Motocross-Sport „Ritter“ Wilfried aus Wassenberg und Graf Berghe von Trips auf gleicher Bühne geehrt

Wassenberg · Die Familie Kremers schrieb in drei Generationen Motorsportgeschichte. Wilfried Kremers schaffte sogar die Qualifikation zu Weltmeisterschaftsläufen. Auch die Söhne Bernd und Frank wurden durch Benzin im Blut angetrieben.

 1960: Wilfried Kremers mit Siegerkranz beim Cross in Koblenz.

1960: Wilfried Kremers mit Siegerkranz beim Cross in Koblenz.

Foto: Wilfried Kremers

Kein Geringerer als Hans-Wilhelm Gäb (82), den die Frankfurter Allgemeine (FAZ) zum runden Geburtstag als "Das moralische Gewissen des Sports" bezeichnete, war es, der einen Sport verbal adelte, der insbesondere in den 40 Jahren nach dem 2. Weltkrieg für große Aufmerksamkeit sorgte.
Die Rede ist vom Motocross, der auch in den heimischen Breiten der damals noch selbständigen Kreise Erkelenz und Geilenkirchen-Heinsberg Zuschauerzahlen bis in den hohen vierstelligen Tausenderbereich an die Naturrennbahnen mit Sprunghügeln und kniffligen Kurvenkombinationen in Wassenberg, Hückelhoven, Erkelenz, Venrath, Oberbruch, Tüddern oder dem nahen Broich-Peel lockte.

Mehr als 10.000 Zuschauer verfolgten zum Beispiel 1965 das Rennen auf dem "Heidekurs" am Stern in der Wassenberger Oberstadt. Es ist nun schon 50 Jahre her, dass Hans-Wilhelm Gäb, der Spitzensportler (Deutscher Meister im Tischtennis), Journalist (beim Düsseldorfer "Mittag" zudem Gründer und Chefredakteur der "Auto-Zeitung"), Pressechef (Kölner Ford-Werke), Aufsichtsrat (Opel), Präsidiumsmitglied des Nationalen Olympischen Komitees, Vize-Vorstand der Sporthilfe und Gründer des Vereins "Sportler für Organspende" in einer Reportage herausgehoben schrieb: "Nicht Teufel auf Rädern, sondern letzte Ritter des Motorsports wollen die Männer vom Motocross sein, wenn sie mit 100 Sachen durchs Gelände rasen".

 Schlagzeilen gab es über Wilfried Kremers viele.

Schlagzeilen gab es über Wilfried Kremers viele.

Foto: Hans Groob

Einer dieser "Ritter" war der Wassenberger Wilfried Kremers, der am morgigen Sonntag, 8. April, das 79. Lebensjahr vollendet, allerdings an der Schwelle zum achten Lebensjahrzehnt auch nüchtern feststellen muss, "dass mein geliebter Sport aktuell hier bei uns in der öffentlichen Wahrnehmung kaum mehr eine Rolle spielt".

Das war zum Beispiel im Jahr 1957 ganz anders, da nämlich zählte der 18-jährige Wilfried Kremers bei der Gausiegerehrung im Kölner ADAC-Haus zu den ganz Großen seiner Zunft, wurde als Gaumeister der 175-ccm-Klasse im Motocross in einem Atemzug mit der Formel-1-Legende Wolfgang Graf Berghe von Trips genannt, dem damals bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Rennwagenfahrer. Während von Trips, der 1961 auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke im italienischen Monza als WM-Spitzenreiter am Steuer eines Ferrari tödlich verunglückte, auf den Titelseiten der Wagenfachzeitschriften abgebildet war, sprang Kremers nach einem spannenden Rennen im norddeutschen Harsefeld in Führung liegend vom farbigen Cover des "Motorrad" in das Blickfeld der Käufer.

Die Geschichte von Wilfried Kremers ist eigentlich eine Familien-Geschichte über mehrere Generationen Motocross-Sport, die ihren Beginn 1948 hat, als begeisterte junge Männer anfingen, Serienmotorräder fachgerecht zu "frisieren". Die damals gängigen Fabrikate waren Hoffmann, Rixe, Horex, Adler, NSU und BMW, die bei Fuchsjagden, Geschicklichkeitswettbewerben und auch Motorradfußball eingesetzt wurden.

 1967: Wilfried Kremers auf dem Aue-Ring im schleswigholsteinischen Trittau als „Flieger“.

1967: Wilfried Kremers auf dem Aue-Ring im schleswigholsteinischen Trittau als „Flieger“.

Foto: Wilfried Kremers

Die Altmeister Willi Kremers (Vater von Wilfried) und Alfred Peschmann gründeten zu dieser Zeit den AuMC (Auto- und Motorradclub) Wassenberg, der auch bald als Crossveranstalter auftrat. Die ersten Fahrer der neuen Sportart waren aus Wassenberg die Brüder Günter und Werner Peschmann, Josef "Jupp" Wild und Willi Scheulen. Sie waren sehr erfolgreich und umjubelt, holten manchen Pokal und Siegerkranz in den Luftkurort unterhalb der Grafenburg. Der 15-jährige Wilfried Kremers war mächtig stolz, im blau-gelben Pullover seine Vorbilder zu auswärtigen Rennen in die Eifel oder ins Bergische Land begleiten zu dürfen.

