Monheim Durch Monheim rollt ein Engel aus Stahl

Monheim · Gut 120 Menschen - Juden, Christen und Muslime - zogen gestern mit einer Ringskulptur von der Moschee zum Haus der Chancen, vorbei an Kirchen und der Stelle, wo einst das jüdische Bethaus stand.

 Der "Engel der Kulturen" setzt sich in Bewegung. Hinter den Kindern das Künstlerpaar Gregor Merten und Carmen Dietrich.

Der "Engel der Kulturen" setzt sich in Bewegung. Hinter den Kindern das Künstlerpaar Gregor Merten und Carmen Dietrich.

Foto: Ralph Matzerath

Die Sure, die Imam Selcuk sang, ist verklungen, die Worte von Bildhauerin Carmen Dietrich sind verhallt - jetzt sind die Kinder im Vorhof der Moschee an der Reihe. Im Pulk drängen sie sich um das Rad aus Stahl, das mit 1,50 Meter Durchmesser größer ist als sie selbst und das aussieht wie ein riesiger Ausstecher fürs Plätzchenbacken. Nachdem Dietrichs Künstlerpartner Gregor Merten die Form mit Kies und Sand gefüllt hat, darf Murat (8) den Stahl sauberfegen. Seine Mitschülerinnen Cäcilia und Sophie (beide 9) schauen gespannt in Erwartung des Engels, den der Ring im Sand hinterlassen wird. Almira (9) - Vater Türke, Mutter Deutsche - will auch in die Zeitung und sagt flugs, was sie bei Religionslehrerin Andrea Trapphagen an der Astrid-Lindgren-Schule gelernt hat: "Der Engel steht für alle unsere drei großen Religionen."

In Monheim hat der Himmelsbote Juden, Christen und Muslime gestern symbolträchtig zusammengeführt. Mit seiner Aktion "Engel der Kulturen" war das Künstlerpaar Dieterich/Merten (beide 58) zu Gast in der Gänseliesel-Stadt, der 94. Station ihrer jahrelangen Reise, auf der die beiden ein Zeichen setzen wollen für ein "respektvolles Miteinander der Religionen und Kulturen in einer weltoffenen Gesellschaft", wie es Carmen Dietrich vor der türkischen Osman-Gazi-Moschee an der Niederstraße formulierte.

Von dort setzte sich am Nachmittag ein Zug mit gut 120 Menschen in Bewegung, dem rollenden, knirschenden Stahlrad hinterher, das nicht nur einen Engel formt, sondern an Kopf und Flügeln auch Halbmond, Kreuz und Davidstern. Ziel des kilometerlangen Marsches war das Haus der Chancen im Berliner Viertel. Dort nahmen Bürgermeister Daniel Zimmermann und eine Delegation aus der israelischen Partnerstadt Tirat Carmel den Engel und seine Begleiter am Abend in Empfang. Zwischendurch machte der Tross halt an der evangelischen Altstadtkirche, an St. Gereon und dem Grundstück Grabenstraße, wo vor dem Holocaust das jüdische Bethaus stand. Klarinettist Markus Zaja (52) spielte dort Psalm 150. Sein Glaubensbruder Michael Rubinstein vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden Nordrhein sagte: "Mit der Wahl der Station Früheres Bethaus wollen wir unterstreichen, dass es in Monheim mal ein jüdisches Gemeindeleben gab."

Einen Sandabdruck des Engels hinterließ der Zug auch vor den beiden Kirchen, und auch hier erklang Musik. In St. Gereon spielte Organistin Ute Merten, vor der eingerüsteten Altastadtkirche die Senioren-Blockflötengruppe Rondo Allegro. Pfarrer Till-Karsten Hesse erinnerte an den Engel, der Abraham und Sarah erschien und ihnen im hohen Alter noch ein Kind versprach - eine der ältesten Engelsüberlieferungen in allen drei abrahamitischen Weltreligionen.

Die Engel aus Sand verweht der Wind. Der Engel am Haus der Chancen aber wird überdauern - eine Boden-Intarsie aus Eisen und blauem Beton. Bleibende Spuren soll der "Engel der Kulturen" indes vor allem in den Köpfen hinterlassen - zumal bei Murat, Cäcilia und den anderen Kindern. Auf sie kommt es im 21. Jahrhundert besonders an.

(gut)
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