Thema Olympische Spiele TSV zieht gemischtes Fazit der medaillenlosen Spiele

Langenfeld · Erstmals seit Olympia 2000 in Sydney ging der TSV Bayer 04 Leverkusen bei der Medaillenvergabe leer aus. Die Gründe sind vielfältig: Einige Athleten enttäuschten, für andere kamen diese Spiele noch zu früh.

Leverkusen Wie geht man als Verein mit einer Olympia-Bilanz um, die persönliche Bestleistungen verzeichnet, unter dem Strich aber keine Medaille aufweist?

Das Fazit von Anne Wingchen, der Geschäftsführerin des TSV Bayer 04 Leverkusen, fällt differenziert aus. Die Silbermedialle von Annike Krahn ordnet sie trotz deren formaler Vereinszugehörigkeit der Fußball-Abteilung zu. Darüber hinaus hatte sie "mit ein bis zwei Medaillen spekuliert. Im Judo und der Leichtathletik war das sicher auch nicht vermessen", sagt sie.

Dass der TSV, in Rio de Janeiro in der Kernsportart Leichtathletik und Judo vertreten, aber erstmals seit den Spielen 2000 in Sydney ohne Medaille blieb, spiegele gerade in der Leichtathletik die deutsche Gesamtsituation wieder.

Enttäuschend war aus Leverkusener Sicht vor allem das Abschneiden im Stabhochsprung und Weitsprung. "Das war für uns und für die Athleten unbefriedigend, die sich selbst auch mehr erhofft haben", gibt Wingchen zu.

Alyn Camara verpasste genauso das Finale wie die Stabhochspringer Tobias Scherbarth und Karsten Dilla. "Leider hat keiner von ihnen sein Potenzial voll abrufen können", erklärte Paul-Heinz Wellmann, Geschäftsführer der Leichtathletikabteilung, gegenüber unserer Zeitung.

In eine Extremsituation hätte der Verband überdies die Speerwerferinnen gebracht. Betroffen waren mit Linda Stahl eine Teilnehmerin in Rio und mit Weltmeisterin Katharina Molitor eine Leverkusenerin, die trotz erfüllter Norm nicht mitfahren durfte. "Die Situation bei den Frauen war für mich nicht tragbar", sagt Wingchen. "Die Diskussion, ob es fair war, Katharina zu Hause zu lassen, brauchen wir nicht mehr zu führen. Aber allein dieses Hin und Her, dass die Sportlerinnen selbst nicht wussten, was sie für eine Olympia-Teilnahme leisten müssen, ging an die Substanz."

Und nagte nach eigenem Bekunden auch an Stahl spürbar. Vor vier Jahren war die 30-Jährige neben Britta Heidemann eine der Medaillengewinnerinnen für den TSV, brachte Bronze mit aus London. Das hätte sie zu gerne in Brasilien wiederholt. Eine weitere Chance wird Stahl nicht bekommen, sie beendet ihre Karriere und arbeitet ab Oktober als Ärztin.

Kurz- oder mittelfristig werden ihr namhafte TSV-Sportler folgen. Jennifer Oeser zum Beispiel, die mit ihrem besten Siebenkampf-Ergebnis der letzten fünf Jahre in Rio abschnitt, die aber bereits 32 Jahre alt ist und ankündigte, nicht mehr lange machen zu wollen. Oder auch Silke Spiegelburg (30), die eine Nominierung für Olympia verpasste.

Der TSV steht gerade in der Leichtathletik vor einem Generationenwechsel. "Wir arbeiten immer daran, neue Talente für uns zu gewinnen, aber es ist schwer geworden", sagt Wellmann. Dafür gibt es Gründe: Ganztagsunterricht, konkurrierende Stützpunkte oder nachlassendes Interesse. "Wir haben trotzdem bereits ein paar Kandidaten im Auge. Aber der Weg in die Spitze braucht Zeit."

Dennoch - und das zeigten diese Spiele eben auch - stehen beim TSV vielversprechende Talente mit Perspektive in den Startlöchern. Zum Beispiel Konstanze Klosterhalfen, die 19-jährige Überfliegerin der vergangenen Saison, die über 1.500 Meter das Halbfinale erreichte. "Was sie dieses Jahr leistet, ist überragend", sagt Wingchen. Sie sei neben Sanaa Koubaa, die über 3000 Meter Hindernis persönliche Bestleistung lief, oder auch Hochspringer Mateusz Przybylko eine derjenigen, "denen die Zukunft gehört." Im Fall von Camara ist die Hoffnung groß, dass er die Enttäuschung von Rio in Motivation für die Spiele in Tokio 2020 umwandelt. Dann wäre er 31. Ob Scherbarth - dann 35 - bis dahin noch startet, ist fraglich. Aber auch für Aleixo-Platini Menga (28) ist der Zug in vier Jahren nicht abgefahren.

Gleiches gilt für die Judoka Karl-Richard Frey und Miryam Roper. Roper hatte Pech, traf gleich in Rio zum Auftakt auf die spätere Olympiasiegerin Rafaela Silva. Ihr Medaillen-Traum platzte nach wenigen Sekunden. Vize-Weltmeister Frey, der mit großen Erwartungen nach Brasilien reiste, verpasste Bronze. Frey ist 25 Jahre alt. Er wird sicher noch einmal Olympische Spiele bestreiten können. "Für ihn war das enttäuschend in Rio, weil er vier Jahre darauf hingearbeitet hat, aber für uns ist er ein Athlet, der zur Weltspitze zählt, die er weiter verkörpern wird", sagt Wingchen.

Auch im Fechten arbeite der Verein daran, dass es ein "nach" Britta Heidemann gibt. Wingchen warnt aber davor, "eine Nachfolge-Generation an einer Ausnahmesportlerin wie ihr zu messen."

Die Arbeit ist hinter den Kulissen längst im Gange. Gemeinsam mit dem Bayer-Konzern werde man "eine Vision 2020 erstellen und die nächsten vier Jahre planen, wo und wie wir uns in allen Sportarten positionieren wollen". Der TSV hat 2008 - nach der finanziellen Neustrukturierung seiner Spitzensportförderung - ein neues Leistungssportkonzept verabschiedet. "Kritiker glaubten damals, dass uns damit die Vorbilder verloren gehen", sagt Wingchen. Wenn man sich aber für nachwuchsorientierten Spitzensport entscheide, müsse man auch mal mit medaillenlosen Jahren wie diesem leben. "Ich bin verdammt stolz, dass wir nach acht Jahren sagen können: Es war der richtige Weg", sagt die Geschäftsführerin. "Wir waren in London erfolgreicher, aber wir sind nach wie vor eine Hausnummer im Spitzensport."

Sport Seite

(RP)
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