Leverkusen Baselitz lässt die Hunde heulen

Leverkusen · Der Bildtitel der 1964 entstandenen Grafik macht neugierig. Schon deswegen hat Fritz Emslander die ganze Ausstellung mit Arbeiten von Georg Baselitz im Dachgeschoss des Museums Morsbroich "Heulende Hunde" genannt. Aber es handelt sich auch um ein wiederkehrendes Motiv, genau wie der Kopf, Gesicht oder Fuß des Künstlers. Sie ziehen sich durch alle fünf Jahrzehnte, von 1964 bis 2017, die diese Präsentation umfasst. Am Ende des Rundgangs begegnet der Besucher erneut Hunden.

Dann sind es vergleichsweise milde Porträts seiner eigenen Deutschen Dogge Igor. Die heulende Meute auf dem Ausgangsblatt hat allerdings nichts von harmlosem Haustier wie die Folge "Schlafende Hunde". Das Rudel der 1964er Radierung heult wie die wölfischen Vorfahren, um Territorium abzugrenzen, sich zu stärken oder gegenseitig vor Gefahr zu warnen. Die verkrüppelten, gequälten, wulstigen Gestalten entstanden, wie auch die (Anti-)Heldenfiguren an den anderen Wänden in der Auseinandersetzung mit dem Krieg, den Georg Baselitz als unheimlichen Ballast empfand.

"Manche haben keine Biografie, die haben Glück", sagte Baselitz 2003, als er längst zu den wichtigsten Nachkriegskünstlern zählte. "Auf meine Generation kam wahnsinnig viel Dreck zu. Wir, die wir damals Kinder waren, hatten große Probleme, und die haben wir heute noch. Wir waren nicht beteiligt, wir waren nur betroffen. Mit diesen Geschichten lebt man. Die kann man nicht verdrängen." Wie seine Malerei lässt auch sein druckgrafisches Werk diese Auseinandersetzung erkennen. Weitere erklärende Zitate stehen in dem Begleitheftchen zur Ausstellung, die neben einer Kurzbiografie in die einzelnen Werkgruppen einführt. Ein Katalog wurde nicht aufgelegt, weil die Baselitz-Literatur bereits ausufernd sei, erklärt Kurator Emslander. Die Arbeiten aus dem Bestand der eigenen Sammlung sind im Katalog von 1989 verzeichnet.

Die aktuelle ist bereits die vierte Baselitzausstellung im Museum Morsbroich, das eine der umfangreichsten Baselitzsammlungen und wohl die bedeutendste weltweit besitzt. Die erste Werkschau des Künstlers gab es hier 1974, als er schon begonnen hatte, seine Motive auf den Kopf zu stellen. Von Anfang an nahm er eine Sonderstellung ein, weil er sich als Ostdeutscher weder dem dort beheimateten Realismus, noch dem Informel des Westens anschließen mochte. Seit dem ersten Besuch in Leverkusen gab es engen Kontakt. Bis Ende der 80er Jahre wurde viel angekauft, und Baselitz schenkte dem Museum viele Probedrucke, wertvolle Unikate. An einer aufgereihten Serie von Holzschnitten lässt sich nachvollziehen, wie der Künstler mit den Druckstöcken und unterschiedlichen Einfärbungen experimentierte.

So weist die Sammlung von den frühen druckgrafischen Arbeiten bis in die 1980er Jahre annähernde Vollständigkeit auf . Dann gibt es einen Bruch, in den 90ern werden die Ankäufe weniger und in den letzten zwei Jahrzehnten reißen sie, bei eingefrorenem Etat, schließlich ganz ab. Aus neuerer Zeit mussten also Leihgaben besorgt werden, um eine Gegenüberstellung realisieren zu können. Denn Georg Baselitz will sich im Alter nicht beweisen, indem er noch einmal etwas ganz Neues schafft. Stattdessen besinnt er sich auf seine alten Arbeiten und überprüft sie sehr selbstkritisch, um sie in seinen Remix-Serien malerisch oder grafisch neu zu interpretieren. So ist beispielsweise die 2006 entstandene Grafik eines Onanierenden mit Hitlerbärtchen "Die große Nacht im Eimer" zu sehen, dessen Vorläufer 1963 einen handfesten Skandal auslöste.

Mit Beginn der Kunstnacht wird heute um 18 Uhr die Ausstellung "Georg Baselitz. Heulende Hunde" im Museum Morsbroich eröffnet. Um 20.30 Uhr gibt es eine Kuratorenführung.

(mkl)
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