Langenfeld Ökumene-Chor singt von Allah

Langenfeld · In Langenfeld erklingt "Weltmusik" - das "Stabat Mater" von Karl Jenkins.

 70 Sänger aus beiden Kirchengemeinden, Solistinnen und die Bergischen Symphoniker brachten bei der Aufführung von "Stabat Mater" von Karl Jenkins teils ungewohnte Töne in die Pfarrkirche St. Josef.

70 Sänger aus beiden Kirchengemeinden, Solistinnen und die Bergischen Symphoniker brachten bei der Aufführung von "Stabat Mater" von Karl Jenkins teils ungewohnte Töne in die Pfarrkirche St. Josef.

Foto: Ralph Matzerath

Stell dir vor, du gehst in ein ökumenisches Kirchenkonzert und hörst dort von Allah. Was einzelne der rund 400 Besucher in der fast ausverkauften Pfarrkirche St. Josef in Langenfeld als Provokation empfunden haben mögen, hat Karl Jenkins so vorgesehen: Sein 2008 komponiertes Werk "Stabat Mater" meditiert überwiegend auf latein und englisch das Leiden Marias während der Kreuzigung ihres Sohnes Jesu. Aber eben nicht, wie es der westeuropäische Hörer gewohnt ist, als polyphone Passion des Barock, sondern auch mit ethnischen Gesängen aus der Zeit Jesu - also auf hebräisch, aramäisch und arabisch ("Allah" = Gott) - und der landestypischen Orchestrierung.

Die Bergischen Symphoniker hatten unter der Gesamtleitung von Matthias Krella alles mitgebracht, was die Abteilung "Exotische Instrumente" hergab. Darunter viel Schlagwerk: Drei Perkussionisten gaben das an einen Herzschlag erinnernde Ostinato im "Cantus Lacrimosus" vor, dem ersten von zwölf Sätzen in dem 75-Minuten-Werk. Darüber legte sich "dolcissime" die Oboe - das Instrument, mit dem sich der 1944 geborene Jenkins als Berufsmusiker im National-Orchester von Wales etablierte, bevor er die Jazz-/Fusion-Richtung einschlug.

Die von Esther Kim und Krella trefflich vorbereiteten 70 Sänger der Chöre an der Erlöserkirche und von St. Josef hatten hörbare Freude an diesem nicht nur in religiöser Hinsicht grenzüberschreitenden Experiment. Wirkten die teils unisono, teils unterterzt gesungenen Zeilen musikalisch noch etwas schlicht, so gelang es den Choristen unter Krellas konzentriertem Dirigat, ihren Partien mit dynamischen, aber auch chromatischen Nuancierungen viel Seele zu verleihen.

Hochkarätig waren die beiden Solistinnen: Carola Günther (Magdeburg) interpretierte mit warmem Mezzosopran das Gros der englischen Texte, während sich Agnes Erkens (Köln) auf orientalische Gesänge spezialisiert hat. Die melismatische Improvisation des arabischen Textes der Incantation ("Bitte für uns, Maria") bildete ein ungewöhnliches, aber berührendes Klang-Szenario in der katholischen Kirche. Für die adäquate musikalische Untermalung der Melismen zeichnete Adnan Schanan verantwortlich: Der gebürtige Iraker spielte den Nay, eine persische Längsrohr-Flöte.

Dann wieder konnte ein Streicher-Teppich wie im "Vidit Jesum in Tormentis" nicht verhehlen, dass sich Jenkins auch als Komponist von Werbe- und Filmmusik einen Namen gemacht hat. Und wer bei dem von Carola Günther berührend interpretierten "Lament" die Augen schloss, wähnte sich womöglich in einem Musical von Andrew Lloyd-Webber. Doch gerade die innige Schlichtheit dieses Klageliedes ließ manchen Zuhörer im Gebet auf die Knie gehen - zumal der Text mit Blick auf den mazedonisch-griechischen Grenzzaun eine beklemmende Tagesaktualität bekam: "Wir hören die Schreie der Kinder, wir sehen den Tod Schatten auf ihre Herzen und Gemüter werfen, wie Mütter in ihrem Leid stehen und weinen für diese Welt."

Maria als "Mater dolorosa" gerät so zum Prototyp aller trauernden Mütter, die an der Ungerechtigkeit des politischen Systems verzweifeln - nie war ein Konzert aktueller. Nach einem dramatisch chromatischen Schluss-Chor, der über das Elend dieser Welt einen hoffnungsvollen Blick ins "Paradisi gloria" wirft, ergriffenes Schweigen. Dann Bravo-Rufe und stehende Ovationen.

(stm)
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