Leverkusen Mit Lebensfreude der Zeit trotzen

Leverkusen · Klaus Leisten (70) hat das Down Syndrom und ist ein medizinisches Wunder. Als er geboren wurde, lag seine Lebenserwartung bei 20 Jahren. Weltweit zählt er zu den ältesten Menschen mit Trisomie 21.

Zugegeben: Der selbstgebastelte Gutschein über eine Pommes mit Currywurst ist ein wenig schief gefaltet, im Wort "Geburtstag" fehlt ein "t". Aber all das zählt nicht, denn ganz eindeutig ist dieser Gutschein mit größter Ausdauer und Liebe zum Detail entstanden. Jeder Buchstabe ist in einer anderen Farbe gemalt, das weiße Papier beklebt mit bunten Dekokugeln. "Schön?", fragt Anja, als sie ihrem Freund und Mitbewohner Klaus ihr Geschenk überreicht und strahlt dabei über das ganze Gesicht, das vor lauter Aufregung ganz rot ist. Klaus strahlt zurück, seine leicht schrägen blauen Augen blitzen glücklich unter dem faltigen Gesicht hervor. "Ja schön", sagt Klaus und steckt mit seiner unbändigen Freude über das tolle Präsent die vielen Geburtstagsgäste um sich herum an.

Der Jubilar ist 70 Jahre geworden, der Aufenthaltsbereich der Wohngruppe, in der Klaus seit 25 Jahren lebt, platzt aus allen Nähten. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich, die vielen Besucher - darunter viele andere geistig behinderte Bewohner der Lebenshilfe - feiern "ihren Klaus". "Der Klaus", schwärmt Angelika aus der Wohngruppe gegenüber. Ihre beiden Mitbewohner Steffi und Michael nicken eifrig. "Der kann soooo schön Musik machen". Zum Geburtstag haben sie ihrem Freund einen Käsekuchen gebacken. "Da hat er sich wahnsinnig drüber gefreut", erzählt Hanne Hobe, die Stiefschwester von Klaus. Dann scheint es, als würde sie um Fassung ringen. "Wenn ich das hier beobachte, diese Menschen, dieses liebevolle Zuhause der Lebenshilfe, dann geht mir das Herz auf."

Als Klaus am 5. August 1947 geboren wurde, lag seine Lebenserwartung bei maximal 20 Jahren. Seine Mutter starb, als der Junge gerade zwei Jahre alt war. Der Vater heiratete wenige Jahre später die Mutter von Hanne Hobe. "Ich hatte plötzlich einen kleinen Bruder und fand den total süß. Dass er anders war, habe ich gar nicht so registriert. Und auch meine Mutter nahm in sofort wie ihr eigenes Kind an." Damals gab es in der Gesellschaft keinen Platz für Menschen mit Behinderung, keine Schulbildung, keine Arbeit. Erst mit 35 Jahren begann Klaus erstmalig in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten, die Mutter hatte große Angst, den jungen Mann loszulassen. "Sie sagte, ,Hitler hat die auch alle umgebracht, wer weiß was ihm dort geschieht'", erinnert sich die 75-jährige Schwester.

Klaus hat die Mundharmonika herausgeholt. Mit dem ersten Ton versinkt er in der Musik, seine Füße wippen, er ist ganz bei sich. Seine Begeisterung über den Applaus der Zuhörer ist schier grenzenlos, er strahlt wie ein Kind. Dann zeigt der ehemalige Gärtner eine zweite Armbanduhr, die er geschenkt bekommen hat. "Oh, wunderschön", schwärmt der Uhrensammler und streichelt liebevoll über das Zifferblatt. Die Aussprache ist undeutlich und oft unverständlich, seine Mimik allein aber sagt alles. Und dann ist da noch eine zweite große Leidenschaft: der BVB. Das neue schwarze T Shirt mit gelben Buchstaben hat der 70-Jährige direkt angezogen.

Heidi Busch, eine der Betreuerinnen, räumt das Geschirr in die Spülmaschine. "Gestern Abend haben wir wirklich sehr um Klaus gebangt. Er hustete plötzlich und war schlimm verschleimt. Er hat die Nacht im Krankenhaus verbracht", erzählt sie. Hanne Hobe ergänzt: "Ich hatte fürchterliche Angst. Aber als ich ihn heute Morgen im Krankenhaus besuchte, stand er da angezogen und frisch rasiert und meinte, er sei wieder gesund. So ist er. Ein Stehaufmännchen. Es gibt keinen lieberen und freundlicheren Menschen als unseren Klaus."

(RP)
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