Leverkusen Immer mehr Kinder erkranken an der Schilddrüse

Leverkusen · Mehr als 92.000 neu diagnostizierte Hashimoto-Erkrankungen alarmieren Experten - auch in Leverkusen.

Über Antriebslosigkeit hatte ihre Tochter schon seit längerem geklagt. Als dann auch Nackenschmerzen, Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und Muskelverhärtungen hinzukamen, wurde es der jungen Mutter doch etwas mulmig zumute.

Ihr Entschluss, mit ihrer Tochter zum Arzt zu gehen, war goldrichtig. Denn der stellte zum Glück schnell fest, dass das zehnjährige Mädchen an Hashimoto leidet - eine dauerhafte Entzündung der Schilddrüse, bei der sich das körpereigene Abwehrsystem fälschlicherweise gegen sich selbst richtet und das Gewebe der Schilddrüse angreift und schädigt.

Keineswegs nur ein seltener Einzelfall, wie Dr. Armin Stach bestätigt. Er ist Leitender Oberarzt der Kinderklinik am Klinikum Leverkusen und registriert eine Zunahme der jungen Hashimoto-Patienten - vor allem Mädchen. "Ich kann es jetzt nicht in Zahlen ausdrücken, aber es ist schon spürbar", sagt er.

Die Zahlen wiederum hat Barbara Schulte. Die Bonnerin ist Vorsitzende der Schilddrüsen-Liga Deutschland e.V. und warnt bereits seit längerem vor der Krankheit und ihrer Auswirkung auf Kinder.

Allein in den Jahren 2010 bis 2014 gab es demnach bei Kindern von null bis unter zwölf Jahren mehr als 92.000 neu diagnostizierte Hashimoto-Erkrankungen. Dies geht aus einer Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hervor. "Alarmierend" findet Schulte diese Zahl.

"Warum muss das Kind erst in den Brunnen fallen?", fragt die Vorsitzende der Liga. Die steigende Zahl der mit autoimmunen Erkrankungen der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow) diagnostizierten Kinder sei für ihre Organisation der entscheidende Ansporn, "nicht weitere kostbare Jahre verstreichen zu lassen".

Schulte fordert den früheren Einstieg in die Schilddrüsenuntersuchungen bei Kindern: Nicht erst in der so genannten J 1 (zwölf bis 13 Jahre) sondern bereits in der U 9 (Einschulung) solle der Schilddrüsenwert TSH bestimmt werden. Denn im Blut von Betroffenen lassen sich so genannte Auto-Antikörper gegen Schilddrüsengewebe nachweisen.

Um Fehlentwicklungen (Verzögerung der geistigen und körperlichen Entwicklung) zu vermeiden, sei eine möglichst frühzeitig einsetzende Diagnostik und eine sofortige Therapie mit dem Schilddrüsenhormon Thyroxin absolut notwendig.

Oberarzt Stach kann den Wunsch nach früheren Untersuchungen nachvollziehen - ebenso wie sein Kollege Dr. Thomas Fischbach. Der ist nicht nur niedergelassener Kinderarzt in Solingen, er ist auch Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.

Fischbach führt schon heute bei jüngeren Kindern Hashimoto-Untersuchungen durch - immer dann, wenn sich beim Erfragen der Familiengeschichte (Anamnese) ein Hinweis ergebe, führt er an. Auf Bundesebene gebe es aber noch keine klaren Empfehlungen für früher ansetzende Untersuchungen.

Genau das will die Schilddrüsenliga aber erreichen. Antriebsarmut, Konzentrationsstörungen, Mobbing, massiver Stress, Aggressivität, Rückzug aus dem sozialen Leben, Schulverweigerung, Abbruch von Ausbildungen, Resignation - das alles könne Hashimoto nämlich auslösen. Für Barbara Schulte "ein Teufelskreis, den die Kinder und Jugendlichen nicht mehr bewältigen können und aus dem dann auch die Familie nicht mehr herauskommt".

Frühzeitigere Schilddrüsenuntersuchungen kämen übrigens auch der Volkswirtschaft zugute, denn durch eine Früherkennung einer Schilddrüsenerkrankung gibt es Einsparungen im Bereich der Psychotherapien oder unnötigen medizinischen Untersuchungen. Schulte stellt fest: "Wir verbessern die Lage auf dem Gebiet der Leistungsfähigkeit, bekommen weniger Arbeitslose und eine deutlich bessere gesellschaftspolitische Integration von Kindern und Jugendlichen."

Info Schilddrüsen-Liga Deutschland e.V., Tel. 0228 / 3 86 90 60, www.schilddruesenliga.de

(RP)
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