Gastbeitrag Frank Überall Meine "verbotene" Kindheit in Leverkusen

Leverkusen · In Leverkusen ist vieles verboten: Parken, wo der Wurstmaxe verkauft, Mode im Schaufenster fotografieren und W-LAN im Café ... Frank Überall hat gesammelt.

 Hier ist auf den ersten Blick klar, was da verboten ist. Dieses Schild hängt an der Haustür eines Psychotherapeuten in der Opladener Fußgängerzone.

Hier ist auf den ersten Blick klar, was da verboten ist. Dieses Schild hängt an der Haustür eines Psychotherapeuten in der Opladener Fußgängerzone.

Foto: überall

Einen Parkplatz finde ich am Fürstenbergplatz in Opladen. Ein Altkleidercontainer weckt dort mein Interesse. "Bitte nur in Tüten verpackt einwerfen, damit die Materialien sauber und verwendbar bleiben", ist zu lesen. Rund um den Container ist alles schmutzig, die verdreckten Sachen sind nicht mehr tragbar. Der Verschmutzer hat gegen das Verbot verstoßen. Er hat die Folgen verdrängt.

Mit einer solchen Geisteshaltung beschäftige ich mich auch in meinem aktuellen Sachbuch "Es ist untersagt". Als Kind war ich oft in Opladen. Zuletzt bin ich als Jugendlicher hier spazieren gegangen, mit Mutter und Oma. Meine Großmutter wohnte in Opladen. Von meinen Wohnort Köln aus habe ich sie oft besucht.

Die örtliche Fußgängerzone habe ich in schöner Erinnerung: Oma kaufte mir da Kleidung, die ich mir sonst nie hätte leisten können. Heute kaufe ich meine Kleidung selbst, lehre als Professor an einer Hochschule und habe (wieder) ein Buch geschrieben. Davon hätte ich damals, bei meinen Besuchen in Opladen, nie zu träumen gewagt.

 Dieser Altkleidercontainer steht am Fürstenbergplatz in Opladen. Rund um den Container ist alles schmutzig. Die Kleidung, die dort liegt, kann niemand mehr anziehen. Dabei steht auf dem doch Container der Hinweis, dass die Kleidung in Tüten verpackt werden muss.

Dieser Altkleidercontainer steht am Fürstenbergplatz in Opladen. Rund um den Container ist alles schmutzig. Die Kleidung, die dort liegt, kann niemand mehr anziehen. Dabei steht auf dem doch Container der Hinweis, dass die Kleidung in Tüten verpackt werden muss.

Foto: Frank Überall

Ich laufe voller Erinnerungs-Erwartung zur Fußgängerzone. Ein Verbotsschild mit durchgestrichenem Motorradhelm an einer Bankfiliale erinnert mich daran, dass ich zum "Verbote-Sammeln" hier bin. Zu meinem Projekt, das ich einst mit meinem Kollegen Wolfgang Jorzik gestartet habe, gehört nicht nur das Buch. In sozialen Netzwerken poste ich seit Jahren die Früchte meiner Arbeit: Fotos von Verbotsschildern. Als Wolfgang an Krebs gestorben ist und eine Frau sowie zwei Kinder hinterließ, habe ich ihm versprochen, das Projekt fortzuführen. Der Gewinn des "Verbotebuches" wird an seine Familie gehen.

An einer Tür fotografiere ich ein weiteres Schild, das auf weißem Grund mit rotem Kreis etwas Durchgestrichenes zeigt. Diesmal ist es ein Hund, der sich einer festen Substanz entledigt. Die Hinterlassenschaft purzelt auf der Zeichnung anschaulich hervor. Das Schild hängt an der Haustür eines Psychotherapeuten in der Opladener Fußgängerzone. Das ist öffentlicher Bereich, in dem ich Fotos machen darf.

Ein paar Meter weiter sieht das anders aus: Im Schaufenster hängt ein Schild, das das Ablichten der ausgestellten Kleidung untersagt. Warum? Hat der Inhaber Angst, ich würde seine Mode nachnähen?

