Kein Platz in Abschiebehaft Leverkusener Behörden lassen Straftäter laufen

Leverkusen · Die Polizei in Leverkusen hat offenbar einen mehrfach verurteilten Asylbewerber laufen gelassen, weil NRW keinen freien Abschiebehaftplatz hatte. Jetzt ist unklar, wo sich der Straftäter aufhält. Solche Fälle könnte es bald häufiger geben, warnt die Polizei-Gewerkschaft.

 Polizisten im Frankfurter Hauptbahnhof (Archiv).

Polizisten im Frankfurter Hauptbahnhof (Archiv).

Foto: dpa, brx rho

Der Mann war vor wenigen Wochen in Leverkusen festgenommen worden, da er aus Deutschland abgeschoben werden sollte und ein Haftbeschluss gegen ihn vorlag. Weil die zentrale Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in NRW komplett belegt war, soll der mehrfach straffällig gewordene Mann wieder freigelassen worden sein. Das bestätigte die Stadt Leverkusen auf Anfrage unserer Redaktion. Zuerst hatte die "Thüringische Landeszeitung" über den Fall berichtet.

In dem Artikel beruft sich das Blatt auf eine interne E-Mail zwischen den zuständigen Stellen im Freistaat. Demnach hatte das Land den Mann schon Wochen vorher abschieben sollen. Er war aber vorher untergetaucht und dann in Nordrhein-Westfalen festgenommen worden. Die E-Mail liegt auch unserer Redaktion vor.

Das NRW-Innenministerium teilte auf Anfrage mit, dass der Fall überprüft werde. "Klar ist: Es darf nicht sein, dass ein abgelehnter und vollziehbar ausreisepflichtiger Asylbewerber in Deutschland aus Platzmangel nicht in Abschiebehaft genommen wird", sagte ein Sprecher.

In der E-Mail schildert eine Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde des Landkreises Gotha den Fall und fragt das übergeordnete Landesverwaltungsamt, wie sie in solchen Angelegenheiten künftig verfahren solle. Der Mann sei in Leverkusen festgenommen worden. Aber die zuständige Ausländerbehörde vor Ort habe Gotha mitgeteilt, "dass die umliegenden Abschiebehafteinrichtungen restlos überbelegt sind".

Nur im 300 Kilometer entfernten Pforzheim gebe es noch einen freien Platz, schreibt die Sachbearbeiterin weiter. Doch könne der Transport dorthin nicht sichergestellt werden — weder von der Ausländerbehörde in Leverkusen, noch vom Landkreis Gotha. Deswegen müsse der Mann aus dem Polizeigewahrsam freigelassen werden, "obwohl er ein abgelehnter Asylbewerber ist, der sich bereits einer Abschiebung entzogen und zudem noch Mehrfachstraftäter ist".

Eine Sprecherin der Stadt Leverkusen bestätigte den Fall. Die Ausländerbehörde habe sich vergeblich bemüht, einen Haftplatz zu erhalten. Die Unterbringungseinrichtung in Büren sei "restlos belegt" gewesen. Auch eine Anfrage in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) sei erfolglos geblieben. Nur Pforzheim sei bereit gewesen, den Mann aufzunehmen. Aber der Transport dorthin konnte nicht sichergestellt werden, bestätigte das Thüringer Landesverwaltungsamt.

Wo sich der Mann nun aufhält, konnte trotz mehrfacher Nachfragen keine Behörde mitteilen. Außerdem widersprechen sich die Angaben zu seiner Person. Die Ausländerbehörde in Gotha nannte ihn einen "albanischen Staatsangehörigen". Das Thüringer Landesverwaltungsamt erklärte dagegen, es handle sich um einen 23-jährigen Mann mit mazedonischer Staatsangehörigkeit.

Nach Angaben der "Thüringische Landeszeitung" soll es sich um einen Sexualstraftäter handeln, der schon fünf Jahre in Haft saß und Deutschland daraufhin verlassen musste. Er sei anschließend aber wieder illegal eingereist, teilte das Thüringer Landesverwaltungsamt unserer Redaktion mit.

"Das Land muss seine Kapazitäten für die Abschiebehaft ausbauen, wenn es nicht ständig solche Fälle erleben will", forderte Arnold Plickert, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Wenn NRW weiter zu wenige Abschiebehaftplätze hat, darf sich niemand wundern, wenn die Polizei jemanden laufen lassen muss, und dieser einige Monate später einen Terroranschlag verübt."

Plickert hatte schon im Januar davor gewarnt, dass NRW zu wenige Unterbringungsplätze für abgelehnte Asylbewerber habe, die abgeschoben werden sollen. Das Land betreibt derzeit eine einzige so genannte Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (Ufa) in Büren. Dort konnten Anfang des Jahres lediglich bis zu 100 Ausländer in Abschiebehaft genommen werden.

Abschiebehäftlinge dürfen bis zu ihrer Ausreise aus Deutschland nicht in normalen Gefängnissen zusammen mit normalen Strafgefangenen untergebracht werden. Deshalb muss es für sie gesonderte Einrichtungen geben. Das hatte 2014 der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden.

Allerdings gibt es nur in fünf Bundesländern solche Unterbringungseinrichtungen. Diese werden daher von den anderen Ländern mitgenutzt. In einer Stellungnahme des NRW-Innenministeriums heißt es, die Landesregierung habe bereits auf die steigende Zahl der ausreisepflichtigen Asylbewerber reagiert und begonnen, in Büren mehr Plätze zu schaffen. "Etwa jeder fünfte Fall ist ein Ersuchen in Amtshilfe für andere Länder oder die Bundespolizei. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass endlich alle Länder Abschiebehaftplätze schaffen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort