Leverkusen Prügelopfer streitet mit Krankenkasse

Leverkusen · Markus Strasser war 17 Jahre alt, als es passierte: Er war mit seinem Abgangszeugnis von der Hauptschule Neucronenberg auf den Heimweg, als ihm aus dem Nichts ein Schläger erschien, der ihn niederschlug und das Jochbein brach. "Ich kannte ihn überhaupt nicht", erzählt Strasser.

 Markus Strasser leidet noch heute an den Konsequenzen der Verwechslung. Er kann sich nur noch von Flüssignahrung (links) ernähren und den Tag mit Opiaten (rechts) überstehen.

Markus Strasser leidet noch heute an den Konsequenzen der Verwechslung. Er kann sich nur noch von Flüssignahrung (links) ernähren und den Tag mit Opiaten (rechts) überstehen.

Foto: Uwe Miserius

Er wurde verwechselt und für sein Leben gezeichnet. Eine Anzeige stellte der Jugendliche damals nicht - aus Angst und Naivität, wie er sagt. "Ich wurde mit dem Tod bedroht, wenn ich zur Polizei ging." Deswegen sah er von einer Anzeige ab.

Erholt hat sich der heute 40-Jährige von dem Schlag nicht. Verheilt ist der Bruch schlecht. Die Konsequenz: eine Kieferfehlstellung durch die mit der Zeit ausgefallenen Zähne. Strasser plagen täglich Schmerzen, ist mittlerweile er auf Flüssignahrung angewiesen. Gegen die Schmerzen helfen nur Opiate. "Auf Dauer ist das überhaupt nicht gut", sagt Strasser in Bezug auf die Medikamente. "Sobald ich die nehme, muss ich mich hinlegen, dann ist der Tag für mich gelaufen."

Die fehlende Anzeige, die er damals aus Angst nicht stellte, hätte ihm heute vielleicht die medizinische Versorgung erleichtern können: Denn unzählige Eingriffe und Operationen haben seinem Leiden bislang kein Ende bereitet, sondern - wenn überhaupt - nur kurzfristige Linderung verschafft, sagt er. Der deformierte Kiefer verursacht Nacken- und Rückenschmerzen.

Eine Ausbildung konnte Strasser aufgrund des Vorfalls nicht absolvieren. Er ist auf Grundsicherung angewiesen und auf die Krankenkasse, die ihm eine gewünschte Implantatversorgung nicht genehmigt. "Ein Implantat - das haben uns schon viele Ärzte bestätigt - würden meinem Sohn ein lebenswürdiges Leben wiedergeben", sagt Mutter Marion Strasser (63), die den Leidensweg ihres Sohnes seither mitgeht. Zwei Krankenkassen haben den rund 8000 Euro teuren Eingriff verweigert.

"Laut Gesetz dürfen Krankenkassen die Kosten einer Implantatbehandlung nur in Ausnahmefällen übernehmen", erklärt Stefanie Weiser, Pressereferentin der IKK Classic, der Versicherung, bei der Strasser aktuell versichert ist. Eigentlich sind solche Eingriffe von Patienten privat zu zahlen oder eben durch eine Zusatzversicherung abzudecken. Ausnahmefälle wären größere Kiefer- und Gesichtsdefekte, eine genetische Nichtanlage von Zähnen oder muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich. Und laut Versicherung und zahnmedizinischem Gutachter zählt Strasser nicht zu den Ausnahmefällen. Gegen diese Entscheidung legte er Widerspruch bei seiner Krankenkasse und Beschwerde beim Bundesversicherungsamt (BVA) ein. "Der Widerspruchausschuss kam zu keinem anderen Ergebnis, das BVA hat unsere Vorgehensweise und Entscheidung nicht beanstandet", sagt Weier.

Nun hat der Leverkusener Klage beim Sozialgericht eingereicht und muss weiter warten, bis sich ein Gutachter seines Falles annimmt. "Der hat erst im November Zeit", berichtet die Mutter. Sie hegt die Hoffnung, dass der Experte zugunsten ihres Sohnes entscheidet.

Doch Dr. Harro Wolf Bläser, Zahnarzt aus Opladen, der Strasser erst kürzlich eine Zyste im Kiefer entfernte, sieht wenig Chancen auf einen Klageerfolg. "So, wie ich das beurteile, fordert Herr Strasser zu viel. Es ist richtig, dass die Fehlstellung des Kiefers, Schmerzen im Nacken und Rücken verursachen können, aber es gibt noch viele Möglichkeiten, die von der Krankenkasse bezahlt würden oder nur wenig kosten, und die vom Patienten noch nicht ausgeschöpft worden sind."

Der Besuch eines Osteopathen könnte Linderung verschaffen, eine Schiene oder Provisorium würden von der Kasse gedeckt. Doch darauf will sich Strasser nicht einlassen. "Die Alternativen kann man vergessen. Ich reagiere allergisch auf das Plastik und die Legierung des Stahls und musste deswegen schon an den Lymphknoten operiert werden." Seine letzte Hoffnung ist jetzt der Gutachter.

(RP)
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