Langenfeld Führerkult statt Freiheit

Düsseldorf · In seiner gestern präsentierten Dokumentation gewährt der Arbeitskreis Geschichte bedrückende Einblicke in den Alltag unterm Hakenkreuz. Konfessionsschulen wurden bedrängt, jüdischen Ärzten die Patienten genommen.

Schlimm muss er sich gefühlt haben im Jahr 1937: der Langenfelder Mediziner Dr. Hugo Zade. Vor seiner Praxis an der Solinger Straße schüchterten SA-Schergen Männer und Frauen ein, die ihrem Arzt eigentlich treu bleiben wollten. Doch schon die bloße Gegenwart der tumben Uniformträger, die sich unverhohlen Notizen machten, reichte. Zade konnte in Langenfeld kein Geld mehr verdienen. Er packte mitsamt Frau und Tochter die Koffer und ging nach Köln ans jüdische Krankenhaus. 1941 wurde er deportiert, kam später in den Gaskammern von Auschwitz ums Leben.

Kein Stolperstein

Das Schicksal des Mediziners, dem in Langenfeld kein Stolperstein gewidmet wurde (s. Kommentar), ist freilich nur die eine Seite des Lebens unter dem Hakenkreuz. 1937 hatten sich viele Langenfelder im Alltag eingerichtet. Wer nicht politisch links, ganz besonders fromm oder jüdischer Herkunft war, versuchte seinen Frieden mit dem alles durchdringenden Regime zu machen. Das zeigt die gestern im Rathaus präsentierte, monatelang akribisch aufbereitete, knapp 400 Seiten umfassende "Langenfelder Chronik 1937" des Arbeitskreises Geschichte. "Nicht wenigen Menschen ging es ihrer eigenen Einschätzung nach besser als in den Krisenjahren um 1930. Bedrückende, die breite Masse erfassende Ereignisse wie die Pogromnacht oder der Krieg waren noch nicht geschehen", bringt Günter Schmitz, Leiter des Arbeitskreises, das Lebensgefühl zahlreicher Langenfelder auf den Punkt. "Viele waren froh, dass sie wieder Arbeit hatten und handelten schlicht und ergreifend nach dem Motto: Wes Brot ich esse, des Lied ich singe", erinnert sich Zeitzeugin Erika Keisinger-Monjau, die 1937 ihr letztes Schuljahr antrat. Wie sehr die damalige Gemeinde Richrath-Reusrath bereits vom Nationalsozialismus durchdrungen war, belegen die elf Hobby-Historiker mit einer Unmenge an Fakten. Zwei Beispiele hoben sie gestern heraus:

l 1937 verschärfte sich der Zugriff der Diktatur auf das Erziehungswesen. So entstand nach Erkenntnissen des Arbeitskreises am Fahler Weg der erste Kindergarten der NS-Volkswohlfahrt (NSV). "Hier sind wir sogar im Besitz echter Fotografien", sagt Schmitz. Ein weiterer Beleg für den Durchgriff des totalitären Regimes: Von 19 evangelischen Jungen an der damaligen Fortbildungsschule erhielten nur drei das Einverständnis ihrer Eltern, am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen zu dürfen. Gleichzeitig verschärften die Nationalsozialisten den Kampf gegen die von ihnen gehassten konfessionellen Volksschulen. Angespitzt von übereifrigen, in vorauseilendem Gehorsam vor keiner Denunziation zurückschreckenden örtlichen Parteigenossen drangen Polizisten in einige Langenfelder Pfarrhäuser ein. Dort beschlagnahmten sie die von vielen Eltern unterschriebenen Listen gegen die vom Regime etwas später erzwungene "Deutsche Gemeinschaftsschule".

l Die Weberei Becker und Bernhard wurde bereits 1937 zu einem NS-Musterbetrieb ernannt. "Damit zählt sie zu den ersten 30 im gesamtem Reichsgebiet", erläutert Schmitz. Gauleiter Florian habe die Ernennung des Betriebes zu einer fanatischen Einschwörungsrede genutzt. Nach seinen Worten begann im Sommer 1937 "der Marsch in die deutsche Ewigkeit".

(RP)
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