Langenfeld Wenzelnberg-Morde: Starb ein Täter kurz danach?

Langenfeld · SS-Hauptsturmführer Goeke soll noch im Frühjahr 1945 erschossen worden sein. Ein DNA-Abgleich könnte Gewissheit bringen.

Ein besonders schmerzhafter Aspekt des Wenzelnberg-Massakers: Der Mord an 71 Häftlingen aus Gefängnissen in Remscheid und Wuppertal kurz vor Kriegsende 1945 wird juristisch wohl für immer ungesühnt bleiben. Bei der Gedenkfeier, die morgen wieder wie jedes Jahr im April am Mahnmal in dem Wiescheider Waldstück stattfindet, wird das sicher abermals zur Sprache kommen. Der militärische Befehlshaber, Generalfeldmarschall Walter Model, entzog sich dem Strafgericht durch Selbstmord (1945), ebenso der SS-Standartenführer Rudolf Batz (1961). Die anderen Täter wurden nicht belangt oder gar nicht erst ermittelt. Und der mutmaßliche Leiter des Exekutionskommandos, SS-Hauptsturmführer Theodor Goeke? Gilt offiziell als vermisst. Noch, muss man hinzufügen, denn in die Klärung seines Schicksals könnte jetzt Bewegung kommen.

Wurde der damals 33-Jährige rund drei Wochen nach dem Wenzelnberg-Massaker selbst erschossen und verscharrt? Oder hat sich sein Umfeld diese Geschichte nur ausgedacht, damit er untertauchen und unter falscher Identität unbehelligt weiterleben konnte? Oder ergibt sich noch ein anderes mögliches Schicksal? Um Licht ins Dunkle zu bringen, hat der Wuppertaler Historiker Stephan Stracke (52) jetzt die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, genauer: die zuständige NRW-Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Dortmund. Unter Hinweis auf seine eigenen Forschungsergebnisse (siehe Info-Box) hat Stracke den Leiter der Zentrale, Oberstaatsanwalt Andreas Brendel, gebeten, "Hinweisen auf ein mögliches Tötungsverbrechen in Neheim-Hüsten nachzugehen". Dorthin, ins Sauerland, soll sich Goeke seinerzeit abgesetzt haben.

Erstmals ermittelt in dieser Sache wurde 1964/65. Grund: Der vermisste Goeke wurde beschuldigt, im Herbst 1941 an Judenerschießungen des Einsatzkommandos 9 (EK9) im weißrussischen Witebsk beteiligt gewesen zu sein. Insgesamt hat das EK 9 zwischen Juni 1941 bis Ende Februar 1943 mindestens 42.522 Menschen ermordet.

Goekes Ehefrau Elisabeth gab 1965 gegenüber dem Landeskriminalamt an, ihr Mann - in ihren Augen ein normaler Kripo-Beamter - sei am 14. März 1945 (also einen Monat vor dem Wenzelnberg-Massaker) aus Wuppertal verschwunden. Zugleich führte sie die LKA-Ermittler auf die Spur zu einem Freund der Familie in Neheim-Hüsten. Der behauptete, Goeke sei auf seinem Hof von den einrückenden Amerikanern (zufällig etwa am Tag des Wenzelnberg-Massakers) inhaftiert und wenig später befreiten polnischen Zwangsarbeitern übergeben worden. Die sollen Goeke dann erschossen haben, zusammen mit polnischen und/oder russischen Kollaborateuren und einem weiteren Deutschen.

1949 wurden fünf Tote, bei denen es sich um besagte Erschossene von Ende April/Anfang Mai 1945 handeln soll, in ein Massengrab mit insgesamt 22 Leichen auf einem Friedhof in Ense-Bremen (bei Neheim) umgebettet. "Dieses Grab ist bekannt", sagt Historiker Stracke: "Mit einer DNA-Untersuchung müsste sich also klären lassen, ob Theodor Goeke einer der Toten ist - vorausgesetzt, man macht Kinder oder Enkel Goekes ausfindig und diese stimmen einem DNA-Abgleich zu."

Anlass, erneut in diesem Fall zu ermitteln, hat die zuständige Staatsanwaltschaft nach Überzeugung Strackes mindestens aus zwei Gründen: Erstens wäre die "wilde" Erschießung der Fünf von Neheim-Hüsten ein Kriegsverbrechen ("Mord verjährt nicht"), und zweitens waren die früheren Ermittlungen nach den Erkenntnissen des Historikers schludrig. Schon im ersten Verfahren gegen Goeke 1948 sei eine offensichtliche Falschaussage seiner Ehefrau unbeanstandet geblieben. Und bei der Umbettung der fünf Toten von Neheim-Hüsten wurden ihre Maße, Bekleidung etc. laut LKA-Bericht von 1965 "nicht notiert". Hinzu kommen weitere Ungereimtheiten: "US-Soldaten sollen Inhaftierte an polnische Zivilisten im Sauerland gleichsam zur Erschießung übergeben haben?", fragt Stracke zweifelnd. "Das halte ich für nicht ausgeschlossen, aber doch für eher unwahrscheinlich."

(gut)
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