Und er schaute genau hin, was da geschah. Es brannte ihm unter den Nägeln. Das spürte auch Altmeister Alfred Peschmann und stellte dem Youngster unentgeltlich eine Serienmaschine zur Verfügung. Am 1. Mai 1956 war es dann soweit: Die Maschine hatte Wilfried den Regeln entsprechend "aufgemotzt", er selbst seine Kondition als Radsportler bei "Adler" Wassenberg und Fußballer bei "Viktoria 09" Wassenberg, für die er sogar in die B-Jugend-Kreisauswahl berufen wurde, aufgebaut. Doch im Eifeldörfchen Lommersum lernte der Crosser im blau-gelben Pullover, dass Teilnehmen mehr als Siegen ist — nur Platz 13 nach einigen Schiebephasen. "Aber der Ehrgeiz war ungebrochen, ja sogar noch größer", weiß Wilfried auch sechs Jahrzehnte später noch ganz genau. Da passte die spontane monetäre Unterstützung durch Vater Willi und Onkel Paul Kremers unbedingt ins Budget, "denn verbessertes Material war unbedingt leistungs- und erfolgssteigernd: Zweimal NRW-Meister und Platz drei bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft gegen fast übermächtige Konkurrenten mit Werksfahrerstatus von den Maico- und Zündapp-Werken.

Wilfried Kremers Erfolge waren schon bald die Basis zur Berechtigung, auch bei Weltmeisterschaftsläufen zu starten. Zum Rennen in dieser Kategorie begleitete den 20-Jährigen und dessen treuen Monteur Hans Kempny ein mit Fans voll besetzter Bus nach Reil an der Mosel. Dort waren nicht nur Siegerkränze und Pokale die Ausbeute, sondern auch begehrter Moselwein.

 Heute: Drei Generation der Familie Kremers.

Heute: Drei Generation der Familie Kremers.

Foto: Wilfried Kremers

Doch die Luft in der Spitze der Motocross-Szene wurde von Jahr zu Jahr dünner, entwickelte sich mehr und mehr zum Professionalismus mit der damit verbundenen Kostenexplosion. Dass Wilfried Kremers da noch mithalten konnte, lag an der Großzügigkeit des Vaters (Reisebusunternehmer) und an guten Beziehungen. Hier war es der Wassenberger Drahtweber Willi Spee, über den Beziehungen in die ehemalige Tschechoslowakei und zum CZ-Motorradwerk zustande kamen. Das speziell für den Crosssport gebaute Motorrad war als Spitzenerzeugnis auch "unterm Hintern" des Wassenbergers siegfähig, brachte ihm sogar eine Einladung zu einem Rennen in die USA ein. "Das kam für mich aber leider nicht zustande, scheiterte an den zu hohen Kosten", sind Wilfried Kremers Augen emotional zweigeteilt — eines stolz-leuchtend und eines nachdenklich-bedauernd. Auch weil die Erinnerung an das jähe Karriereende im Jahre 1968 hochkommt, ausgelöst durch einen schweren Arbeitsunfall, der ihn fast das Leben gekostet hatte. Danach kam die Zeit des intensiven Einstiegs ins Familienunternehmen (Kremers-Reisen), aber auch für die Familie, in der Ehefrau Christel den Motocrosser stets selbstlos unterstützt hat.

 1986: Wilfried Kremers (r.) mit Vater und Förderer Willi Kremers, der auch Mitgründer des AuMC Wassenberg war.

1986: Wilfried Kremers (r.) mit Vater und Förderer Willi Kremers, der auch Mitgründer des AuMC Wassenberg war.

Foto: Wilfried Kremers

Doch es kam zu einem Déjà-vu-Erlebnis: Wilfrieds und Christels Söhne Bernd und Frank müssen wohl die Momente, als sie vom Vater nach Siegfahrten auf dem Motorradtank sitzend zu Ehrenrunden mitgenommen wurden, derart verinnerlicht haben, dass sie ab 1977 in die Fußstapfen des Papas traten: Bernd (heute 54) bescherte sich und der Familie Kremers die Deutsche Juniorenmeisterschaft, Frank (heute 52) beendete die Cross-Karriere nach dreifacher NRW-Meisterschaft als Sechster der Deutschen — dies ausschließlich in Konkurrenz zu Werksfahrern.

 1977: Die Söhne Frank (l.) und Bernd (r.) mit Vater Wilfried Kremers und Monteur Toni Holländer (2.v.l.).

1977: Die Söhne Frank (l.) und Bernd (r.) mit Vater Wilfried Kremers und Monteur Toni Holländer (2.v.l.).

Foto: Wilfried Kremers

Ob es eine vierte Crosssport-Generation bei Kremers geben wird, das wird sich zeigen. Fest steht, dass auf Wilfrieds Enkel Sebastian, Tobias und Tim die Erkenntnis zukäme, die Hans-Wilhelm Gäb über die "Ritter des Motorsports" schon vor einem halben Jahrhundert herausgefunden hat: "Die Hände, obwohl durch dick gefütterte Handschuhe geschützt, sind nach dem Rennen geschwollen und voller Blutblasen. Sprünge von zehn und 15 Metern Länge, nach denen Fahrer und Maschine oft aus Mannshöhe auf den Boden zurückkrachen, haben Gelenke gestaucht und den Körper zerschlagen wie nach einem Boxkampf. Doch es muss besonders faszinierend sein, mit speziell hergerichteten Motorrädern durch Feld, Wald und Wiesen, durch Schlamm, Staub und Dreck querfeldein zu rasen."

(h.g.)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort