Leverkusen Macht Bayer die Mitarbeiter depressiv?

Leverkusen · Nach einer Untersuchung der Techniker Krankenkasse liegt Leverkusen bei den Diagnosen und Fehlzeiten wegen Depression oder Burnout über dem Landesdurchschnitt. Es gibt dafür Erklärungsversuche und zu wenig Fachärzte.

 Der Wirtschaftsdruck steigert den Stress bei Mitarbeitern. Die vielen Veränderungen bei der einstigen, jetzt aufgespaltenen "Bayer-Familie" könnten möglicherweise ein Auslösegrund für Depressionen sein, sagen Fachleute.

Der Wirtschaftsdruck steigert den Stress bei Mitarbeitern. Die vielen Veränderungen bei der einstigen, jetzt aufgespaltenen "Bayer-Familie" könnten möglicherweise ein Auslösegrund für Depressionen sein, sagen Fachleute.

Foto: Uwe Miserius

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Leverkusen liegt mit 1,2 Tagen leicht über dem Landesdurchschnitt: Das veröffentlicht die Techniker Krankenkasse (TK) in einem "Depressionsatlas". Dazu hat die Kasse zum ersten Mal Daten über Depressionserkrankungen lokalisiert. Für NRW wurden die Daten von rund einer Million TK-Versicherten ausgewertet. In Leverkusen sind 29.000 Bürger bei der TK versichert. Hier, wie in anderen Städten, wurden Erwerbstätige und Arbeitslose gleichermaßen befragt. Neben der reinen Bestandsaufnahme gebe die Studie zwei Anhaltspunkte, weshalb zum Beispiel Leverkusen mehr Depressionskranke habe als der Landesdurchschnitt, berichtet TK-Pressesprecherin Andrea Hilberath, auf Nachfrage. Gebiete mit hoher Arbeitslosigkeit und eine starke Stressbelastung durch das Berufspendeln seien auffällig. "Das sind aber nur Erklärungsversuche", sagt Hilberath.

Eine weitere Erklärungsmöglichkeit fällt dem Diplom-Psychologen und Psychotherapeuten Martin Gadatsch aus der Klinik Roderbirken in Leichlingen dazu ein: "Es kann auch ein strukturelles Problem hinter der Häufung von depressiven Erkrankungen in Leverkusen stecken", meint Gadatsch und erläutert seine Beobachtung: "In Leverkusen arbeiten besonders viele Leute bei Bayer. Früher war Bayer für diese Menschen eine große Familie. Mit steigendem Wirtschaftsdruck wächst der Stress aber auch für die Mitarbeiter", stellt Gadatsch fest, der in der Klinik auch besonders viel mit kardiologischen Herzpatienten zu tun hat.

Eine Besonderheit in Leverkusen ist auch, dass besonders viele junge Menschen unter Depressionen leiden, wie das Sozialpsychiatrische Zentrum (SPZ) Leverkusen erklärt. Suizid nach Depressionen ist die häufigste Todesursache bei 15- bis 25-jährigen Leverkusenern: Diese erschreckende Bilanz hat das SPZ Leverkusen im vergangenen Jahr ziehen müssen. Sie hat allerdings auch mittlerweile mit einem Präventivprojekt in neunten Schulklassen begonnen. Die Brisanz zeigen die Zahlen: Von 882 Hilfesuchenden im SPZ litt im Jahr 2013 ein großer Teil unter Depressionen. Und jeder Fünfte gab zu, einen Selbstmordversuch hinter sich zu haben.

Das größte Problem für Menschen mit Depressionen und sonstigen psychischen Erkrankungen sei aber eine qualifizierte Soforthilfe, berichtet Psychologe Martin Gadatsch: "Die Wartezeiten für eine Psychotherapie beträgt heute ein Jahr. Und mindestens zwei Wochen warten die Patienten, bis sie überhaupt einen Arzt zu sehen bekommen - oft auch noch viel länger", weiß Gadatsch. Der Grund sei, dass es zu wenige Fachärzte und Therapeuten bei gleichzeitig steigendem Patientenbedarf gebe.

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Foto: Techniker Krankenkasse

Der Kasse sei das Problem bekannt, gibt Hilberath zu. Sie biete ihren Versicherten eine Online-Anlaufstelle unter www.tk.de/tk/online-filiale/meine-services/tk-gesundheitscoach. Und im Projekt "Netzwerk psychische Gesundheit" leisteten AOK, KKH und TK flächendeckend in Nordrhein-Westfalen Erste Hilfe bei psychischen Erkrankungen unter (www.tk.de/tk/besondere-tk-angebote/psychische-erkrankungen/netzwerk). "Da gibt es Soforthilfe, und die Patienten werden von Lebensbegleitern regelrecht an die Hand genommen", berichtet die TK-Sprecherin.

(RP)
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