Leverkusen Der Quettinger, der Schmidt die Reden schrieb

Leverkusen · Armin Halle war der Mann an Helmut Schmidts Seite: Er begleitete den Kanzler damals als sein Redenschreiber rund um die Welt.

 Zweimal holte Helmut Schmidt den Journalisten Armin Halle in sein direktes Arbeitsumfeld - als Leiter des Pressereferats im Verteidigungsministerium und als Redenschreiber des SPD-Bundeskanzlers.

Zweimal holte Helmut Schmidt den Journalisten Armin Halle in sein direktes Arbeitsumfeld - als Leiter des Pressereferats im Verteidigungsministerium und als Redenschreiber des SPD-Bundeskanzlers.

Foto: Uwe Miserius

Der Artikel über die Nato muss Helmut Schmidt Ende der 60er Jahre beeindruckt haben. Er kontaktierte den Autor, einen gewissen Armin Halle, der bei der Süddeutschen Zeitung arbeitete und dort neben der Seite 4 auch öfter die Seite-1-Kolumne "Streiflicht" füllte. Schmidt, damals Bundesverteidigungsminister in der Regierung Brandt/Scheel, bot ihm einen Job in seinem Ministerium an. "Er wollte sein Pressereferat mit einem Journalisten besetzen, der militärische Grundkenntnisse hatte", sagt Halle. "Ich war sechs Jahre bei der Bundeswehr."

So beginnt die gemeinsame Geschichte zweier leidenschaftlicher (Pfeifen-)Raucher, zweier Strategen und zweier Charakterköpfe - der hanseatische Politiker auf der einen Seite - auf der anderen der Medienmann mit Mittlerweile-Wohnsitz in Quettingen. "Schmidt-Schnauze" trifft auf seine perfekte Ergänzung. Denn Schnauze im positiven Sinne hat Armin Halle auch. Öfter saß er damals für Schmidt in der Bundespressekonferenz "auf der Regierungsbank", und eben nicht als kritischer Fragensteller ihr gegenüber. "Helmut Schmidt", erzählt gestern der 79-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung, "wollte keine Verlautbarungspresse, sondern faire Information."

 Aus der Ära Schmidt: Armin Halle und Helmut Schmidt im Gespräch in der Zeit ihrer Zusammenarbeit.

Aus der Ära Schmidt: Armin Halle und Helmut Schmidt im Gespräch in der Zeit ihrer Zusammenarbeit.

Foto: Armin Halle

Später, als Schmidt Bundeskanzler wurde und Halle öffentlich über seinen Chef sprach, sprach er vom Herrn Bundeskanzler. Sprach Halle mit dem Chef, legte der Wert darauf, schlicht mit "Herr Schmidt" angesprochen zu werden. "Kohl ließ sich selbst von seinen Sekretärinnen mit Herr Bundeskanzler ansprechen", erzählt Halle. "Schmidt mochte es etwas humorig, flapsig. War aber in politischen Dingen geradeaus." Und offenbar kein bisschen blasiert. Als er 1972 den "Orden wider den tierischen Ernst" verliehen bekommen sollte, war der Verteidigungsminister krank und schickte Armin Halle mit den Worten "Tu du das man machen" zur Verleihung und somit in die Bütt nach Aachen. Der kommentiert heute trocken: "Tun ist für die Hamburger ja ein Vollverb." Der Hanseat hatte damals jungen Männern ihren Modetrend der Beatlesmähne gelassen und das olivfarbene Haarnetz für die Bundeswehr erlaubt, festgehalten im "Haarnetz-Erlass". Der sorgte für Spott wie "German Hair Force" (statt German Air Force für die Luftwaffe).

Zweieinhalb Jahre Schmidt, dann sein Nachfolger Georg Leber "(katholisch, fromm, Gewerkschafter"): Armin Halle wollte sich nach fünf Jahren im Ministerium wieder dem Journalismus zuwenden, entschied sich aber für ein Jahr am Nato-Defense-College in Rom. Danach sollte es zur Nato gehen. Wieder ist es Helmut Schmidt, der - mittlerweile Bundeskanzler - dazwischenfunkt. "Noch in Rom rief er mich an und fragte: "Wollen Sie meine Reden schreiben?"

Halle hielt es wie Schmidt selbst, der zu sagen pflegte "Man lernt immer das, was man tut" oder wie der 79-Jährige sagt: "Learning on the job". Er wurde Leiter der Gruppe Information und Kommunikation im Bundeskanzleramt, war direkter "Zuarbeiter" von Schmidt, bereitete dessen Reden vor, reiste mit dem Kanzler um die Welt. "Wenn der Anruf aus dem Sekretariat kam: Herr Halle, morgen um 7 am Militärflughafen Köln-Wahn, habe ich nur noch gefragt: rechtsrum oder linksrum? Rechts ging es Richtung London, Washington, links Richtung Bombay und Tokio", erzählt der Mann an Schmidts Seite. Bei einer dieser Reisen nach Japan habe er übrigens, flicht er charmant scherzend ein, sein erstes Geisha-Essen erlebt. "Da hatte ich mir mehr drunter vorgestellt. Die Damen waren alle hochgeschlossen gekleidet."

Im Flugzeug wartete meist Arbeit auf Halle. Auf dem Weg zur UN-Vollversammlung in New York in der deutschen "Air Force One", der Boing "Otto Lilienthal", musste er beispielsweise den Kanzler überzeugen, die ersten Sätze seiner Rede auf Deutsch zu sprechen. Auf dem nächtlichen Rückflug "mussten wir über Neufundland fertig gegessen haben, aber hungrig auf die Rede sein, die Schmidt am nächsten Morgen im Bundestag halten musste", berichtet Halle geografisch-heiter. "Zwischendurch haben wir immer aus dem Fernster nach Grönland Ausschau gehalten, weil dann die Hälfte des Fluges rum war. Bis Irland musste die Rede fertig sein." Noch aus dem Flugzeug sei sie den Damen im Bonner Sekretariat gefaxt worden zum Abtippen. Morgens spazierte Schmidt dann zum Rednerpult, um sie zu halten.

Deutschland trauert um Helmut Schmidt
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Armin Halle hat ein Talent zum Erzählen: launig, heiter, schalkhaft, fein pointiert, mit ernsten Zwischentönen. Vielleicht liegt es daran, dass er Schmidt, wie er sagt, nie bewundert hat, wie es so viele taten und über dessen Tod hinaus tun. Aber er lobt ihn: "Schmidt war überragend in allen Ämtern, als Minister, als Kanzler, als Gesprächspartner und auch als Mensch. Ich habe ihn nie bewundert, aber ich habe ihn immer respektiert."

Vor allem auch Schmidts Fähigkeit, mit Worten umzugehen. Oft hätten er und seine Mitarbeiter Texte für Helmut Schmidt gemacht, von denen sie glaubten, das sei längst keine einfache journalistische Information mehr, sondern längst ein Stück Weltliteratur. Dann habe Schmidt noch einmal einen Blick darauf geworden und die Texte verbessert.

Falls es denn einen Wortlaut-Text gab. Wenn eine neue Rede anstand - und davon müsse ein Kanzler im Jahr rund 200 bis 250 Stück halten - sei die erste Frage gewesen: "Herr Schmidt, Wortlaut oder Sprechzettel?", erinnert Armin Halle. Oft entschied sich Schmidt für den "Zettel", ein Papier in der Größe einer Karteikarte, mit fünf, sechs Stichworten darauf. Damit habe er mitunter eine Rede von einer Stunde gehalten. Oder von wenigen Minuten geschmettert.

Bei einem Essen mit dem Staatspräsidenten von Sambia sang das Oberhaupt des afrikanischen Staates seine Tischrede. Schmidt wandte sich fragend an Halle: "Was machen wir jetzt?" Der konterte: "Dann müssen wir auch singen." Auf die Melodie des schottischen Liedes "Auld Lang Syne" (Deutsch: "Nehmt Abschied, Brüder") schrieb Halle Schmidts Tischrede zum Singen.

Es gibt viele diese Schmankerln aus der Zeit im Verteidigungsministerium und später im Kanzleramt. Etwa, wenn "Loki und Smoky" im Flieger unterwegs waren und Helmut Botanikerin Loki aus dem Fenster blickend neckte: "Guck mal, Loki, da unten ist wieder ein neues Gänseblümchen." Oder wenn Armin Halle morgens um acht den Kanzlerbungalow in Bonn betrat, Loki ihn in hanseatischem Tonfall darauf hinwies, dass sie ihm eine Tasse Kaffee auf den Tisch ge"s"tellt habe und Helmut Schmidt, der gerne länger geschlafen hätte, als ihm das Kanzlersein erlaubte, morgenmuffelig herumknurrte.

"Helmut Schmidt", betont Halle," hatte Manieren, aber er war auch unerbittlich, was die Arbeit anging. Schwülstiges wie bei seinem Nachfolger (Kohl) lag ihm gar nicht. Er war sachlich, das wirkte manchmal schroff, so war er aber nicht."

1979 trennten sich die beruflichen Wege der beiden Männer ("Wenn wir in einem Raum waren, konnte ein Dritter oft nur noch mit Radarhilfe durchschreiten - wegen des vielen Pfeifenrauchs"). Halle, der später der Liebe wegen nach Leverkusen zog, ging vier Jahre zur Nato nach Brüssel - Schmidt hatte ihn dorthin empfohlen ("Ein bemerkenswerter Zug an ihm: Er hat seine Leute immer gefördert, aber man musste was können. Schmidt hat nie das Parteibuch nach vorne gestellt"). Dann zog es Armin Halle zurück in den Journalismus. Lange war er Chefreporter bei Sat.1., zuvor schon Moderator des Kölner Treffs und der NDR-Talkshow.

An die Zeit mit dem nun verstorbenen SPD-Altbundeskanzler erinnert sich der Quettinger noch sehr genau zurück, so detailgenau erzählt er von der Zeit: Vielleicht, weil ihm manches auch lange im Magen lag - essenstechnisch betrachtet. "In Hawaii gab es mal bei einer Verabschiedung Frisches aus dem Meer zu essen: Lobbster, Muscheln, Austern", erzählt Halle. "Wir flogen von da nach Los Angeles. Dort wollte man uns gut und servierte Seafood, also Lobbster, Muscheln, Austern und so weiter. Als wir in Anchorage in Kanada ankamen, gab es für den Kanzler etwas ganz Besonderes: Seafood. Sie können mir glauben, ich habe dann ein halbes Jahr keinen Fisch mehr gegessen."

(RP)
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