Leverkusen Schubert und Beatles mit Geigen und Cello

Leverkusen · Kann sich ein klassisches Streichquartett in diesem Raum überhaupt durchsetzen. Wer die dumpfe Akustik des Forum-Studios etwa von kleinen Theaterproduktionen kennt, mochte seine Zweifel haben an der Wahl des Veranstaltungsortes für den Besuch des jungen Berliner Vision String Quartetts, das mit seinen engagierten Interpretationen des klassischen Kammermusik-Repertoires diverse Preise abgeräumt hat. Immerhin hatte KulturStadtLev die hölzernen Akustikwände aufstellen lassen, die verhinderten, dass der Sound der Streichinstrumente direkt vom schwarzen Equipment der Bühne aufgesogen wurde.

Eine vollkommene Durchmischung der einzelnen Stimmen wie sie etwa der Spiegelsaal vorgenommen hätte, gab es hier nicht. Alle blieben sehr gut einzeln hörbar, was aber für die Spielweise dieser ausgesprochen guten Musiker gar nicht nachteilig war. Denn die haben ihre Parts in Franz Schuberts posthum erschienenem Streichquartett d-Moll op. D 810 so perfekt aufeinander abgestimmt. Sie machen sich blitzschnell gegenseitig Platz, um den Hauptfaden einer Komposition wie einen Spielball ständig in der Luft zu halten. Sie atmen gleichzeitig, was man in dieser gnadenlos offenen Studio-Akustik ebenso gut hören konnte, wie die kleinste und behutsamste Berührung der Saiten. Dieses Phänomen nutzten die vier Musiker für eine ungeheuer breite dynamische Palette. Sie spüren gemeinsam und haben permanenten Kontakt untereinander. Notenpulte, die ihre Aufmerksamkeit beanspruchen würden, haben sie erst gar nicht mitgebracht. Alle vier Sätze werden auswendig gespielt und - mit Ausnahme des Cellisten Leonard Disselhorst - stehend. Und so geht eine unglaubliche Energie von diesen jungen Männern aus, die völlig in der Musik aufzugehen scheinen, die das spritzlebendige Spiel immer vorantreiben und dann als Einheit umschalten auf die lyrischen Teile, insbesondere im zweiten Satz mit der Variationenfolge über das Lied "Der Tod und das Mädchen", das dem Quartett als Beiname anhaftet.

Absolut begeistert und überzeugt von dieser frischen und ehrlich empfundenen Neuinterpretation Schuberts ging das Publikum in die Pause und spekulierte, was ihm diese Musiker, die mit ihren Cross-over-Programmen die Bedingungen für die Grenzgänger-Reihe bestens erfüllen, im zweiten Teil bieten würden. Der Programmzettel verriet nur: "Jazz und Pop nach Ansage". Tatsächlich gab es, nachdem die Instrumente mit Mini-Mikros versehen waren, erstmal herzhaften Rock, ein ungewöhnliches und facettenreiches Arrangement des Beatles-Songs "Come together". Charmant und witzig moderierte der erste Geiger Jakob Encke diese eigene Mischung von allem "was wir gerne selber hören auf dem Sofa". Kurz wurde demonstriert, wie man das in diesem Genre eigentlich unverzichtbare Schlagzeug ersetzt. Daniel Stoll hackte ganz einfach mit dem Bogen auf die Saiten der zweiten Geige, während Leo am Cello den Bass mimt, mit Hilfe der größten Boxen am Bühnenrand.

Bei Gershwin, Pop und Jazz-Standards haben diese Spitzenstreicher offensichtlich einen Mordsspaß. Dann rasten sie auch schon mal total aus oder setzen sich komödiantisch in Szene, wenn etwa Sander Stuart emphatisch auf den Knien rutscht und seine Viola in Gitarristenhaltung zupft. Wechselnde Lichteffekte rundeten diese ebenso kunstvolle wie unterhaltsame Show ab. Kein Wunder, dass die Zuhörer nach zwei Stunden noch nicht gehen mochten.

(RP)
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