Leverkusen Aalglatte Rhetorik

Leverkusen · Um Karriere zu machen, sind manchem alle Mittel recht, führte Schauspieler Eric Rentmeister den Zuschauern im Jungen Theater Leverkusen vor Augen.

 Ein Theaterstück für einen Mann und sein Smartphone: Marco (Eric Rentmeister) ist händeringend auf der Suche nach einer Titelstory für das Boulevardblatt "Seite Eins" - und bringt das Publikum mehrfach ins Grübeln.

Ein Theaterstück für einen Mann und sein Smartphone: Marco (Eric Rentmeister) ist händeringend auf der Suche nach einer Titelstory für das Boulevardblatt "Seite Eins" - und bringt das Publikum mehrfach ins Grübeln.

Foto: Ralph Matzerath

Eigentlich macht er ja einen ganz sympathischen Eindruck, dieser junge Mann im gut sitzenden Anzug mit Edelschimmer. Das schlichte weiße T-Shirt darunter signalisiert zudem, dass es sich nicht um den korrekt zugeknöpften Typ auf dem Weg zur Vorstandsetage handelt. Sein Karriere-Ziel strebt er in einer anderen Branche an, die man ihm nicht auf den ersten Blick ansieht: Marco ist Boulevardjournalist. Und weil er weiß, was die Menschen über diese berufliche Spezialisierung denken (verwegen, halbseiden, schlimm), geht er gleich in die Verteidigungsoffensive im Jungen Theater Leverkusen (JTL).

Mit der rhetorischen Frage: "Fühlen Sie sich richtig informiert?" beginnt er seinen Kurzvortrag über gleichgeschaltete Medien, fragwürdige Political Correctness in der Berichterstattung oder das Genderthema. Marco arbeitet für "Seite Eins", so lautet auch der Titel des Theaterstücks für einen Mann und sein Smartphone von Johannes Kram, das jetzt als Gastvorstellung zu sehen war. Ein Heimspiel für Eric Rentmeister, der im JTL die ersten Bühnenerfahrungen sammelte und längst als professionelle Schauspieler unterwegs ist.

Das Stück ist eine Produktion des Westdeutschen Tourneetheaters, Regie führt Claudia Sowa. Welche enorme Entwicklung Rentmeister seit den Leverkusener Anfängen durchlaufen hat, erlebten die JTL-Zuschauer, die er mit seiner zweistündigen Solovorstellung wirklich packte und nicht einen Augenblick abschweifen ließ. Einzige Hilfsmittel auf der schwarz ausgeschlagenen Mini-Bühne: weißer Tisch, rotes Notizbuch, die unvermeidliche Wasserflasche und - in sämtlichen Nebenrollen - sein Smartphone.

Und Rentmeister schaffte es, dass das Publikum seinen Dialogen bestens folgen konnte, ohne einen einzigen Laut von Marcos Gesprächspartnern zu hören. So eindeutig und vielsagend waren die Reaktionen, die wechselnde Mimik, der umgeschaltete Tonfall des Boulevardschreibers, der per Headset dauerhaft mit der Welt da draußen verbunden ist. Er wandelt sich wie ein Chamäleon, um seine Gesprächspartner einzuwickeln und für seine Zwecke einzuspannen. Ein aalglatter Typ, dem jedes Mittel der Rhetorik recht ist, um seinem Ziel näher zu kommen: einer Titelstory für "Seite Eins", einem vielgelesenen Blatt, bei dem Bilder, Überschriften und Satzzeichen das Wichtigste sind.

"Wir nehmen den Leser ernst" verteidigt Marco die Strategie, denn: "Wir sehen den Menschen hinter den Geschichten." Beispielsweise Les, die junge, gutgläubige Sängerin, die grundsätzlich nichts von ihrem Privatleben preisgibt, aber ihr neues Album promoten will. Beides geht nicht, das ist die bittere Lehre, die sie am Ende daraus ziehen muss, nachdem Marco seine Titelgeschichte gebracht und damit viel Unheil angerichtet hat. Jetzt rettet nur noch eine ebenfalls erfundene Homestory Teil zwei.

"Das ist nicht die Wahrheit, aber die Wirklichkeit", belehrt der skrupellose Journalist sein Publikum, das an einem faszinierenden Theaterabend mehrfach ins Grübeln gekommen ist.

(mkl)
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