Herbert Reul Erste Erfolge im Kampf gegen Sommerzeit

Leverkusen · Der Europa-Abgeordnete für das Bergische Land sieht im Interview wachsende Chancen für eine Abschaffung.

Herr Reul, in der Nacht zu Sonntag werden die Uhren eine Stunde vorgestellt - wieder ein Jahr, in dem Sie die Sommerzeit noch nicht abschaffen konnten. Frustriert Sie das nicht?

reul Ganz und gar nicht. In der Politik dauert es naturgemäß immer sehr lange, bis ein einmal gefasster Beschluss wieder rückgängig gemacht wird, ganz gleich, wie unsinnig er ist. Ich bin aber auch sehr zufrieden, weil gerade in den vergangenen Monaten einiges in Gang gesetzt worden ist, was mir Hoffnung macht.

Haben Sie Beispiele?

reul Sogar ein ganz aktuelles: Am Dienstag fand auf meine Anregung hin im EU-Parlament eine gemeinsame Anhörung dreier Fachausschüsse unter dem Titel "Time to revisit summertime" statt. In der Anhörung wurden die Auswirkungen der Zeitumstellung auf verschiedene Aspekte der Wirtschaft, die Gesundheit und Sicherheit, sowie auf den Energieverbrauch und Verkehr betrachtet. Aus den Reihen der EU-Parlamentarier wird der Gegenwind jährlich stärker, und auch die Experten waren sich einig: Die Einführung der Sommerzeit hat ihren Zweck verfehlt.

Inwiefern?

reul Die angeblichen Energieeinsparungen durch die Zeitumstellung sind ein reiner Mythos. Anstatt Strom- und Heizkosten zu sparen, kostet uns der ganze Aufwand nur noch mehr Geld. Zudem bringt die Zeitumstellung unsere biologische Uhr durcheinander.

Das sagen Sie . . .

Reul Das sage nicht nur ich, sondern unter anderem auch die renommierte Schlafforscherin Prof. Martha Merrow von der Universität München. Sie hat bei dem Experten-Hearing anschaulich beschrieben, wie die Zeitumstellung unsere biologische Uhr durcheinander bringt. Die dadurch entstehende Diskrepanz zwischen innerer Uhr und sozialer Uhr führt, so Merrow, zu einem sozialen Jetlag. Dieser Jetlag korreliert kurzfristig mit gestiegenen Unfallraten und Herzinfarktrisiko sowie langfristig mit anderen Gesundheits- und Leistungsdefiziten, wie zum Beispiel Übergewicht oder Suchtanfälligkeit.

Das klingt jetzt aber wirklich dramatisch.

reul Ich möchte ja niemandem Angst machen, aber die Auswirkungen der Zeitumstellung werden von vielen Menschen einfach noch unterschätzt - von mir am Anfang übrigens auch.

Was heißt am Anfang?

reul Ich bin von einer Dame auf dieses Thema aufmerksam geworden. Und ich sage ganz offen, dass ich damals von ihrer Kritik nicht so recht überzeugt war. Weil ich aber niemanden abweise, habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen. Und je tiefer ich in die Materie eingestiegen bin, desto mehr habe ich gemerkt: Die Auswirkungen der Umstellung treffen uns eigentlich alle.

Experten-Hearings in der Europüäischen Union sind das eine, gesetzliche Veränderungen etwas ganz anderes. Was macht Sie optimistisch, dass Ihr Anliegen auch in der Bevölkerung und bei den Entscheidern immer besser ankommt?

reul Der Widerstand gegen die Zeitumstellung wird in der Bevölkerung immer größer. Laut einer aktuellen DAK-Umfrage sind mittlerweile drei Viertel der Deutschen gegen die Zeitumstellung, und auch auf europäischer Ebene zeichnet sich ein vergleichbares Bild ab. Im Europäischen Parlament nehmen die Initiativen zu.

Gibt es denn auch so etwas wie eine Lobby für die Zeitumstellung, gegen die Sie antreten müssen?

reul Nein. Wenn Sie so wollen, ist die einzige Lobby, die zu Gunsten der Sommerzeit arbeitet, die Faulheit. Da komme ich zurück auf das, was ich eben schon einmal gesagt habe: Einen Beschluss zu fassen, ist für die Politik nicht besonders schwer. Ihn aber wieder rückgängig zu machen, wenn man entdeckt hat, dass der erhoffte Effekt ausgeblieben ist, kann eine wahre Herkules- Aufgabe sein.

Wissen Sie noch, was die Sommerzeit eigentlich erreichen sollte?

reul Das Gesetz zur Zeitumstellung wurde 1975 ursprünglich als Folge der Ölkrise beschlossen, um mehr Sonnenlicht am Abend zu nutzen und Energie zu sparen. Ein Irrglaube, wie sich längst bestätigt hat.

Und wer ist von der Umstellung besonders negativ betroffen?

reul Insbesondere für Menschen, die auch sonntags früh raus müssen, ist dies unangenehm. Denn die Uhr wird in der Nacht auf Sonntag umgestellt. Landwirte, Bäcker oder Pflegepersonal müssen mit einer Stunde weniger Schlaf ihren Dienst antreten. Sie brauchen oft Tage, um sich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen.

Werden Sie die Rücknahme des Gesetzes noch als aktiver Politiker erleben?

reul Mal abwarten. Ich setze mich bereits im zehnten Jahr aktiv für die Abschaffung der Zeitumstellung ein. So schnell gebe ich nicht auf.

PETER KORN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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