Meiner Mutter ist das zuzutrauen. Sie strickt leidenschaftlich gerne und hat früher in Opladen ihre Wolle gekauft. Der Handarbeitsladen muss irgendwo hier in der Opladener Fußgängerzone gewesen sein. "Wir warten draußen!", lese ich an einem Ladenlokal. Aber es ist eine Bäckerei, erwartungsgemäß mit dem üblichen Hundeverbot. An einem Café verwirren die Dinge, die mit rotem Kreis und Durchstreichung zeichnerisch dargestellt sind: Hundeverbot, klar. Aber Alarmanlagen und freies W-LAN?

Da hat der Grafiker, der diese Aufkleber entworfen hat, wohl nicht mitgedacht. Auf dem Marktplatz sehe ich den Wagen von "Wurst Willi" (in Opladen bekannt als Wurstmaxe Pauli). Direkt dahinter ein eigens für ihn eingerichtetes Halteverbot. Es gilt von 18 bis 24 Uhr. Ich erinnere mich: Spätabends sind wir damals - oft sogar von Köln aus - zu dem Stand gefahren, wenn wir Hunger auf Currywurst hatten.

 Eigens für Wurst Willi - auch bekannt als Wurstmaxe Pauli - wurde auf dem Marktplatz ein Halteverbot eingerichtet.

Eigens für Wurst Willi - auch bekannt als Wurstmaxe Pauli - wurde auf dem Marktplatz ein Halteverbot eingerichtet.

Foto: überall

Den Stromkasten auf dem Marktplatz darf man nicht bekleben, nehme ich kurz wahr, an einem Schild muss man bei Gewitter drei Meter Abstand halten. Bei meiner "Verbote-Tour" muss ich unbedingt noch nach Quettingen. Hier hat meine Großmutter als Putzfrau im Schwimmbad gearbeitet. Ob sie damals auch den "Chlorgasraum" sauber machen musste? Von dem mache ich ebenfalls ein Bild, weil dort nur "unterwiesene Personen" erlaubt und das Abstellen von Autos und Zweirädern verboten ist.

Ich kann Oma nicht mehr fragen, wie es damals war. Sie lebt leider nicht mehr. Mir bleibt nur die Erinnerung: Zum Beispiel daran, dass wir viel am Wiembach spazieren gegangen sind. Ich folge den Trampelpfaden, spüre Wiedererkennen. Es ist schön verbotelos hier! Als ich früher am Wiembach meine pubertär-familiären Sonntagsspaziergänge machte, hatte ich das nicht erwartet - auch nicht, dass ich hierher zurückkehre, um Verbote zu sammeln.

Untersagungs-Schilder finde ich erst wieder an der Sportanlage des Fußballvereins TuS 05 Quettingen: Fahrräder und Mofas sind verboten und das "Betreten für Unbefugte". Solche Substantivierungen findet man häufig auf Verbotsschildern. Mehr als 700 sind inzwischen in meiner Sammlung. Eine Form der Sammlung sind bei mir kurze Filme. Als langjähriger Livereporter für Radio und Fernsehen stehe ich gerne vor der Kamera.

Im Naturgut Ophoven beschreibe ich diesmal im Video fürs Internet, warum das Betreten des Geländes hinter einer "Benjeshecke" verboten ist. Kaum bin ich fertig, beobachte ich, wie eine Frau ein altes Taschentuch wegwirft. Mitten auf den Weg. Das ist auch verboten. Aber es gibt keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, kein mahnendes Schild. Auch mit dieser Form der unausgesprochenen Verbote beschäftige ich mich im Buch.

Mein Besuch in der alten Teilzeit-Heimat geht zu Ende. Auf dem Rückweg fahre ich an der Breslauer Straße in Quettingen vorbei. Ich halte kurz vor dem Haus, in dem meine Großeltern gewohnt haben. Beim Blick zu dem Balkon, auf dem ich oft gesessen habe, fällt mir ein Parkverbot ins Auge. "Vermietete Parkplätze", heißt es dort: "Widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt". Damals gab es das auch schon. Ich erinnere mich, wie sehr uns dieses Verbot genervt hat. Untersagungen haben mich also schon damals beschäftigt - bloß anders als heute.

(RP)
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