf Basis aller ... gewonnenen Erkenntnisse kein fachlich begründeter Verdacht auf das Vorhandensein der o.g. Stoffpalette als mögliches Schadstoffinventar. ... Zyklon B wurde - nach Auskunft der Bayer AG - nicht in Leverkusen hergestellt."

Die Bezirksvertretung diskutierte zu den Anträgen der Bürgerliste, die einen Tunnel zwischen Autobahnkreuz und Köln fordert, nicht.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort